Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi. Franz Gnacy
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Gott, den wir begriffen haben, ist schon nicht mehr Gott: der Gott, den man begriffen hat, ist ebenso endlich, wie wir selbst. Gott kann man nicht begreifen. Er ist stets unbegreiflich.
Wenn deine Augen von der Sonne blind werden, sagst du nicht, es gäbe keine Sonne. Du wirst auch nicht sagen, es gäbe keinen Gott, weil dein Verstand irre wird und schwindet, da du Anfang und Grund des Alls begreifen willst.
„Warum fragst du nach meinem Namen!“, sagt Gott zu Moses. „Wenn du hinter dem, was sich bewegt, das sehen kannst, was stets war, ist und sein wird, so kennst du Mich. Mein Name ist ebenso wie mein Wesen. Ich bin. Bin das, was ist.
Wer meinen Namen wissen will, der kennt Mich nicht.“
Die Vernunft, die man begreifen kann, ist nicht die ewige Vernunft; das Wesen, das man nennen kann, nicht das höchste Wesen.
Gott ist für mich das, wonach ich strebe. In diesem Streben besteht mein Leben; deswegen ist Er für mich, ist aber so, dass ich Ihn nicht begreifen, nicht nennen kann. Wenn ich Ihn begreife, würde ich zu Ihm gehen; dann hätte mein Streben ein Ende und es gäbe kein Leben mehr für mich. Ich kann ihn aber nicht begreifen und nicht nennen, und kenne Ihn dabei doch, kenne die Richtung zu Ihm, ja, von all meinen Kenntnissen ist diese die sicherste.
Sonderbar, dass ich Ihn nicht kenne, dass mir aber gleichzeitig schrecklich ist, wenn ich ohne Ihn bin und nur dann Ruhe habe, wenn Er bei mir ist. Noch sonderbarer, dass, Ihn näher und besser zu kennen, als ich Ihn in meinem jetzigen Leben kenne – für mich gar nicht nötig ist. Mich Ihm nähern kann ich und will ich – in dieser Annäherung besteht mein Leben; die Annäherung vermehrt aber nicht, kann nicht vermehren meine Kenntnisse von Ihm. Jeder Versuch einer Vorstellung von Ihm (z.B. Er sei Schöpfer, oder barmherzig, oder etwas Ähnliches) entfernt mich von Ihm, beschränkt meine Annäherung an Ihn. Sogar das Fürwort „Er“ in Bezug auf Gott beeinträchtigt schon Seine Bedeutung. Das Fürwort „Er“ verkleinert Ihn gleichsam.
Alles, was man über Gott sagen kann, ist Ihm nicht ähnlich. Mit Worten kann man Gott nicht ausdrücken.
Über den Unglauben
Der vernünftige Mensch findet in sich einen Begriff für seine Seele und die Weltseele – Gott; er bleibt in der Erkenntnis seines Unvermögens, diese Begriffe ganz klar auszudrücken, ergeben vor ihnen stehen und rührt sie nicht an.
Es gab und gibt Leute mit verfeinertem Verstand und Wissen, die durch Worte den Gottesbegriff erklären wollen. Ich verurteile diese Leute nicht. Sie haben aber Unrecht, wenn sie sagen, es gäbe keinen Gott. Ich gebe zu, dass schlaue Machenschaften Menschen eine Zeitlang überzeugen können, es gäbe keinen Gott; aber diese Gottlosigkeit kann nicht lange dauern; so oder so bedarf der Mensch stets Gottes. Würde die Gottheit uns in noch größerer Klarheit erscheinen als jetzt, so, bin ich überzeugt, würden Gottes Widersacher neue Listen ersinnen, um Ihn zu leugnen. Die Vernunft ordnet sich den Forderungen des Herzen stets unter.
Der Glaube, dass es keinen Gott gibt, ist nach Lao-Tse gerade so wie die Annahme, dass wenn jemand mit Pelz die Luft bewegt, der Wind von Pelz ausgeht und nicht von der Luft, und dass der Pelz auch da Wind erzeugen könnte, wo keine Luft ist.
Wenn Menschen, die ein schlechtes Leben führen, sagen, es gäbe keinen Gott, haben sie Recht. Gott ist nur für die da, die nach Ihm hinschauen und sich Ihm nähern. Wer sich aber von Ihm abgewandt hat und sich von Ihm entfernt – für den gibt es keinen Gott, kann es keinen geben.
