Die Kinder der Schiffbrüchigen. Jonas Nowotny

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Die Kinder der Schiffbrüchigen - Jonas Nowotny

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geht nicht in seine Richtung, sondern an den Typen, der neben Alexander auf dem Sofa sitzt. Christian sieht ihn den Stift nehmen, sich auf die Kante des Sofas vorschieben und begreift erst jetzt, dass er es ist. Nur in Gedanken ist er geflüchtet.

      »Shall I sign here?« Christian zwingt sich zur Ruhe. Das kannst du! Ist wie auf Arbeit in der Bank. Papier zum Anfassen, Unterschriften, Geld. Krakelig unterzeichnet er das Papier.

      Christians Vatergefühle wollen sich auch in den kommenden Tagen nicht einstellen. Deshalb übernimmt er bald die Logistik. Während Alexander Louis die Flasche gibt, die Windel wechselt und Wärme schenkt, hetzt er durch die überfüllten Straßen Philadelphias. Er besorgt Nahrung, Kleidung und alles, was sie für einen Alltag im Hotel brauchen. Die Rollen sind verteilt. Automatisch. Und anders als geplant.

       Kapitel 4

      »Alexander schickt mich. Du sollst das Kuchenbuffet eröffnen.« Rüdiger hatte den Kopf durch die schwere Mahagonitür der Lounge gesteckt.

      »Louis ist erst vor einer Minute eingeschlafen. Ich kann jetzt nicht«, flüsterte Christian.

      »Wenn ich ohne dich nach oben komme, schimpft Alex mich aus. Er sagt, er hat das Babyphone eingesteckt«, gab Rüdiger zurück.

      »Echt?«, murmelte Christian, »das ist mir nicht aufgefallen.« Er nahm den Babyzeugrucksack und fand das Babyphone tatsächlich im vorderen Fach. Er stellte den Sender unweit von Louis' Wagen ab. Plötzlich klingelte ein Handy. Christian fand es auf der Couch. Es war das Gerät seiner Mutter. »Marquart« stand auf dem Display. Nicht einmal am Wochenende lässt die alte Dame einen in Ruhe, schoss es Christian durch den Kopf. Er konnte nicht verstehen, warum Renate bei ihr im Haushalt schuftete, neben ihrem Hauptberuf in der Bäckerei. So schlecht konnte es seinen Eltern finanziell doch nicht gehen. Christian drückte den Anruf weg und küsste seinen Sohn auf die Stirn.

      »Bis später.« Er folgte Rüdiger aus der Lounge, die Mahagonitür schloss er nur halb.

      ***

      Christian war kein großer Redner und deshalb erleichtert, dass Alexander diesen Part übernahm. Die Gäste versammelten sich auf dem Freideck. Sein Mann prostete in die Runde. Die etwa fünfzig Gäste grüßten zurück. Oliver stand am Rand und knipste Bilder.

      »Blut ist dicker als Wasser, warnten uns die Leute, als wir von unseren Adoptionswünschen zu erzählen anfingen«, begann Alexander, während er seinen Blick auf den Boden gerichtet hielt, »wir haben uns aber keine Angst einjagen lassen. Es braucht mehr als einen gemeinsamen Genpool. Davon sind wir überzeugt. Geteilte Erfahrungen, Erlebnisse, zum Beispiel dieses Fest heute, und Liebe – das ist es, was eine Familie wirklich ausmacht. Nicht das Blut.« Alexander biss sich auf die Unterlippe und streifte mit einem Blick die Gesichter der Gäste.

      »Lasst uns auf die erste gemeinsame Feier anstoßen!« Er hob das Glas. »Prost!«

      »Prost!«, grüßten die Anwesenden zurück.

      »Das Buffet ist eröffnet!«, rief Christian fröhlich, um nicht völlig unbeteiligt zu bleiben.

      »Endlich! Mir hängt der Magen schon in den Kniekehlen«, kommentierte Rüdiger. Verfressen wie eh und je, dachte Christian unwillkürlich. Und doch: Die Furchen um Rüdigers Mund waren tiefer geworden. Die Krankheit hatte begonnen, sein Äußeres zu zeichnen, unauswischbar, wie ein Tattoo. Christian beobachtete Rüdiger, wie er sich in den Oberdecksalon begab. Durch die Glasfront sah er ihn einen Kuchenteller vom Stapel nehmen und ihn mit Kuchenstücken beladen.

