sah mich an und sagte: „Unsere Eltern dachten, die Menschen, die wir auf der Straße sehen, wären unsere Feinde.“ Wir waren alle zum ersten Mal im Ausland. Ich lehnte mich an Linde, sah aus dem Fenster und streichelte sie. Ich sagte: „Außer den gelben Strichen auf der Straße und den kleineren Verkehrszeichen sieht alles fast aus, wie bei uns. Schau die Frauen und die Kinder auf der Straße, könntest du auf sie schießen und einem Führer glauben, dass die Menschen unsere Feinde wären. Der Busfahrer hatte sich etwas verfranzt, weil die Wegweiser anders waren als bei uns. Er hielt an, unsere Lehrerin stieg aus und fragte einen Polizisten. Der Flic, so nennen Franzosen ihre Polizisten, stieg in unseren Bus und erklärte die Strecke. Frau Kofer übersetzte, der Busfahrer hatte alles verstanden und fuhr los. Wir kamen in das kleine elsässische Städtchen Polstheim. Frau Kofer zeigte dem Fahrer den Weg, wir hielten vor der Hofeinfahrt eines hübschen Bauernhofes. Familie Kuefer kam in Hof gerannt und begrüßte uns als wir ausstiegen. Ich hatte Helga sofort erkannt, sie kam mir noch hübscher vor. Sie trug elsässische Tracht und hatte ihre kleine Tochter auf dem Arm. Als ich Helga begrüßte, schaute sie mich lange an und sagte: „Du bist groß geworden und siehst sehr nett aus, darf ich dich in meine Arme nehmen, oder genierst du dich. Lindtraud lachte und sagte: „Der geniert sich nie.“ Helga legte mir ihr Töchterchen in Arm und küsste Rosanna. Sie sagte du bist eine Schönheit geworden. Ich war total überrascht, als das kleine Mädchen mich anlächelte. Ingrid sagte: „Sie heißt Alissia, aber ihr könnt Lisa zu ihr sagen.“ Als Helga mich umarmte, legte ich die kleine Lisa in Rosannas Arm. Ich sagte leise zu Helga: „Du riechst, wie damals.“ Helga lächelte und flüsterte: „Du musst mich wieder loslassen.“ Linde wollte Lisa ebenfalls auf den Arm nehmen. Rosa reichte ihr das kleine Mädchen.“ Helga sagte: „Du hast ein wunderschönes Dirndl an, ihr seid alle sehr hübsch angezogen. Ich freue mich sehr, dass eure nette Klasse uns besucht, endlich höre ich mal wieder unsern Dialekt. Die kleine Lisa wanderte von Arm zu Arm, alle Mädels wollten sie gerne tragen. Lisa fremdelte nicht, im Gegenteil, die vielen Mädels gefielen ihr, sie jauchzte und lachte. Frau Kofer sagte: „Bitte seid mit dem kleinen Mädchen vorsichtig.“ Jetzt lernte ich Helgas Mann kennen. Er war nett und sagte: „Helga hat viel von Larenbuch erzählt.“ Helga stellte ihren Mann vor und sagte, er heißt Fabien. Wir unterhielten uns ziemlich laut, denn wir waren aufgeregt. Esther bat uns, etwas disziplinierter zu sein. Wir gehorchten sofort. Esther Kofer fragte: „Helga bitte komm mit deinem Mann zu unserer Abschlussfeier auf den Forchenmühl.“ Helga versprach anzurufen. Das Wetter war schön, deshalb konnten wir uns im Hof auf Bänke setzten. Die Familie von Helga hatte lange Holztische mit Bänken im Hof. Sie hatte für uns ein Essen vorbereitet. Vor dem Essen zeigte Helga einigen von uns den Bauernhof. Es gab einen Tümpel in dem Enten schwammen, daneben floss ein Bächlein durch verschiedene Teiche. Helga sagte, hier würde ihre Familie Forellen züchten. Es gab natürlich auch Kühe, Schweine und Hühner. Helga fragte Rosanna ganz leise: „Bist du mir noch böse, wegen damals? Bei Louis weiß ich, dass er mir verziehen hat.