Zwei Menschenarten kennen Gott: solche mit frommem herzen, einerlei ob sie klug oder dumm sind – und wahrhaft Verständige. Nur Hochmütige und Menschen mit Durchschnittverstand kennen Gott nicht.
Es ist möglich, Gott nicht zu nennen, dieses Wort nicht auszusprechen; Ihn aber nicht anerkennen ist unmöglich. Nichts ist, wenn Er nicht ist.
Nur für den gibt es keinen Gott, der Ihn nicht sucht. Such Ihn, so wird Er sich dir offenbaren.
Moses sprach zu Gott: „Wo soll ich Dich finden, Herr?“ Gott antwortete: „Du hast Mich schon gefunden, wenn du Mich suchst.“
Wenn dir der Gedanke kommt, alles, was du über Gott gedacht, sei unwahr, es gäbe keinen Gott – so gerate darüber nicht in Bestürzung, sondern wisse, dass das mit allen Menschen der Fall war und ist. Glaub’ aber nur nicht, dass, wenn du nicht mehr wie früher an Gott glaubst, das daher rührt, weil kein Gott existiert. Wenn du nicht mehr an denselben Gott wie früher glaubst, so rührt das daher, dass an deinem Glauben etwas verkehrt war.
Wenn ein Wilder nicht mehr an seinen Holzgötzen glaubt, heißt das nicht: es gibt keinen Gott, sondern nur: Gott ist nicht Holz. Begreifen können wir Gott nicht, wir können Ihn aber mehr und mehr erkennen. Wenn wir also einen rohen Gottesbegriff über Bord werfen, dient uns das zum Nutzen. Es geschieht, damit wir immer besser erkennen, was wir Gott nennen.
Gottesbeweise! Beweisen, dass Gott ist! – Kann es etwas Dümmeres geben? Gott beweisen, ist gerade so wie das Leben beweisen. Wem beweisen? Wodurch? Wozu? Wenn kein Gott ist, ist gar nichts. Wie kann man Ihn beweisen?
Gott ist. Wir brauchen das nicht zu beweisen. Gottesbeweise sind Blasphemie; Gottesleugner: Irre. Gott lebt in unserem Gewissen, im Bewusstsein der ganzen Menschheit, im ganzen Weltall. Unter dem gestirnten Himmel, am Grabe teurer Angehöriger, oder beim Tode eines Märtyrers; Gott leugnen kann nur ein sehr elender oder ein sehr verdorbene Mensch.
Die Liebe zu Gott
„Ich verstehe nicht, was Liebe zu Gott heißt? Wie kann man etwas Unbegreifliches, Unbekanntes lieben? Lieben kann man seinen Nächsten, das ist verständlich und gut; dagegen: Gott lieben, sind nur leere Worte.“ So sprechen und denken viele. Die aber so sprechen und denken, sind in einem rohen Irrtum befangen, verstehen nicht, was es heißt, seinen Nächsten lieben – nicht angenehmen und uns nützlichen Menschen, sondern gleichmäßig jeden, selbst wenn dieser der unangenehmste und feindlichste Mensch ist. So seinen Nächsten lieben kann nur, wer Gott liebt, den Gott, der in allen Menschen einer ist. So ist also unverständlich nicht die Liebe zu Gott, sondern die Liebe zum Nächsten ohne Liebe zu Gott.
Die Seele
Das Unfühlbare, Unsichtbare, Unkörperliche, das allem Existierenden Leben gibt, nennen wir Gott. Dieses selbe unfühlbare, unsichtbare, unkörperliche Prinzip nennen wir, wenn es durch den Körper von uns allem Übrigen getrennt ist, und wir es in uns erkennen: Seele.
Was ist die Seele?
Wer lange lebt, macht viele Veränderungen durch – ist zunächst Säugling, dass Kind, dann ein Erwachsener, dann Greis. Wie sehr man sich aber auch verändert, man spricht von sich selbst per „Ich“. Und dieses „Ich“ war und ist stets dasselbe. Es ist dasselbe im Säugling, im Erwachsenen und im Greise. Dieses unveränderliche im Erwachsenen und im Greise. Dieses unveränderliche „Ich“ ist das, was wir Seele nennen.
Die Annahme, dass alles, was wir um uns sehen: die ganze unendliche Welt genau so sei, wie wir sie sehen, ist ein großer Irrtum. Wir kennen die Körperwelt nur, weil wir ein bestimmtes Gesicht, Gehör, Gefühl besitzen. Wären diese Sinne anders, so würde die ganze Welt anders werden. Also wissen wir nicht, können wir nicht wissen, wie die materielle