Die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Martin Renold

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Die Zeit des Zweiten Weltkriegs - Martin Renold

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hatte es nicht gegeben. Oder nahm man ihn damals schon nicht mehr oder noch nicht ernst?

      Natürlich waren bei allen Häusern die Fenster aufgegangen, und die Nachbarn streckten die Köpfe heraus. Doch hatte keiner etwas gesehen. Der Lärm hatte sie aufgeschreckt. Wir waren stolz, die einzigen Augenzeugen in der näheren Umgebung zu sein, und erzählten aufgeregt, was wir gesehen hatten. Wobei Bruno mehrere Male das Wort Kartoffelsack in den Mund nahm.

      Nachdem wir die Neugier an den Fenstern und unser angeschwollenes Selbstgefühl genug befriedigt hatten, verlangte es uns, dem Drängen nachzugeben, um die Bestätigung für den vermutlichen Abschuss zu suchen. Wir riefen unseren Müttern an den Fenstern zu, was wir vorhatten.

      Zurückhalten konnten sie uns nicht. Die Mahnungen verhallten ins Leere.

      Dann rannten wir drei davon. Bei der Neudorfkirche ging uns der Schnauf aus. Aber noch immer legten wir ein forsches Marschtempo ein. An der Oberen Waid vorbei. Da war der Flieger sicher noch nicht abgestürzt. Auch Gildo musste seine Ansicht revidieren. Aber bei der Unteren Waid. Doch da war weit und breit nichts zu sehen. Auf der Höhe von Mörschwil auch noch nicht. Als wir die ersten Häuser von Goldach erreichten und der Bodensee schon ganz nahe war, dämmerte bereits der Abend.

      Irgendwo an einem Haus lagerte eine Frau ihren schweren Busen auf dem Fenstersims. Haben Sie das Flugzeug gesehen? Ja. Ist es abgestürzt? Eine Weile sah es so aus, als ob es im Altenrhein landen wollte, aber es flog noch einmal hoch. Aber im Bregenzer Wald ist es sicher abgestürzt. Man hat einen Knall gehört.

      Enttäuscht kehrten wir um. Allzu gerne hätten wir, wenn nicht die Trümmer gesehen, so doch die Gewissheit nach Hause genommen, dass die deutsche Luftwaffe um ein weiteres Flugzeug, abgeschossen von unseren Jägern, geschwächt worden war.

      Später kam es noch oft vor, dass deutsche Flugzeuge im Luftkampf über der Schweiz abgeschossen wurden. Sehr zum Ärger Hitlers. Schließlich gab man dem Druck nach. Man versprach, nicht mehr auf deutsche Flugzeuge zu schießen. Was machte es schon aus. Jetzt kamen ja auch keine mehr. Der Krieg in Frankreich war vorbei. Die deutschen Flugzeuge kamen weit weg von der Schweiz zum Einsatz: über England, in Russland, auf dem Balkan, in Afrika. Hitlers unberechenbarer Zorn war besänftigt.

      Die alliierten Bomber, die später kamen, wurden nur vom Boden aus beschossen, oder besser gesagt: bedroht.

      Albert war der Freund meiner Schwester. Er kannte alle deutschen, englischen und amerikanischen Flugzeugtypen. Er wusste auch, wo sich die geheimen Militärflugplätze der Schweiz befanden, die ich dann auf der Landeskarte an der Wand in meinem Schlafzimmer einzeichnete. Als er es sah, schrie er mich an. „Du Arsch. Das ist doch streng geheim. Hast du dir überlegt, was passiert, wenn die Deutschen kommen?“

      „Selber Arsch. Glaubst du, die Karte würde nicht sofort im Ofen verbrannt? Das ist nur, damit ich’s mir selber besser einprägen kann. Ich bin doch kein Landesverräter.“

      Da Albert, der bereits Militärdienst leistete, auch sonst über alles Bescheid wusste, glaubte ich selbstverständlich auch die Geschichte, die er mir eines Tages erzählte: Kürzlich seien alliierte Flugzeuge über die Schweiz geflogen, wie dies ja später fast täglich geschah. Die Schweizer hätten hinaufgefunkt: „Ihr fliegt über die Schweiz. Wir müssen auf euch schießen.“ Von oben hätten sie zurückgefunkt: „We know it.“ Die Flak habe das Feuer eröffnet, und die Piloten hätten wieder gefunkt: „Ihr müsst höher schießen.“ Darauf die Schweizer wieder. „We know it.“

      Tatsache ist, dass kaum je ein alliiertes Flugzeug heruntergeholt wurde. Während von den deutschen ungefähr jedes zweite abgeschossen worden war, stieg die Abschussrate bei den Alliierten kaum über ein bis zwei Prozent. Und dann war es wohl meist aus Versehen und mit höchstem Bedauern. Natürlich nicht von offizieller Seite. Bei einem Fall handelte es sich sogar um ein führerloses Flugzeug, das über unser Gebiet flog, nachdem die Besatzung schon über Feindgebiet abgesprungen war.

