Die Kinder der Schiffbrüchigen. Jonas Nowotny

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Die Kinder der Schiffbrüchigen - Jonas Nowotny

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han i ihna denn gschriba?« Immer wenn die dicke Frau mit italienischem Namen am Revers in breitestem Schwäbisch loslegte, war Christian irritiert.

      »Die Fiktionsbescheinigung für unseren Sohn ist abgelaufen«, half er ihr. Bei dem Wort »unseren« malte er mit seinen Zeigefingern Gänsefüßchen in die Luft. Damit imitiere er die Anführungszeichen, die die Damen vom Ausländeramt in ihre Briefe druckten, wenn von Louis als ihrem Sohn die Rede war. Christian legte Louis‘ Pass auf den Tresen. »Wir wollten doch erst die amerikanischen Dokumente abwarten. Sie sind heute gekommen. Jetzt können wir uns die Verlängerung des Aufenthaltstitels sparen.«

      Frau Bonetti nahm den Ausweis. »Aah! Si sen des.

      Ja, wir sind das, dachte Christian. Die zwei Homos mit dem schwarzen Baby.

      »Han Se gar net gleich kennt. Sonscht sen Se jo immer mit dem kloine Bobbele do. Wo isch er denn hait?«

      »Im Krankenhaus. Rauchvergiftung«, gab Christian trocken zurück. Die buschigen Augenbrauen der Sachbearbeiterin schnellten nach oben.

      »Was isch denn passiert?«

      Christian deutete auf die Zeitung, die auf dem Schreibtisch lag. »RAUCHANSCHLAG AUF FERIENSCHIFF«, zitierte er die Schlagzeile.

      »Aah! Sie sen des.«

      Christian zuckte ein bitteres Lächeln im Mundwinkel. Wortlos legte er das orangenfarbene Kuvert auf den Tresen.

      »Was hen Se denn do?«

      Christian griff in den Umschlag und zog die Papiere heraus.

      »Das ist das Adoptionsurteil, nach dem mein Mann und ich die rechtlichen Väter sind. Und das ist Louis‘ Geburtsurkunde.«

      Frau Bonetti betrachtete die Papiere skeptisch. »Des isch jo elles uff Englisch.«

      »Naja, viel Text hat so eine Geburtsurkunde ja nicht. Und die sagt ausdrücklich, dass ich der Vater bin. Sehen Sie: Parents Name, Christian Thalberg. Parent bedeutet auf Deutsch Eltern.«

      »Verkaufet Se me net fir bleed! A bissle Englisch ko i au. Aber Amtssproch isch und bleibt aber nun mol Deitsch.«

      »Okay! Ich übersetze es Ihnen schnell.«

      »Nix do. Des muss scho a vereidigter Übersetza übersetza. Sie kennet mir jo viel verzela.« Frau Bonetti grinste feist.

      »Und was machen wir jetzt? Fakt ist, dass Louis nun amtlich mein Sohn und damit Deutscher ist. Die Ausländerakte kann geschlossen werden, denke ich …«

      »Net so schnell! Höret Se: Au wenn Se mir jetzertle des Urteil uff Daitsch vorlegat, ko i jo net prüfa, ob des elles stemmt und mit rechte Dinge zugange isch on der Louis au tatsächlich Ihr Sohn isch.« Auch Frau Bonetti zeichnete Luftgänsefüßchen. »Der Louis brauchtn daitsche Pass, damit i di Akte zua macha ko. Ohn den Pass krieget Se net bei mir, sondern uff de Stadt.«

      Christian schnaufte. »Gut, dann kläre ich das jetzt auf der Stadt.« Er klaubte die Dokumente zusammen und verabschiedete sich.

      »Es geht mi jo nix oh«, unkte ihm Frau Bonetti hinterher, »aber ih denk jo, dass Se sich au bei d Stadt die Zähn ausbeißet. Ohne Oakennung tun di au nix.«

      Christian lächelte müde und zog die Tür hinter sich eine Spur lauter zu als beabsichtigt. Genervt überquerte er die Straße, die Ausländer- und Passamt voneinander trennte. Christian war sich sicher, dass in diesem Moment beim Passamt das Telefon klingelte und sein Kommen durch Frau Bonetti angekündigt wurde.

