Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi. Franz Gnacy
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So geht es denen, die nicht auf die Stimme in ihrem inneren hören, sondern an das glauben, was Fremde über Gott und Sein Gebot sagen.
Schlimm ist, dass die Menschen Gott nicht kennen; das Schlimmste aber, dass sie für Gott halten, was nicht Gott ist.
Über äußere Gottesverehrung
Der wahre Glaube besteht darin, an ein einziges Gebot zu glauben, das für alle Menschen maßgebend ist.
Wahrer Glaube zieht stets nur in der Einsamkeit und Stille ins Herz.
Der richtige Glaube besteht darin, stets ein gutes Leben in Liebe zu allen zu führen; gegen die Nächsten so zu handeln, wie man selbst behandelt werden möchte.
Darin besteht der wahre Glaube. Diesen haben stets alle Weisen und Heiligen aller Völker gelehrt.
Jesus sagte zu den Samaritern nicht: Gebt euren Glauben und eure Überzeugungen auf und nehmt den jüdischen Glauben an. Er sagte zu den Juden nicht: Vereinigt euch mit den Samaritern. Sondern er sagte diesen wie jenen: Ihr seid beide übel beraten. Wichtig ist nicht Garizim oder Jerusalem – es kommt eine Zeit, sie ist schon nahe, wo man den Vater nicht in Garizim, nicht in Jerusalem anbetet, sondern wo die wahrhaft Frommen den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten, denn solche Anhänger sucht der Vater.
Solche Anhänger sucht Jesus zur Zeit Jerusalems. Er sucht sie noch jetzt.
Ein Herr hatte einen Arbeiter. Der wohnte in einem Hause mit dem Herrn und sah ihn häufig am Tage. Der Arbeiter arbeitete immer weniger und wurde schließlich so faul, dass er gar nichts mehr tat. Der Herr sah das mit an, sagte aber nichts, sondern wandte sich nur ab, wenn jener ihm begegnete. Der Arbeiter sah, dass der Herr unzufrieden mit ihm war und wollte sich bei ihm einschmeicheln ohne zu arbeiten. Er ging zu den Bekannten und Freunden des Herrn und bat sie, dafür zu sorgen, dass der Herr ihm nicht böse sei. Der Herr erfuhr das, rief den Arbeiter zu sich und sagte: Warum bittest du andere, Fürsprache für dich einzulegen? Du bist ja stets in meiner Nähe, kannst mir selbst sagen, was du nötig hast. Der Arbeiter wusste nichts zu erwidern und ging fort. Jetzt ersann er etwas anderes: sammelte Eier, die dem Herrn gehörten, nahm dazu die Henne und bracht alles dem Herrn als Geschenk dar, damit dieser ihm nicht zürnte. Da sagte der Herr: „Erst bittest du meine Freunde um Fürsprache, obwohl du selbst mit mir sprechen kannst. Jetzt kommst du auf den Gedanken, mich durch Geschenke zu gewinnen. Alles, was du da hast, ist mein Eigentum. Aber selbst wenn du mit deine eigenen Gaben brächtest – ich brauche deine Geschenke nicht.“ Jetzt kam der Arbeiter auf einen dritten Einfall: Er verfasste ein Gedicht zum Ruhme des Herrn, begab sich unter sein Fenster, ging dort auf und ab, deklamierte und sang laut das Gedicht, nannte den Herren groß, allgegenwärtig, allmächtig, Vater, Gnadenbringer und Wohltäter. Da rief der Herr den Arbeiter wieder zu sich und sagte: "Erst wolltest du mir durch andere gefällig sein; dann beschenktest du mich mit meinem Eigentum; jetzt bist du auf einen noch sonderbareren Einfall gekommen; schreist und singst, ich sei der und der – dabei kennst du mich gar nicht und willst mich nicht kennen. Ich brauche weder die Fürsprache anderer für dich, noch deine Geschenke, noch dein Lob, das Lob Dessen, Den du nicht kennen kannst. Ich brauche nur deine Arbeit."
Gott braucht nur unsere guten Werke.
Darin liegt das ganze Gesetz.