      All dies ereignete sich allerdings erst im dritten oder vierten Kriegsjahr. Einmal in jenen Jahren war Sophie, eine Cousine aus dem Aargau bei uns in den Ferien. Es war ein schöner, wolkenloser, fernsichtiger Tag, als ich mit ihr nach Guggeien spazierte, wo man einen großen Teil des Bodensees überblicken kann, und weit in „Feindesland“ hinein. Auf dem Rückweg strolchten wir noch lange im Guggeienwald herum. Ich war verliebt in das zwei Jahre jüngere Mädchen. Doch ich balgte mich oft mit Sophie. Wie anders hätte ich sonst ihren heranreifenden, sich rundenden und lusterregenden Körper berühren dürfen? Was ich als zärtliche Wollust empfand, hielt Sophie für Zudringlichkeit und Streitsucht. Doch je mehr sie sich wehrte, umso heftiger packte ich sie an ihren Armen, zwang sie zu Boden, bis sie in Tränen ausbrach und schließlich abzureisen begehrte. Doch draußen im Freien fühlte sie sich sicher. Und selbst im Wald, wo uns niemand begegnete, hätte ich nicht gewagt, sie festzuhalten, wenn sie vor mir davonsprang und ich sie einzuholen versuchte.

      Ich hatte eben eine blauschwarz gestreifte Feder eines Eichelhähers vom Boden aufgelesen, damit Sophies Wangen berührt und sie ihr dann zum Geschenk überlassen, als von der nahen Stadt her die aufheulenden Sirenen ertönten. Fliegeralarm. Doch dies ängstigte uns nicht. Hier im Wald waren wir sicher. Aber plötzlich hörten wir dumpfes Motorengebrumm, das immer näher kam. Ich zog meine Cousine zum Waldrand, wo sich die Wiese sanft zum weiten Talgrund hinunterneigt. Und da sahen wir ganz niedrig über der Talmulde eine Fliegende Festung kreisen. Langsam drehte sie sich, flog auf den Waldrand zu. Wendete. Beinahe über unseren Köpfen. Und dann kam eine zweite, eine dritte und noch eine und noch eine. Alle kamen über den Bodensee herübergeflogen. Schließlich waren es acht oder neun große Bomber. Ein riesiges Karussell, das sich langsam bis zum Kirchturm der Marienkirche im Neudorf drehte. Ich sprang auf die Wiese hinaus, machte mich bemerkbar. Die Piloten mussten mich doch sehen, wenn sie so niedrig flogen. Ich winkte, gestikulierte, zeigte mit beiden Armen nach Westen, Richtung Dübendorf, wo alle angeschossenen amerikanischen Bomber, wenn sie von ihren Luftangriffen auf München oder Friedrichshafen zurückkamen, landen konnten.

      Schließlich kamen zwei schweizerische Jagdflugzeuge, kreisten über den fliegenden Festungen, und wie folgsame Kinder auf dem Schulausflug hinter ihrem Lehrer zogen die mächtigen Kolosse in Reih und Glied hinter den beiden Jägern dem sicheren Ziel entgegen.

      Endalarm. Noch ehe wir zu Hause anlangten und von unserem Abenteuer berichten konnten.

      Anfänglich hatten wir den Alarm nicht so leicht genommen. Schon vor dem Krieg waren Sirenen installiert worden, und bei einigen Probealarmen musste die Bevölkerung sofort den nächsten Keller oder Hausflur aufsuchen.

      Eines Nachts aber wurde es ernst. Das Heulen der Sirene riss mich aus dem Schlaf. Ich stürzte aus dem Bett, in die Stube. Vater, Mutter und Ruth kamen aus ihren Schlafzimmern. Wir traten ans Fenster. Vater horchte hinaus in die Nacht. Nachdem der unheimliche, auf- und abschwellende Heulton verklungen war, schien die Stille noch lautloser zu sein als in anderen Nächten. Nur das Herzklopfen. Die Dunkelheit war eine schwarze Unendlichkeit voller Furcht und Grauen. Ich zitterte am ganzen Leib. Kommen die Deutschen? Haben auch wir jetzt Krieg? Vater beschwichtigte. Nein, nein, ihr braucht keine Angst zu haben. Die Deutschen kommen nicht mitten in der Nacht. Am Morgen in der Frühe. Doch nicht um diese Zeit. Aber sicher war er wohl auch nicht. Vermutlich ist ein Flugzeug eingeflogen.

      O diese unheimliche Stille, diese Dunkelheit. Kein Licht. Die Nacht stockfinster. Diese Angst. Todesangst. Würde nun doch alles kommen? Bomben? Zerstörung? Besetzung? Gestapo, Schrecken und Tod? – Und dann auf einmal die Erlösung. Das gleichmäßige Heulen der Sirenen. Das Ausklingen und vom Hagenbuchwald herab das Echo – oder war es eine entfernte Sirene? Und dann war wieder alles wie zuvor. Und doch nicht. Der Schlaf war anders. Die Unsicherheit blieb. Die Angst, ob nicht doch am Morgen die deutschen Panzer über die Rheinbrücken und durch die Straßen rasselten.

      Vater

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