Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi. Franz Gnacy
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi - Franz Gnacy страница 3
Um ein gutes Leben zu führen, muss man verstehen, was Leben ist, was man im Leben tun, und was man lassen muss. Das haben zu allen Zeiten die weisen und besten Männer aller Völker gelehrt. Die Lehren dieser weisen Männer laufen in der Hauptsache auf eins hinaus. Dieses Eine besteht in der Erklärung des Lebens und der Aufklärung darüber, wie man es hinbringen muss. Das ist der wahre Glaube.
Was ist diese ganze unendliche Welt, von deren Anfang und Ende ich nichts weiß; was ist mein Leben in ihr, und wie muss ich dieses Leben hinbringen?
Nur der Glaube antwortet auf diese Fragen.
Der wahre Glaube besteht in der Kenntnis des höchsten, alle Menschensatzung überragenden Gebotes, das für alle eins ist.
Vielleicht gibt es viele falsche Religionen, wahre gibt es aber nur eine.
Wenn du an deinem Glauben zweifelst, ist er schon kein Glaube mehr.
Der Glaube ist nur dann Glaube, wenn dir nicht einmal der Gedanke kommt, das, was du glaubst, könnte unwahr sein.
Es gibt zwei Glauben: erstens den an die Richtigkeit dessen, was die Menschen sagen – das ist der Glaube an einen oder mehrere Menschen. Solcher Glauben gibt es viele. Zweitens den an die Abhängigkeit von Dem, Der mich in die Welt gesandt hat. Das ist der Glaube an Gott, und der ist für alle Menschen derselbe.
Die wahre Glaubenslehre ist stets klar und einfach.
Glauben heißt dem vertrauen, was uns offenbart wird, ohne zu fragen, warum das so ist und was daraus folgt. Das ist der wahre Glaube. Er zeigt uns, wer wir sind und was wir deswegen tun müssen, sagt aber nichts darüber, was daraus folgt.
Wenn ich an Gott glaube, habe ich nicht danach zu fragen, was aus meinem Gottesglauben folgt; denn ich weiß, dass Gott die Liebe ist und dass aus der Liebe nur Gutes folgen kann.
Das wahre Lebensgesetz ist so einfach, klar und verständlich, dass man sein schlechtes Leben nicht damit rechtfertigen kann, man habe keine Kenntnis dieses Gesetzes. Wer dem wahren Lebensgesetzt zuwider lebt, dem bleibt nur eins übrig: auf die Vernunft zu verzichten. Das geschieht denn auch.
Da heißt es, die Erfüllung der Gebote Gottes sei schwer. Das ist nicht wahr. Die Gebote verlangen von uns nur Liebe zum Nächsten. Liebe ist aber nicht schwer, sondern ein frohes Werk.
Wenn jemand den wahren Glauben kennen lernt, so geschieht mit ihm dasselbe wie mit dem, der in einem dunklen Zimmer Licht anzündet. Alles wird hell und Frohsinn zieht ins Herz hinein.
Der wahre Glaube besteht in der Liebe zu Gott und dem Nächsten.
„Liebet einander, wie ich euch geliebt habe, so werden alle erfahren, dass ihr meine Schüler seid, wenn ihr die Liebe zueinander habt“, hat Christus gesagt. Er sagte nicht: Wenn ihr dieses oder jenes glaubt, sondern wenn ihr l i e b t. Der Glaube kann bei verschiedenen Menschen zu verschiedenen Zeiten verschieden sein; die Liebe aber ist stets und bei allen dieselbe.
Die wahre Religion besteht in einem: Liebe zu allen Lebenden.
Die Liebe bringt den Menschen Heil, weil sie diese mit Gott vereinigt.
Christus hat den Menschen geoffenbart, dass das Ewige nicht das Zukünftige ist, sondern dass es jetzt in diesem Leben unsichtbar in uns lebt; dass wir ewig werden, wenn wir uns mit dem Geiste Gottes vereinigen, in dem alles lebt und sich bewegt.
Diese Ewigkeit erreichen wir nur durch Liebe.
Der Glaube lenkt unser leben
Nur der kennt das Lebensgesetz, der es befolgt.