“ Rosanna meinte: „Du, ich bin dir schon lange nicht mehr böse, aber verstehen kann ich es nicht. Beim Louis musst du dich nicht wundern, du bist so hübsch, er würde vergessen, dass er dir jemals böse war.“ Linde ließ sich den vielseitigen Bauernhof von Fabien erklären. Das interessierte deutsche Bauernmädchen gefiel ihm, er nahm sich Zeit und erklärte ihr den Hof. Er sagte: „Ich glaube, dass wir in Zukunft mit einem Bauernhof nur überleben können, wenn wir nicht nur Landwirtschaft betreiben. Wir müssen nicht nur Fische, Gänse, Enten, Hühner, Schafe und Kühe züchten. Wie du siehst, keltern wir auch hochwertige elsässische Weine. Vielleicht schaffen wir uns noch Pferde an, um den Menschen zu zeigen, wie schön ein Bauernhof ist.“ Lindtraud himmelte ihn an und sagte: „Ich habe darüber auch nachgedacht. Ich würde mich gerne mit ihnen darüber unterhalten.“ „Lindtraud“, antwortete Fabien, „das freut mich, bitte sag du zu mir. Wir sind verwandte Seelen, wohnst du in Larenbuch?“ Linde strahlte ihn an und sagte: „Ich habe mich schon mit meinen Eltern unterhalten, aber sie verstehen nicht, was ich meine.“ Fabien sagte: „Mir ging es anfangs ebenso, jetzt sind sie froh, dass wir vieles geändert haben. Wenn du im Schwarzwald deinen Bauernhof später verändern möchtest, helfen wir dir. Wir haben Erfahrung gesammelt, du kannst negative Erfahrungen vermeiden. Meine Frau freut sich sicher, wenn wir einem so netten Mädel aus ihrem Dorf helfen.“ Linde wich nicht mehr von Fabiens Seite. Sie erzählte ihm von ihrer Idee mit den Feriengästen auf einem Bauernhof.“ Ich konnte Linde verstehen, Fabien war ein klasse Typ. Ich wurde fast ein wenig eifersüchtig. Unsere Lehrerin bemerkte es und sagte leise: „Louis, Linde gehört nur sich und nicht dir.“ Fabien nahm Linde auf den Arm und küsste sie. Lindtraud lachte ihn an und gab ihm einen Kuss auf den Mund, der ihn ein wenig verlegen werden ließ. Helga sagte: „Siehsch, deutsche Mädels sind überhaupt nicht prüde und Kinder haben nichts gegen Franzosen.“ Wir genossen es, im Hof des wunderschönen und traditionellen Bauernhofes im Elsass zu sitzen. Heute würde man sagen, es wäre eine elsässische Besenwirtschaft. Wir saßen gemütlich im Schatten einer Laube, tranken naturtrüben Traubensaft aus eigener Herstellung und aßen elsässischen Flammkuchen, der damals in Deutschland noch unbekannt war und wunderbar schmeckte. Lindtraud wollte von Helga das Rezept. Helga erzählte uns die Geschichte des Flammkuchens: „Wenn die Bauern ihr Brot backen, wissen sie nicht genau, wie heiß der mit Holz beheizte Backofen ist. Sie nehmen vom Teig dünne Streifen und bestreichen diese mit dicker saurer Sahne, legen Speck und Zwiebelstreifen drauf und schieben die dünnen Streifen in Backofen. Wenn der Holzbackofen heiß ist, werden die dünnen belegten Streifen knusprig. Die Bauern erkennen, dass sie jetzt im Ofen Brot backen können. Als sich Lindtraud das Rezept aufgeschrieben hatte, sagte Fabien: „Linde du bekommst von uns die Genehmigung, und darfst dein Gebäck „Elsässer Flammkuchen“ nennen und wirst die erste Bäuerin im Schwarzwald, die diese Spezialität anbietet. Dein Backofen muss allerdings sehr heiß sein und du musst für den Flammkuchen Weizenmehl nimmst, weil ihr Roggenmehl für euer Brot verwendet. Ingrid hatte ihr Töchterchen schlafen gelegt und sich zwischen Rosanna und mich gesetzt, sie sagte leise: „Bisch du uf mein Ma vielleicht eifersüchtig, weil er d' Linde küsst hat?