      Der Salon füllte sich.

      »Willst du nicht mit reinkommen?«, fragte Alexander und küsste Christian auf die Stirn.

      Christian seufzte. »Nein. Ich mag's nicht, wenn so viele Leute aufeinander sind. Ich glaube, ich warte, bis der Trubel sich gelegt hat.«

      Alexander nickte. »Ich kann dir aber nicht versprechen, dass dann noch was von der Käsesahne da ist.« Alexander lachte und umarmte seinen Mann. Eine Möwe zog kreischend über das Paar hinweg, im Babyphone knackte es. Christian sog Alexanders Duft ein und hielt ihn fest. Er liebte die Momente, in denen er sich an seinen Mann stützen konnte.

      Plötzlich schrie jemand auf. »Raus hier!«

      Die Gastgeber blickten sich fragend an.

      »Feuer!«, brüllte Rüdiger. Die Menschen, die sich eben noch in den Salon gedrängt hatten, drängten zurück aufs Freideck. Blitzschnell füllte der Saal sich mit weißgrauem Rauch.

      »Louis!« Christian geriet sofort in Panik. »Ich muss runter zu Louis!« Er schob sich an den Gästen vorbei in den verrauchten Salon. Es vergingen nur Sekunden, ehe er hustend zurück auf Deck stürzte. »Da kommen wir nicht durch«, keuchte er. Auf der Anetta wurde das Treiben panisch. Die Partygäste schrien durcheinander.

      »Feuerwehr, ruft doch jemand die Feuerwehr!«, schrie Renate. Horst schwankte neben ihr; seine Pupillen hetzten durch die Augenhöhlen, als suchten sie einen Fluchtweg. Christian blickte über die Reling. Der schmale Sims oberhalb der Fenster des Unterdecks schien ihm die einzige Möglichkeit.

      »Ich geh da drüber«, erklärte er knapp. Alexander schüttelte den Kopf. »Das ist viel zu schmal, du kannst dich nirgends halten! Du fällst ins Wasser!«

      Christian kniff die Augen zusammen. »Ich muss es wenigstens versuchen. Louis erstickt!«

      »Die Lounge ist abgeschlossen. Vielleicht ist noch gar kein Rauch drin!«

      Das Babyphone knarzte und übertrug Louis' Weinen. Christian warf Alexander einen eindringlichen Blick zu.

      »Nein, ich hab die Tür nur angelehnt«, erklärte er. Dann überkletterte er die Reling. Sofort rutschten seine Lackschuhe auf dem schmalen Vorsprung ab.

      »Komm sofort wieder rüber«, befahl Alexander. »Selbst wenn du nicht im Neckar landest – was bringt es dir, wenn du es auf das Vordeck schaffst? Die Fenster sind sicherungsverglast! Da kommst du von außen nicht rein! Wir müssen Louis von innen retten!«

      Christian spürte, dass er Recht hatte. Er ließ sich von Alexander und Rüdiger zurück an Bord ziehen.

      »Was war das denn für eine Aktion? Wolltest wohl aufs Rettungsboot flitzen?«, fragte Rüdiger.

      »Louis ist noch unten in der Lounge«, keuchte Christian.

      »Scheiße!«

      »Hat dein Vater mitbekommen, dass es brennt?«, fragte er Alex. »Wir sind noch immer mitten auf dem Fluss! Er muss anlegen, damit wir von Bord kommen!«

      Alexander wählte die Nummer seines Vaters auf dem Handy. Louis' Schreien klang herzzerreißend durch das Babyphone. Wie Nebel stand der weiße Rauch auf dem Freideck. Hustend zog Christian sein Sakko aus und ließ es zu Boden fallen. Dann knöpfte er sein Hemd auf.

      »Was hast du vor?«, fragte Alexander.

      »Ich muss zu ihm runter!«, sagte Christian und schlüpfte zurück in sein Sakko. Das Hemd band er sich um Nase und Mund. Wie ein Soldat robbte er durch den Salon. Trotz des Babyphone in seiner Hand kam er schneller voran als vermutet. Louis' Klagen im Babyphone war verstummt.

      »Halte durch, Louis! Halte durch!« Christian erlaubte sich nicht

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