Die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Martin Renold

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Die Zeit des Zweiten Weltkriegs - Martin Renold

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die Signale, alles von Hand gemacht. Wenn einmal ein Zug entgleiste, kroch Paul unter den grünen Vorhang, und dann tauchte irgendwo zwischen den Hügeln Pauls Kopf auf, und ein Arm zwängte sich durch die enge Öffnung, die Hand streckte sich aus und stellte Lokomotive und Wagen wieder aufs Gleis.

      Paul war der Leiter der „Roten Falken“. Eines Tages fragte mein Vater mich und Ruth: „Wollt ihr nicht auch zu den Roten Falken gehen? Paul Stadler holt euch morgen Nachmittag ab.“

      Ich hatte keine Ahnung, was für Vögel diese Roten Falken waren. So eine Art Pfadfinder, erklärte uns der Vater.

      Anderntags läutete Paul an der Tür. Wir beide mochten ihn. Er war fast so etwas wie ein großer Bruder.

      Von da an gingen wir jede Woche ins Buchenwald-Schulhaus.

      Im Sommer, bei schönem Wetter, traf man sich allerdings oft auch anderswo, wanderte dann über die Hügel, streifte durch die Wälder, spielte auf einem einsamen Waldweg Völkerball oder hatte Gelegenheit, ein paar Rehe zu beobachten. Wir sagten „Freundschaft“, wenn wir uns begegneten oder verabschiedeten. Nicht „Gruezi“ oder „Tschau“. Freundschaft war ein schönes Wort. Doch als Begrüßung kam es mir nur zögernd über die Lippen.

      Einige der Jungen und Mädchen trugen blaue Hemden mit einem roten Halstuch, das sie zu einem Dreieck zusammengelegt über die Schulter trugen und vorn verknoteten. Meine Schwester und ich hatten keine Uniform. Vielleicht weil Vater kein Geld dafür hatte. Uns war’s recht. So fielen wir auf dem Hin- und dem Heimweg nicht auf.

      Die Italienerkinder im Buchwaldquartier, das als „Tschinggenviertel“ bekannt war – Mutter kaufte dort immer vor Weihnachten in einem kleinen Laden einen großen Salami –, riefen uns so schon „Sozi“ nach. Hätten wir uns in der Abenddämmerung nicht auf Umwegen heimgeschlichen, hätte es wohl auch Prügel absetzen können. Besonders im Winter, wenn es abends schon dunkel war, begleitete uns die Angst.

      Agitation, wie ich mit meinem Hitler-Vers, gegen die Nazis oder für die Roten betrieben wir nicht. Wir standen im Werkraum des Schulhauses um die Tische und bastelten oder saßen auf den breiten Fenstersimsen und sangen Lieder, die man in der Schule nicht lernte:

      Brüder, zur Sonne, zur Freiheit,

      Brüder, zum Licht empor,

      hell aus dem dunklen Vergangnen

      leuchtet die Zukunft hervor.

      Oder aber auch „Die Internationale erkämpft das Völkerrecht“. Oder harmlosere wie „Schwarzbraun ist die Haselnuss“.

      Und dann kam eines Tages Franz Schmid. Wir durften Franz zu ihm sagen.

      Er erzählte von der geplanten Landesausstellung und dass es dort ein Kinderparadies gebe. Wir seien allerdings schon zu alt. Das sei nur für die Kleinen, die dort abgegeben würden, damit ihre Eltern in Ruhe durch die Ausstellung gehen könnten. Dort sollten wir ein Märchenspiel aufführen. „Pechvogel und Glückskind“. Dazu brauche er ein paar Schauspieler, Knaben und Mädchen, die gut auswendig lernen könnten.

      „Was meinst du? Wie heißt du? Martin Pfändler. Ach so, du bist der Bub vom Otto Pfändler. Du könntest den Pechvogel spielen. Frag doch einmal deinen Vater. Oder soll ich’s tun?“

      Und so kam es, dass ich Woche für Woche im Volkshaus probte. Und Woche für Woche fieberte ich jener kurzen Szene entgegen, in der ich vom Glückskind den Kuss empfangend durfte.

      Zur Uraufführung lud ich meinen Lehrer ein. Dem war es wohl ein wenig peinlich, an einem Sonntagnachmittag ins Volkshaus zu gehen, das er sicher nur von außen kannte und wo nur die Sozis hineingingen. Doch er kam. Und nach der Vorstellung durfte ich verlegen sein Lob entgegennehmen.

