Kurswechsel. Gerd Eickhoelter

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Kurswechsel - Gerd Eickhoelter

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von Westreisen durch die DDR-Behörden sichtbar. Bekanntmachungen über Regelungen oder Handhabungen zu diesem Thema gab es nicht, die Flüsterpropaganda erledigte alles von selbst.

      Im April ging der erste gezielte Brief zwecks Einladung an meine Cousine auf Reisen. Oma Grete nahm den Brief mit nach Westberlin und sendete ihn dort ab. Die persönliche Übergabe an die Bundespost war immer noch sicherer und schneller als der obligatorische DDR-Postweg von etwa sieben Tagen.

      Post, die Verwandtenbesuche zum Inhalt hatte, wurde von den Behörden möglichst verzögert, damit das gesamte Genehmigungsverfahren zeitlich nicht eingehalten werden konnte. Die Gesellschaft war somit an der Ablehnung schuldlos, der Antragsteller selbst hatte die gegebenen zeitlichen Reihenfolgen nicht eingehalten, der Geist von Helsinki wurde nicht verletzt.

      Auf die Frage, woher die entsprechenden Stellen vom Inhalt des Schreibens wussten, liegt die Antwort in den sieben Tagen Laufzeit. Unter Ausnutzung moderner und alter Techniken kam man an den Inhalt der Sendungen. Bereits die Verbindung Absender und Adressat sowie die gespeicherten Daten über jeden Bürger, anhand der Personenkennzahl, lassen greifbare Rückschlüsse schnell finden. Man brauchte die Briefe nicht immer zu öffnen, um Informationen zu erhalten. Eigene Erfahrungen liefen aber auf Direkteingriffe hinaus.

      Zwischen 1980 und 1983, meinen letzten drei Seemannsjahren, wurde meine gesamte Auslandskorrespondenz kontrolliert. Meine Briefe von Übersee und Westeuropa an die Familie waren zum Teil primitiv, andere mit äußerster Präzision geöffnet, gelesen und wieder verschlossen worden. Nun kann man sagen, dass diese Kontrollen auch im Absenderland erfolgt sein könnten, aber warum gerade zu dem Zeitpunkt an dem meine Frau einen Mitreiseantrag stellte und nach Ablehnung in den Folgejahren regelmäßig wiederholte?

      Als wir damals entsprechende Vermutungen hatten, dachte ich mir ein kompliziertes Faltsystem der Briefseiten aus, die man nach Entfalten nicht wieder in die gleiche Lage bekam, Doppelkniffe waren die Folge. So erhielten wir den Beweis für diese Kontrollen. Andere Briefe waren durch Wiederverleimung im Innern an den Umschlag festgeklebt - Schludrigkeit.

      Nach einigen Missverständnissen mit meinen Verwandten wurde die Zeit zur Beantragung des Besuches knapp. Ich stellte ohne die West-Unterlagen den Besuchsantrag und benötigte nun noch die Unbedenklichkeitserklärung des Betriebes. Als ich früh das Büro des Kaderleiters betrat, saß ihm der Betriebsdirektor gegenüber. Er lächelte gequält. „ Na, was möchtest Du?“ – fragte mich Kollege Müller.

      Ich trug ihm mein Anliegen vor und übergab meinen Antrag. Der Betriebsdirektor ging mit den Worten:“ Erst aus der Partei austreten und dann in den Westen fahren wollen“, Tür zu. - Bums - fiel diese geräuschvoll ins Schloss. Müller sagte mir nach Sichtung des Antrages eine baldige Prüfung zu, aber wegen der vorgeschrittenen Zeit und der fehlenden Unterlagen aus dem Westen sei keine Bearbeitung möglich. Weshalb das alles von Wichtigkeit für eine Beurteilung des Betriebes sei sagte er mir nicht. Genosse Müller legte meinen Antrag auf den Schreibtisch und geleitete mich zur Tür, neben der ein dicker Reisekoffer stand. „Willst Du in Urlaub fahren?“ fragte ich.

      „Nein eine längere Dienstreise“.

      Heini sagte mir später, dass Müller den Ferienaustausch für sieben Kinder von Werftangehörigen, im Rahmen des Kinderferienaustausches mit unserer polnischen Partnerwerft, unter Dach und Fach bringen solle.

      Allgemein bekannt war diese Aktion nicht. Fast ausschließlich fuhren Kinder von Werftleitern. Heini hatte den Ferienaustausch in der Betriebsgewerkschaftsleitung mit abgesegnet, sein Sohn fuhr auch und für Müller fiel eine dienstliche Ferienwoche in Wroclaw ab.

