Vergängliche Licht und Schatten in den Uhudler Bergen. Christine Feichtinger

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Vergängliche Licht und Schatten in den Uhudler Bergen - Christine Feichtinger

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und infolge von ihm keine guten Noten und keinen Grunzlmuamkalender als Dank bekamen. Die Buben hatten zum Schutz vor seinen Schlägen unterhalb einer Hose eine Lederhose an, damit die Schläge des Pfarrers nicht so wehtaten.

      Nie hätten sich die Schulkinder zuhause getraut, sich über den Herrn Pfarrer zu beklagen, denn dieser war, als geweihter Stellvertreter Gottes, für die Dorfleute unantastbar. Wenn doch ein Schüler zuhause klagte, sagten die Eltern: „Du wirst schlimm gewesen sein, umsonst wirst du keine Schläge bekommen haben.“

      Außerdem war Zwumpl als Ministrant stinksauer, wenn er nach der heiligen Messe so viele Gebete, welche von den Frauen angeschafft und bezahlt wurden, kniend mitbeten musste und ihm seine Knie jedes Mal höllisch schmerzten.

      Für ein paar Münzen von diesen Frauen betete der Herr Pfarrer nach der heiligen Messe kniend mit den Ministranten und den Kirchengehern ein paar Vaterunser oder ein Gsatzl vom Rosenkranz. Der Herr Pfarrer las die Namen und die Hausnummer der Auftraggeberin von seinem Zettel ab und betete für eine gute Meinung, für eine gute Hinfahrt oder Heimkunft nach oder von Amerika, für einen guten Ausgang ihres Prozessverfahrens oder für die Verstorbenen. Die Frauen hielten ihre Rosenkränze in der Hand, um mitzuzählen und busselten den Rosenkranz am Anfang und Ende des Gebetes ab. Jede dieser Auftraggeberinnen hoffte, dadurch ihren Ablass von ihren Sünden zu bekommen, dem Fegefeuer und der Hölle zu entkommen bzw. dass sich das Himmelreich wieder um einen Spalt weiter für sie öffnen würde.

      Und so hatten sich für Zwumpl durch das neue NS-System seine geheimsten Wünsche wie von selbst erfüllt, nämlich keine Angst und Schläge mehr vom Herrn Pfarrer zu bekommen.

      Wie viele andere Eltern auch, wussten die Eheleute Ertl nicht so recht, was sie von Tonis und Zwumpls Begeisterung für das neue NS-System halten sollten. Mit einem Seufzer sagte Anna Ertl: „Wie leicht die Jugend zu beeinflussen und zu verführen ist und alles glaubt, was sie vom neuen NS-System hört.“

      Die Frage, was die neue Zeit bringen wird, in der die Jugend gleich einer Gehirnwäsche zum blinden Gehorsam, zu Treue, eiserner Disziplin, Hingabe an die NS-Weltanschauung und zu peinlichster Pflichterfüllung gegenüber dem Führer und dem Vaterland gedrillt wurde und als wichtiger Teil des Aufschwungs und eines großen Reiches anzusehen war, beschäftigte Viktor und Anna Ertl ständig, denn gleichzeitig merkten sie, wie ihre Söhne ihnen entfremdet wurde, ihre Worte nicht mehr zählten, ihnen die elterliche Gewalt und Autorität wie schmelzendes Eis in der warmen Sonne entzogen wurde. Sie mussten feststellen, dass sie von Zwumpl rotzfrech behandelt und wegen ihrer Ermahnungen von ihm verlacht, als altmodisch, sich dem Fortschritt verwehrend, abschätzig behandelt wurden. Dazu wurde er von den neuen Machthabern noch ermutigt. Wie oft schrie er sie trotzig an, sie würden mit ihren alten Ansichten allen Fortschritt verhindern.

      Natürlich wollten sie Toni und Zwumpl nicht im Wege stehen und gerne glauben, dass sich ihre Zukunft im Sinne der Propaganda der Nationalsozialisten auch hier verbessern würde, und sie deshalb für den Anschluss stimmen sollten.

      Dem Fremden immer skeptisch gegenüberstehend, beängstigte Viktor und Anna Ertl nicht nur der allgemeine Drill der Hitlerjugend mit ihren Heim- und Sportnachmittagen, wo sie Schulungen im Exerzieren, Wehrertüchtigung (geistige und körperliche Ertüchtigung der Menschen zum Kriegseinsatz), Aufmärsche im Dorf, Gruppenappelle, Sport, Geländemärsche, Fahnenappelle absolvierten, sondern insbesondere der Gelände - und Schießdienst mit Kleinkalibergewehren.