      Und endlich kam der ersehnte, aufregende Tag. Mit dem Zug fuhr die Schar nach Zürich. Zweimal spielten wir, am Vormittag und am Nachmittag. Dazwischen gab es als Verpflegung ein feines Birchermus mit frischen Erdbeeren und Schlagrahm. Und wie die Kleinen lauschten wir in der Mittagspause zu Füssen der Märchentante und fuhren wir in den kleinen Autos auf der kurvenreichen Bahn den Hang hinunter, ehe wir selber wieder in Aktion traten.

      Wenn Lotti mich küsste und wenn ich ihr den Kuss zurückgab, wusste ich, dass nicht sie, sondern ich das Glückskind – und sie der Pechvogel war.

      Berichtigung: Nachdem das Buch 1992 zum ersten Mal erschienen war, bekam ich einen Brief von Lotti Fechenbach. Ehemalige Mitschülerinnen vom Talhof in St. Gallen hatten sie auf mein Buch aufmerksam gemacht. Sie sei zwar auch bei den Roten Falken gewesen, aber sie habe nie Theater gespielt. Es muss also doch das andere Flüchtlingskind gewesen sein, das mit seinen Eltern nach England auswanderte. Welches Schicksal jenes Mädchen in Deutschland erfahren hat, weiß ich nicht, aber sicher ändert es nichts an unseren vertauschten Rollen als Pechvogel und Glückskind.

      Ich lernte Lotti Fechenbach in Zürich persönlich kennen. Sie wohnte kaum fünfzig Meter von dem Verlag entfernt, in dem ich arbeitete. Bei einer Ausstellung über Felix Fechenbach stellte sie mir auch ihren nach den USA ausgewanderten Bruder vor, der extra zur Eröffnung der Ausstellung gekommen war.

      … die Bewegung [gemeint ist die NSDAP] ist antiparlamentarisch, und selbst ihre Beteiligung an einer parlamentarischen Institution kann nur den Sinn einer Tätigkeit zu deren Zerstörung besitzen…“

      Adolf Hitler, „Mein Kampf“

       Wenn ich so die intellektuellen Schichten bei uns ansehe – leider, man braucht sie ja, sonst könnte man sie eines Tages ja … ausrotten oder so was … dann wird mir fast Angst.

      Adolf Hitler, Rede am 10. November 1938

      ... zahlreiche Götter … deutsche Politiker, ausländische Diplomaten, deutsche Industrielle, Generale und Dienststellen der Reichswehr, Verleger, Ärzte, vermögende Frauen und andere Angehörige des Besitzbürgertums und des Adels [haben] ihn ... schon seit Dezember 1920 …. wirkungsvoll unterstützt.“

      Werner Maser, „Adolf Hitlers ‚Mein Kampf‘“

       Diese maßgebenden Kreise in Deutschland wären an sich in der Lage gewesen, Hitler entweder von der Regierung fernzuhalten oder ihn nach seiner Machtübernahme abzusetzen. Er ... hatte es verstanden, ihnen die Überzeugung beizubringen, er allein sei zur Rettung Deutschlands berufen und alle seine Maßnahmen dienten nur diesem Ziel.

      Max Domarus

       Was für ein Glück für die Regierung, dass die Menschen nicht denken.

      Adolf Hitler am 18. Januar 1942

      Die Masse ist wie ein Tier, das Instinkten gehorcht … Nur die fanatisierte Masse wird lenkbar … In einer Massenveranstaltung ist das Denken ausgeschaltet … in der Kunst der Massenbeeinflussung [ist mir] keiner gewachsen; auch Goebbels nicht.“

      Adolf Hitler, 1933, aus: Rauschning, „Gespräche mit Hitler“

       Ich habe sie gegeben. Was weiter! Alle haben Streichhölzer gegeben. Fast alle! Sonst wäre nicht die ganze Stadt niedergebrannt … ganz abgesehen davon, dass ich in Treu und Glauben gehandelt habe! … Wir haben nicht gewusst, dass ihr die Teufel seid. Ehrenwort! Wenn wir gewusst hätten, dass ihr wirklich die Teufel seid …

      Max Frisch: „Nachspiel zu Biedermann

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