Jeder Glaube ist nur die Antwort auf die Frage: wie muss ich – nicht vor Menschen, sondern vor Dem leben, Der mich in die Welt gesandt hat.
Beim wahren Glauben ist nicht wichtig, über Gott, die Seele und das, was war und sein wird, gut zu urteilen, sondern nur: genau zu wissen, was man in diesem Leben tun und lassen muss.
Wenn jemand ein schlechtes Leben führt, rührt das nur daher, dass er keinen Glauben hat. Das kommt auch bei ganzen Völkern vor. Wenn ein Volk ein schlechtes Leben führt, rührt das daher, dass das Volk den Glauben verloren hat.
Das Leben der Menschen ist nur insofern gut oder schlecht, wie sie das wahre Lebensgesetz auffassen. Je klarer und bewusster das geschieht, umso besser ist ihr Leben, und je verworrener man den Sinn des Lebensgesetzes auffasst, umso schlechter ist das Leben.
Um aus dem Schmutz der Sünde, der Sittenverderbnis und des Jammerlebens, das man jetzt führt, herauszukommen, ist nur eins erforderlich: ein Glaube, in dem die Menschen nicht, wie jetzt, jeder für sich, sondern alle gemeinsam leben, sich zu einem Gebot und einem Lebensziel bekennen. Nur dann können die Menschen beim Beten der Worte „Dein Reich komme auf Erden wie im Himmel“ hoffen, dass Gottes Reich wirklich auf Erden kommt.
Wenn eine Religion lehrt, man müsse dem ewigen Leben zu lieb auf dieses Leben verzichten, so ist das eine falsche Religion. Man kann nicht dem ewigen Leben zu lieb auf dieses Leben verzichten, weil das ewige Leben schon in diesem enthalten ist.
Je stärker der Glaube jemandes ist, umso bestimmter ist sein Leben. Ein Leben ohne Glauben ist das Leben eines Tieres.
Falscher Glaube
Das Lebensgesetz: Gott und seinen Nächsten lieben, ist einfach und klar – jeder, der zur Vernunft kommt, empfindet es in seinem Innern. Wenn es also keine Irrlehren gäbe, würden alle Menschen dieses Gesetz befolgen, und das Himmelreich herrschte auf Erden.
Falsche Propheten haben aber überall und stets die Menschen gelehrt, für Gottes Gebot zu halten, was nicht Gottes ist. Und man hat den falschen Lehren geglaubt und sich vom wahren Lebensgesetz und der Erfüllung der wahren Gebote entfernt, und so ist das Leben immer schwerer und unglücklicher geworden.
Man muss keiner Lehre glauben, die nicht zur Liebe zu Gott und zum Nächsten führt.
Man muss nicht glauben, eine Religion sei deswegen wahr, weil sie alt ist. Im Gegenteil, je länger die Menschen leben, umso klarer wird ihnen das wahre Lebensgesetz. Die Annahme, wir in unserer Zeit müssten dasselbe glauben, wie unsere Väter und Großväter, ist gerade so wie die, dem erwachsenen Manne müsse die Kinderkleidung passen.
Wir grämen uns darüber, dass wir den Glauben unserer Väter nicht mehr besitzen. Darüber müssen wir uns nicht grämen, sondern uns bemühen, in uns einen Glauben zu erwecken, dem wir ebenso fest anhängen, wie unsere Väter dem Ihrigen.
Um den wahren Glauben zu erlangen, muss man vor allem eine Zeitlang dem Glauben entsagen, dem man blindlings ergeben war, und mit der Vernunft alles prüfen, was einem von klein auf gelehrt ist.
Lebte einst ein Arbeiter in einer Stadt. Der wurde mit seiner Arbeit fertig und ging nach Hause. Auf dem Heimwege begegnete ihm ein Wanderer. Der sagte: „Lass uns zusammen gehen; ich habe denselben Weg und kenne ihn gut. Der Arbeiter glaubte dem Fremden und sie gingen zusammen.
Gingen eine, zwei Stunden; dem Arbeiter kommt es vor, als wenn