Die Kinder der Schiffbrüchigen. Jonas Nowotny

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Kinder der Schiffbrüchigen - Jonas Nowotny страница 7

Автор:
Серия:
Издательство:
Die Kinder der Schiffbrüchigen - Jonas Nowotny

Скачать книгу

frag mich immer wieder«, sagte Renate nach einer Weile, »wer sie ist und wie es ihr jetzt geht.«

      Sie streichelte ihrem Enkel das Ärmchen.

      »Wem?« Christian konnte dem abrupten Themawechsel nicht folgen.

      »Seiner Mutter.«

      »Louis hat keine Mutter. Er hat zwei Väter.« Christians Ton wurde scharf. »Ich denke mal, sie ist froh, dass sie ihr Problem los ist«, sagte er und betonte das Wort Problem. Säuerlich nahm er Louis den Sauger aus dem Mund, hievte ihn über die Schulter und klopfte ihm vorsichtig den Rücken. »Er schluckt immer zu viel Luft, gierig, wie er ist.« Er wusste nicht, warum Renates Frage ihn ärgerte. Vielleicht, weil sie ihn daran erinnerte, dass zwei Menschen in Amerika seinem Sohn die Hautfarbe, die Form der Nase und alles andere, was sich vererben ließ, mitgegeben hatten. Nicht er und Alex.

      »Habt ihr sie denn getroffen?«, fragte Renate.

      »Wen?«

      »Seine Mutter«, sagte Renate ungeduldig. Christian schnaufte unwillig. Warum jetzt dieses Thema? Warum ihn an einen Menschen erinnern, den er so lange wie möglich zu verdrängen beabsichtigte? Sein Sohn würde früh genug Fragen nach seiner Mutter stellen. Aber heute, an Louis' Feier, wollte er nicht über sie reden.

      »Nein. Sie verließ kurz nach seiner Geburt das Krankenhaus. Drei Tage später hat sie die Adoptionspapiere unterschrieben. Das Thema ist für sie erledigt.« Christian setzte Louis die Flasche neu an, betrachtete ihn verliebt. »Wie man ein wundervolles Geschöpf wie ihn einfach weggeben kann!«

      »Meinst du nicht, sie hatte ihre Gründe?«, fragte Renate vorsichtig.

      »Ihr ist Louis einfach passiert«, sagte Christian und dachte: Und für Alexander und mich ist er das Beste, das uns passieren konnte.

      »Wir sollen nicht schlecht über die Herkunftseltern reden, ich weiß. Aber ich versteh es nicht, Mama! Es will einfach nicht in meinen Kopf! Wie kann man in einem Land wie den USA nur in eine Lage kommen, in der man keine andere Möglichkeit sieht, als ein so wunderschönes Baby einfach wegzugeben? Es gibt die Pille, Kondome, Spiralen.« Christian war aufgestanden und tigerte mit Louis im Arm durch den Salon.

      Renate schluckte.

      »So kenne ich dich gar nicht. Ihr schuldet seiner Mutter viel.«

      »Wir schulden ihr …?« Christian schüttelte den Kopf. »Das ist jetzt ein Scherz, oder?« Er blickte auf Renate herab. »Und nenn sie nicht immer seine Mutter! Man wird nicht automatisch Mama, nur weil man ein Kind gebärt. Dazu gehört ein wenig mehr.«

      »Vielleicht hast du Recht.« Renate stand auf. »Eine Mutter sollte alles versuchen, um ihr Kind zu behalten.« Sie hob den Sektkühler, lächelte. »Aber wer sagt dir, dass sie es nicht getan hat?«

      »Sie ist sofort gegangen«, sagte Christian. Abwartend blickte er seiner Mutter in die Augen. Sie fasste ihn am Kinn.

      »Ihre Not ist euer Glück. Vergiss das nicht. Versuche, ihr etwas Achtung entgegenzubringen.«

      Christian schluckte. Er wusste, dass sie Recht hatte. Beschämt senkte er die Augen. Renate ließ sein Kinn los.

      »Ich bring das Ding zurück.« Sie schwenkte den Sektkühler.

      Louis war über dem Trinken eingeschlafen. Christian nahm ihm den Sauger aus dem Mund und stellte die Flasche auf einem Tischchen ab.