Der Begriff der Belohnung für ein gutes Leben ist mit dem wahren Glauben unvereinbar
Wenn jemand nur deswegen an seinem Glauben festhält, weil er in Zukunft alle möglichen äußeren Wohltaten dafür erwartet, so ist das kein Glaube, sondern Berechnung, und diese ist stets unsicher. Sie ist deswegen unsicher, weil der wahre Glaube nur in der Gegenwart Glück gibt, äußeren Lohn in der Zukunft aber nicht gibt und nicht geben kann.
Jemand wollte sich als Arbeiter verdingen. Und fand zwei Stellenvermittler. Er sagte ihnen, dass er Arbeit suche. Da wollten beide Vermittler ihn haben, jeder für seinen Herrn. Der eine sagte: „Komm zu meinem. Die Stelle ist gut. Allerdings, wenn du nicht parierst, fliegst du ins Loch und bekommst Prügel; wenn du aber deine Pflicht tust, gibt es kein besseres Leben. Wenn du mit der Arbeit fertig bist, kannst du müßiggehen, hast jeden Tag Gäste, Wein, Süßigkeiten, Ausfahrten. Musst ihm nur dienen. Dann führst du ein Leben, wie du es dir nicht besser wünschen kannst.“ So lockte der eine Vermittler den Arbeiter zu sich.
Der andere forderte ihn ebenfalls auf, zu seinem Herren zu kommen, sagte aber nicht darüber, wie der Herr den Arbeiter lohnen würde; konnte nicht einmal angeben, wie und wo die Arbeiter wohnten, und ob ihre Arbeit schwer oder leicht sei; er konnte nur sagen: der Herr sei gut, er bestrafe niemanden und wohne selbst bei den Arbeiter.
Da dachte der Mensch, der Arbeit suchte, über den ersten Herren: Er verspricht doch eigentlich reichlich viel. Wenn die Sache mit rechten Dingen zugeht, kann man nicht so viel versprechen. Lässt man sich durch das üppige Leben verlocken, so stellt es sich hinterher womöglich als sehr kümmerlich heraus. Der Herr muss auch böse sein, weil er diejenigen strenger bestraft, die nicht seinen Willen tun. Ich werde lieber zum zweiten gehen; der verspricht nichts, soll aber gut sein und wohnt selbst bei den Arbeitern.
So ist es mit den Religionen. Die einen Lehrer suchen die Menschen dadurch zu einem guten Leben zu bewegen, dass sie sie durch Strafen erschrecken und ihnen Lohn in jener Welt in Aussicht stellen, wo noch niemand war. Die anderen Lehrer lehren nur, dass der Anfang alles Lebens, die Liebe in den Seelen der Menschen wohnt und dass der wohl fährt, der ihr folgt.
Wer Gott um ewigen Lohn dient, dient sich selbst und nicht Gott.
Der Hauptunterschied zwischen wahrem und falschem Glauben ist der, dass man beim falschen Glauben den Wunsch hat, Gott möchte einem wegen seiner Opfer und Gebete gefällig sein. Beim wahren Glauben wünscht der Mensch dagegen nur zu lernen, wie man Gott gefällig ist.
Die Vernunft prüft den Glauben
Um den wahren glauben kennen zu lernen, muss man die Vernunft nicht betäuben, sondern sie im Gegenteil läutern und anspannen, um mit ihr zu prüfen, was die Religionslehrer lehren.
Nicht durch Vernunft gelangen wir zum Glauben. Aber die Vernunft ist notwendig, um den Glauben zu prüfen, in dem man uns unterweist.
Trag keine Bedenken, alles Überflüssige, Körperliche, Sichtbare, Fühlbare aus deiner Religion zu verwerfen, und ebenso alles Dunkle, Unklare: je mehr du den geistigen Kern herausschälst, umso deutlicher erkennst du das wahre Lebensgesetz.
Nicht der ist ungläubig, der nicht glaubt, was alle Menschen in seiner Umgebung glauben, sondern der, der denkt und sagt, er glaube etwas, in Wirklichkeit aber nicht daran glaubt.
Das religiöse Bewusstsein der Menschen wird immer vollkommener
Wir müssen die Lehren alter Weiser und Heiliger benutzen; wir müssen aber selbst mit unserer Vernunft untersuchen, was sie uns lehren: Das annehmen, was mit ihr übereinstimmt, und das andere verwerfen.