      ***

      Missmutig zog Christian sich eine Nummer am Automaten. Vor Ihnen warten 1 Personen. Er setzte sich auf einen unbequemen Plastikstuhl und schaute sich um. Viel mehr als einen traurigen Ficus Benjamini und blanke weiße Wände gab es nicht zu sehen. Er vermutete, dass die Kargheit berechnende Absicht war. Die Kontrastarmut sollte einen stumpfsinnig machen und den Effekt verstärken, den die plötzliche Buntheit in Frau Mäxles Zimmer auf die Netzhäute des Besuchers hatte. Ihr Büro war mit Ansichtskarten aus aller Herren Länder tapeziert. Christian vermutete, dass sie von dankbaren Bürgern stammten, denen sie großmütig einen Pass ausgestellt hatte. Christian malte sich aus, wie einfach es auch in diesem Fall sein könnte: Er legte das amerikanische Adoptionsurteil und die Geburtsurkunde vor. Dann füllte er einen Antrag auf einen deutschen Kinderausweis aus. Louis bekam den Pass, war Deutscher und durfte im Land bleiben. Das war der Weg, den schon ein paar Heteropaare vor ihm gegangen waren.

      Die Anzeigetafel an der Wand signalisierte, dass Frau Mäxle nun Zeit für ihn hatte. Er betrat das Büro. Rein optisch betrachtet waren sie und Frau Bonetti Zwillinge. Frau Mäxles übertrieben freundliches »Herr Thalberg!« verriet ihm, dass die Ausweisgöttin auf sein Kommen schon vorbereitet war.

      »Wie geht‘s Ihnen denn? Heute ohne den kleinen Louis?« Ihre Freundlichkeit klebte.

      Christian ignorierte die Frage und kam direkt zur Sache: »Ich brauche einen Kinderausweis für ihn. Wir haben jetzt alle notwendigen Papiere beisammen.« Christian reichte Frau Mäxle Urteil und Geburtsurkunde.

      »Schön. Das freut mich.« Frau Mäxle musterte die Dokumente und gab sich plötzlich pikiert. »Oh, das sind ja nur die amerikanischen Originale. Wir brauchen selbstverständlich davon beglaubigte Übersetzungen und eine Anerkennung der amerikanischen Entscheidung durch ein deutsches Vormundschaftsgericht.«

      Christian holte tief Luft. »Das überrascht mich jetzt. Wir … wir kennen Paare, allerdings Mann und Frau«, Christian setzte ein vielsagendes Lächeln auf, »die brauchten weder Übersetzung noch Anerkennung.«

      »Es hat selbstverständlich nichts damit zu tun, dass Sie und ihr ... äh ... Ehemann ... äh ... ich meine, ihr Lebenspartner …« Frau Mäxle schloss die Augen, senkte den Kopf, atmete tief ein und aus und sprach dann flüssig: »In Deutschland können eingetragene Lebenspartner nicht gemeinsam adoptieren, wie Sie bestimmt wissen, Herr Thalberg.« Christian nickte unwillig. »Und jetzt legen Sie mir einfach ein amerikanisches Urteil und eine Geburtsurkunde vor, wonach Sie und ihr Lebenspartner Väter von Louis sind. Wie soll ich von meinem Schreibtisch aus denn prüfen, ob das alles statthaft ist?«

      Christian schluckte und wägte seine Worte ab. »Mich wundert nur eins: Wenn Sie und das Ausländeramt davon ausgehen, dass unser Kind illegal adoptiert wurde, warum verlangen und akzeptieren Sie seit Monaten Unterschriften von uns unter Ihren Papieren?«

      »Da gebe ich Ihnen Recht, Herr Thalberg. Eigentlich hätte das Jugendamt einen Verfahrenspfleger einsetzen müssen, der Louis‘ Vormundschaft bis zur deutschen gerichtlichen Anerkennung übernimmt.« Sie schaute Christian ernst über ihren Brillenrand an. »Warum das Ausländeramt darauf nicht bestanden hat, ist mir schleierhaft.« Frau Mäxle schob ihre Brille die Nase hoch. Ihr pinkfarbener Seidenschal saß satt um ihren Hals.

      »Sie können uns nicht zwingen, das Anerkennungsverfahren zu beantragen«, sagte er matt. Angst, ihr unverhofftes Glück könnte sich zum Desaster entwickeln, breite sich in ihm aus. Nur pro forma hatten sie vor zweieinhalb Jahren einen gemeinsamen Adoptionsantrag gestellt. Sie wussten, dass es ihnen als Männerpaar rechtlich weder in Pennsylvanien noch in Deutschland möglich war, gemeinschaftlich ein Kind zu adoptieren. Dennoch entsprach es gängiger Praxis in Amerika und Deutschland, dass bei der Begutachtung des Adoptionsbewerbers gleichermaßen sein Partner durchleuchtet wurde. Von ihm verlangte man ebenso Gehaltsnachweise, Führungszeugnisse, Bluttestergebnisse, Röntgenaufnahmen der Lunge und die Beantwortung eines intimen Fragebogens.

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