      »Es wird dir an nichts fehlen, mein Sohn, das verspreche ich dir.« Bilder sprangen in ihm hoch, als blättere er in einem Popup-Buch. Das erste zeigt ihn, wie er in Philadelphia auf dem Sofa der Adoptionsagentur sitzt, nervös, gejetlagged, neben sich. Alexander sitzt bei ihm und ist trotzdem fern. Er sagt nichts, sitzt nur stumm da, mit einem Bein wippend, immer schneller, bis Christian es nicht mehr erträgt und die Hand auf sein Knie legt. Dann ist es so weit. Langsam geht die Tür auf. Eine schwarze Frau kommt herein. Sie trägt eine Babyschale, über der als Schutz ein dünnes Tuch liegt. Sie stellt die Trage auf das Tischchen und faltet den Stoff zurück. Da liegt er, die Augen geschlossen. Friedlich. Christian rückt näher an Alexander, schaut abwechselnd zum Baby, zu seinem Mann. Er kann die Situation nicht greifen. Alexanders Gesicht ist ein gefrorenes Lächeln. Wie oft hat Christian sich diesen Moment ausgemalt? Wie oft sich den Funken Liebe vorgestellt, der in diesem Augenblick überspringen würde? Unzählige Male der Wärme im Herzen nachgefühlt, die er empfinden würde, wenn er sein Baby zum ersten Mal sah.

      »That's your son. You are parents now!«, sagte die Frau und lachte. »Hold him, if you want.«

      Will er, besser: kann er das, dieses fremde Kind halten wie seinen Sohn? Christian fühlt Leere. Er blickt auf den Säugling und fröstelt. Da ist kein Funke. Alle Eltern finden ihr Baby wunderschön, schießt es ihm durch den Kopf. Aber Christian findet Louis mit dem zerknautschten Gesicht, dem riesigen Näschen und der schwarzen Haut einfach nur hässlich. Er soll der Vater sein? Von nun an? Von diesem Baby?

      »Darf ich?«, hört er Alexander fragen, der aufsteht und an der Babyschale nestelt. Louis öffnet die Augen, doch Müdigkeit übermannt ihn. Alexander schiebt seine riesige Hand hinter den behaarten Kopf, beobachtet die Adoptionsvermittlerin.

      »You make it great!«, bestätigt sie ihm.

      Ja, Alexander stellt sich vorbildlich an. Nur er, Christian, ist gefühllos wie ein Stein. Tränen kullern Alexander die Wangen herab. Eine tropft dem Baby auf die Stirn. Um den Mundwinkel des Säuglings zuckt ein Lächeln. Sicher, es ist ein unkontrolliertes Babylächeln, aber trotzdem glaubt Christian ein Band zu spüren, das sich in diesem Augenblick zwischen Alexander und Louis knüpft. Bonding sagen die Profis dazu. Und er ist außen vor. Er sitzt wie ein Unbeteiligter daneben.

      »Schau nur, unser Sohn«, flüstert Alexander. Christian begreift die Bedeutung der Worte, aber die Vatergefühle fehlen. Hass steigt in ihm auf. Ist er denn wirklich ein gefühlskalter Mensch? Er, der bei Liebesschnulzen Tonnen von Taschentüchern vollrotzt und seit Jahren an keinem Kinderwagen vorbeikommt, ohne den schmerzhaften Wunsch zu spüren, selbst Vater zu sein? Es ist ungerecht. Er hat das Thema Adoption angesprochen und vorangetrieben. Alexander hat sich lange gegen eine Adoption gesträubt. Er konnte dieses Bohei, das die Heterosexuellen um das Kinderkriegen machen, nicht nachvollziehen. Christian und er sind schwul. Sie dürfen sich ohne schlechtes Gewissen dem Fortpflanzungswahn ihrer Umgebung entziehen. Alexander findet das großartig. Und doch ist es jetzt Alexander, der im entscheidenden Moment jenes Gefühl zu haben scheint, von dem er, Christian, träumt und von dem so viele Adoptiveltern berichten: Sie fühlen im ersten Moment, dass es genau das richtige Kind ist. Sie hätten nie ein anderes gewählt. Christian versucht Louis aus den Augen eines Vaters zu betrachten. Doch er sieht in ihm einen Fremden. Er hasst sich dafür. Und als er Alexander verliebt auf Louis lächeln sieht, gesellt sich zu seinem Hass Neid. Alexander scheint vor Glück zu platzen und ihn, seinen Mann, völlig vergessen zu haben.

      »It's time for a little paperwork«, unterbricht die Adoptionsagentin die Familienzusammenführung und packt einen Stoß Papier auf das Tischchen. Christian schießt von der Couch hoch, nimmt seine Jacke.

      »Tut mir Leid. Ich kann das nicht! Das hier sollte sich anders anfühlen, besser, tiefer, richtiger. Vielleicht hab ich mich geirrt. Vielleicht sollte ich gar nicht hier sein. Ich kann nicht sein Vater sein.«

      Regungslosigkeit. Stille. Alexander scheint ihn nicht gehört zu haben, er lächelt abwechselnd Louis und der Agentin zu, in dessen Rücken Christian steht. In ihrer ausgestreckten Hand steckt ein Kugelschreiber.

      »Das

Скачать книгу