      „Es wird schon nicht so schlimm werden“, meinte Viktor Ertl leise flüsternd, im Bemühen, seine Frau zu beruhigen, um sie zur Liebe umzustimmen. Und bald darauf hörte Zwumpl, wie sein Vater seine Mutter bedrängte. Sie versuchte ihn mit den Worten „Du kriegst nie genug“ in der immerwährenden Sorge vor einer unerwünschten Schwangerschaft und aus Angst vor dem herrschenden Sittenkodex und dem Tratsch der Leute abzuwehren. „Was werden die Leute sagen, wenn ich alte Frau neben unseren großen Kindern noch einen Wechselbalg bekomme. Wir haben schon genug hungrige Mäuler zu stopfen.“

      Anna Ertl kannte keine Begierde, Lust und Erfüllung. Diese Worte waren für sie leere Hülsen, die sie als Phantasiererei und Hirngespinste sündhafter, unkeuscher, unausgelasteter Menschen mit tierischem Trieb abtat. Wenn sie ihren Alltag genauso wie sie selbst mit harter Arbeit ausfüllen würden und ihnen abends die Glieder glousen (schmerzen) würden, und sie müde die Augen schließen würden, würden ihnen diese sündhaften, unkeuschen Gedanken vergehen.

      Nirgends sonst fand Anna Ertl mehr Befriedigung, als wenn sie tagsüber viel gearbeitet hatte, abends todmüde ins Bett fiel, nach dem Nachtgebet an ihren erfüllten Arbeitstag dachte, sich freute, wie viel Arbeit sie geleistet hatte, und den Arbeitsplan für den nächsten Tag überdachte.

      Da hörte Zwumpl wie sein Vater mit bittender hoher Stimme auf seine Frau einredete und bald darauf das übliche vertraute gleichmäßige Geräusch des knirschenden Strohsacks im gleichen Rhythmus und danach einen unterdrückten Seufzer seines Vaters, sodass er am nächsten Tag viel zu erzählen hatte.

      Karl Ertl sah sich im Weinkeller um und kam in die Gegenwart zurück. Müde von den langen Fußmärschen heimwärts zog Karl seine Schuhe aus und legte sich in das Bett, in dem er einst mit Martha die Glückseligkeit empfangen hatte, als wolle er dadurch sein damaliges Glück fühlen, festhalten und wieder zurückholen, wie damals, als das Feuer knisterte und die Flammen ihre Herzen wärmten und ihr Verlangen stillte. Er war zu aufgewühlt und konnte nicht schlafen.

      Seine Gedanken schweiften plötzlich völlig unvorhergesehen zu Irene. Als liege sie vor ihm, streichelte er in Gedanken ihr weiches Gesicht. Er spürte ihre zarten Hände an seinem Körper und ein Schauer der Erregung durchfuhr ihn. Wie oft war er mit ihr den Gipfel der Lust emporgeklettert.

      Schon im nächsten Moment wanderten Karls Gedanken in vergangene Zeiten. Vor jenem Palmsonntag, dem 10.4.1938, dem Tag der Volksabstimmung, hatten Zwumpl und die kleineren Geschwister wie sonst auch die Palmkätzchen aus dem Wald geholt. Am Palmsonntag nahm Anna Ertl die Palmkätzchen in die Kirche mit, um sie weihen zu lassen und um sie dann anschließend auf das Feld zu stecken, damit die Ernte vor Unwetter geschützt werden würde. Es galt der Spruch: „Meis (Mäuse) und Rotzn (Ratten) hinaus, der Palmbuschen kommt ins Haus.“

      Dieses Jahr hatte Zwumpl aufgepasst, dass seine jüngeren Geschwister die Palmkätzchen beim Heimweg nicht abzupften, denn sonst hätte er wie im letzten Jahr nochmals welche holen müssen.

      Niemals zuvor hatte Viktor Ertl von Wahlbetrug oder Wahlfälschung gehört und niemals zuvor hatte Karl seinen Vater so wütend gesehen. Denn bereits beim Eingang in das Wahllokal wurde Viktor Ertl skeptisch vom Ortsbauernführer Sepp Tuider, der breitbeinig, höhnisch grinsend da stand, empfangen. Vor den anwesenden Ortsgruppenwahlleiter, Kreiswahlleiter, Wahlkreis-Inspekteur wurde er gefragt, ob er mit ja oder nein stimmen würde.

      Nachdem Viktor Ertl diese Bevormundung vor den Anwesenden ärgerte und ihm dadurch wieder einmal vor Augen geführt wurde, wie machtlos und verhöhnt er als ehemaliger Bürgermeister von Tuider wurde, wurde er zornig.

      Unzählige Male musste Viktor Ertl für den bauernschlauen Sepp Tuider nach dem Volksspruch „Um den Weg und um den Roan (Grundstücksgrenze) ist die Welt zu kloan (klein)“ vermitteln, da Sepp Tuider immer versuchte, seine Grundstücke zu vergrößern, um sich immer mehr Fläche von den angrenzenden Grundstücken anzueignen.

      Sepp Tuider war gewieft und versuchte ständig andere zu übertölpeln. So hatte er einmal versucht, nach dem Verkauf einer Kuh nicht die gesunde verkaufte Kuh, sondern eine andere Kuh loszuwerden,

      in der Hoffnung, dass es nicht entdeckt werden würde. Am Tag, als der Viehhändler die gekaufte Kuh holen kam, gab er jene Kuh her, die den Fehler hatte, dass sie am Euter kitzelig war und sich nicht melken ließ. Als der

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