      Noch am gleichen Tag teilte mir der Technische Direktor mit, dass er meinen Besuchsantrag befürworten werde, aber er sei ja das kleinste Licht in der Runde der betrieblichen Entscheider.

      Vier Wochen benötigte die Polizei für die Bearbeitung der Unterlagen, entsprechend ihren internationalen Aussagen. In Sonderfällen sollten auch drei Wochen ausreichen. Eine Antragstellung für einen Besuchsantrag in dringenden Familienangelegenheiten gestaltete sich immer zu einer Pokerpartie, einem Nervenkrieg bis zur letzten Minute. Der DDR-Bürger, der die Möglichkeit hatte, nahm alles auf sich, um den ‘Eisernen Vorhang‘ von Ost nach West zu queren, wenn auch nur für wenige Tage.

      Ich hatte mich auf den Nervenkrieg eingelassen, obwohl ich das Ergebnis schon vorher kannte. Ich wollte alles selbst erfahren.

      Infolge des Missverständnisses, Tante Erna dachte, die Unterlagen werden erst beim Grenzübergang benötigt, so hatte sie getrödelt, in Unkenntnis der DDR- Verhältnisse. Der Termin wurde knapp.

      Ein anderer wesentlicher Zeitverzug lag in der betrieblichen Bearbeitung. Bevor der Antrag von der Polizei entgegengenommen wurde, musste die Unbedenklichkeitserklärung des Betriebes vorliegen. Allgemein wurde auch hier nicht im Eiltempo verfahren.

      Ich hatte 5 Tage, wenn alles klappen sollte. Das war aber nur der Zeitplan.

      Die Unterlagenstory

      Der 19.06. war ein Donnerstag.

      Am Nachmittag rief Oma Grete an, dass die Papiere bei ihr seien. „ Ich komme aber jetzt nicht, dass ist mir zu beschwerlich“, teilte sie mit. Als ich nach Feierabend die Worte aus zweiter Hand vernahm wurde ich unruhig. Mit dem Gedanken, ‘wie bekomme ich die Dokumente über die Mauer‘, lief ich ziellos im Haus umher, bis ich mich konzentrieren konnte.

      Am Abend erwartete ich Oma Friedel aus Oelde zurück. Sie war bei ihrer Jugendfreundin. Ich würde meine Mutter vom Grenzübergang am Bahnhof Friedrichstrasse, dem sogenannten Tränenpalast, abholen - so war es ausgemacht.

      Hätte sie doch mal angerufen, dann wäre das Problem anders gelöst worden. Sie hätte die Unterlagen gleich von Tante Erna mitbringen können, aber diese Problematik konnte sie auch nicht mehr richtig begreifen. Gab sie mir doch vor Ihrer Reise in den Westen den Rat: „ Wenn die Zeit nicht reicht, dann fährst du eben später!“

      Die wenigsten alten Menschen, die ständig rüber fuhren, lebten noch in der Realität. Sie befanden sich schon in einer anderen Zeit, in der der Grenzübertritt schon eine Selbstverständlichkeit geworden war. Bei mir war das ja auch der Fall, als ich noch zur See fuhr. Rentner durften fahren und der Staat war froh, wenn sie blieben. Ein Rentner im Westen kostet den Staat nichts mehr und einer der wieder kommt, bringt den Verbleibenden begehrte Artikel aus dem Westen mit. Egal was passierte, es war immer im grünen Bereich.

      Nachdem ich unsere Freunde noch erfolglos aufgesucht hatte, um nachzufragen ob sie noch Besuch aus Westberlin erwarteten, sprach ich mit Oma Grete, sie rief zum Glück nochmals an. Ein Telefonat von Ost nach West war aussichtslos. Ihr Anruf kam einer Gedankenübertragung gleich.

      Ich bat sie zum Bahnhof Friedrichstraße / Westseite zu kommen und Oma Friedel abzufangen, wenn sie mit dem Zug aus Köln ankam, und die Papiere dann am sie zu übergeben.

      „Für dich tu ich‘s Gerd“ - mir fiel ein Stein vom Herzen. Infolge ihres großen Gewichtes hatte sie erhebliche Schwierigkeiten in der Fortbewegung.

      Viel Zeit blieb nicht. Oma Grete musste noch nach Spandau, um den Brief aus der Wohnung zu holen und sich beeile, damit sie Oma Friedel nicht noch zu guter Letzt verpasste.

      Hinter der schweren eisernen Pforte am Bahnhof Friedrichstraße wartete ich.

      Um 19:45 Uhr war es endlich soweit - Oma Friedel trat durch die Tür, die schwer und unerbittlich hinter ihr den ‚Eisernen Vorhang‘ wieder verschloss. Im Auto gab sie mir die Post. Noch bevor ich anfuhr öffnete

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