“ Rosanna sagte leise: „Ingrid, ihr könnt tausche, weil dr Louis die fascht wegguckt. Bitte verschprich uns, dass du mit deim Fabien zu unserer Abschlussfeier kommsch. Es wär so toll, wenn au Franzose dabei wäret, no dätet d' Leut endlich säh, dass es zwischen uns keine Feindschaft mehr gibt. I weiß no wie d' Leut über dich gschwätzt hen, als du en Franzos g' heiratet hasch.“ Fabien und unsere Lehrerin hatten zugehört. Fabien sagte: „Linde, wenn du mir deinen Bauernhof zeigst, dann kommen wir zu eurem Schulfest.“ Linde lehnte sich an ihn und sagte: „Wenn ihr kommt, zeige ich euch was du willst.“ Fabien wandte sich an Frau Kofer und sagte: „Können sie uns ein Zimmer in einem Gasthof bestellen, wir übernachten natürlich und fahren nachts nicht zurück.“ Esther freute sich und schrieb ihm die Adresse vom Ochsen auf, Helga kannte den Gasthof. Linde gab Fabien die Telefonnummer und sagte zu Helga: „Du kennst sicher den Gerner-Bauernhof, aber mir telefonieret. Du hasch en arg nette Mann, vielleicht darf i dir au en Kuss gebe.“ Helga freute sich ihren Heimatdialekt zu hören und küsste Linde. Ich wäre gerne länger geblieben. Wir wollten nach Straßburg, deshalb mussten wir uns von der netten elsässischen Familie verabschieden. Helgas Schwiegermutter sagte: „Helga, fahr doch mit, das tut dir gut, dann kannst du den deutschen Kindern Straßburg zeigen. Wir geben dir unsern kleinen Renault, dann zeigst du dem Omnibus den Weg und fährst voraus. Fast alle Kinder nutzen die Toiletten der „Besenwirtschaft“. Als Rosanna und ich uns verabschiedeten, sagte die Schwiegermutter von Ingrid in ihrem elsässischen Dialekt: „Jetzt kann ich Helga verstehen, warum sie immer noch an die Kinder aus ihrem Kindergarten denkt und manchmal von euch spricht, ihr seid wirklich arg nette Kinder. Wenn ihr mal wieder im Elsass seid, kommt bitte besucht uns, ihr seid immer herzlich willkommen.“ Rosanna sagte: „Meine Eltern haben inzwischen ein Auto, wir besuchen euch sicher und nehmen Louis und Lindtraud mit.“ Auf Rückfrage, erzählte Rosanna, dass ihr Vater Zahnarzt wäre. Sie sagte verschämt: „Er war auch mal ein Nazi, aber jetzt nicht mehr und er schämt sich dafür, meine Mutter war nie in der Nazipartei.“ Helgas nette Schwiegermutter sagte zu Rosanna: „Du musst keinem erzählen, dass dein Vater Nazi war und du musst dich dafür nicht schämen. Dein Vater war noch sehr jung, als er Nazi wurde und hat nicht richtig nachgedacht. Behalte das, wenn du in Frankreich bist, für dich. Deinem Vater sieht das niemand an, deshalb sprechen wir nicht mehr davon. Wir freuen uns, wenn ihr uns besucht. Schau, unsere Familie hieß früher mal Küfer, weil wir, wie viele Elsässer mal deutsch und mal französisch