Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi. Franz Gnacy

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Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi - Franz Gnacy

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zu werden, sich nicht entschließen kann, von einem einmal angenommenen Glauben wieder abzugehen, so handelt er wie jemand, der, um nicht irre zu gehen, sich mit einem Strick an eine Säule bindet.

      Wunderbar, dass die meisten Menschen fest an alte Lehren glauben, die gar nicht mehr in unsere Zeit passen, alle neuen Lehren aber für überflüssig halten und verwerfen. Diese Leute vergessen, dass, wenn Gott den Alten Seine Wahrheit geoffenbart hat, Er sie ebenso denen offenbaren kann, die kürzlich lebten und jetzt leben.

      Das Lebensgesetz kann keine Änderung erfahren; die Menschen können es aber immer klarer und klarer erfassen und lernen, wie es zu erfüllen ist.

      Eine Religion ist nicht deswegen wahr, weil Heilige sie verkünden, sondern die Heiligen verkündigen sie, weil sie wahr ist.

      Wenn Regenwasser aus der Dachrinne träufelt, kommt es uns vor, als wenn es aus der Rinne fließt. Dabei fällt das Wasser von Himmel. Ebenso ist es mit den Lehren der Heiligen und Weisen: es kommt uns vor, als gingen die Lehren von ihnen aus; sie kommen aber von Gott.

      Gott

       Außer allem Körperlichen an uns und in der ganzen Welt kennen wir noch etwas Unkörperliches, das unserem Körper Leben gibt und mit ihm verbunden ist. Dieses Körperlose, das mit unserem Körper verbunden ist, nennen wir Seele. Dasselbe Körperlose, sofern es mit nichts verbunden ist und allem Leben gibt, nennen wir Gott.

       Der Mensch erkennt Gott in sich

      Die Grundlage jedes Glauben besteht darin, dass außer dem, was wir in unserem Körper und in dem anderer Wesen sehen und fühlen, noch etwas Unsichtbares, Körperloses existiert, das uns und allem Sichtbaren und Körperlichen Leben gibt.

      Ich weiß, dass in mir etwas ist, ohne das nichts wäre. Das ist dasjenige, was ich Gott nenne.

      Jeder Mensch, der darüber nachdenkt, was er ist, muss bemerken, dass er nicht das Ganze sondern ein besonderer, einzelner Teil von etwas ist. Wer das begriffen hat glaubt gewöhnlich, dieses Etwas, von dem er ein Teil ist, sei die materielle Welt, die er sieht, die Erde, auf der er lebt und seine Vorfahren lebten; der Himmel, die Sterne, die Sonne, die er sieht.

      Sobald man aber tiefer hierüber nachdenkt, oder sich klar wird, wie die Weltweisen darüber denken, kommt man dahinter, dass dieses Etwas, von dem man sich als ein Teilchen fühlt, nicht die materielle Welt ist, die sich ohne Grenzen nach allen Seiten im Raum und ebenso ohne Grenzen in der Zeit erstreckt – sondern etwas anderes. Wer hierüber tiefer nachdenkt und sich klar wird, wie Weltweise hierüber gedacht haben, der begreift, dass die materielle Welt, die nie begonnen hat und nie endet, und die gar kein Ende haben kann, nicht etwas Wirkliches, sondern nur unser Traum ist, und dass deshalb auch jenes Etwas, als dessen Teilchen wir uns fühlen, weder Anfang noch Ende im Raum und in der Zeit hat, sondern immateriell, geistig ist.

      Eben dieses Geistige, das der Mensch als seinen Ursprung bezeichnet, ist dasjenige, was alle Wesen Gott nannten und nennen.

      Erkennen kann man Gott nur in sich. Solange man Ihm nicht in sich findet, findet man nirgends.

      Es gibt keinen Gott für den, der Ihn nicht in sich kennt.

      Ich kenne in mir ein von allem getrenntes geistiges Wesen. Ebensolches von allem getrenntes geistiges Wesen kenne ich auch in anderen Menschen. Wenn ich dieses geistige Wesen aber in mir und in anderen kenne, muss es unbedingt auch an und für sich existieren. Dieses an und für sich existierende Wesen nennen wir Gott.

      Nicht du lebst: was du dein Ich nennst, ist tot. Was dich belebt, ist Gott.

      Glaub’ nicht, Gott durch Werke zu dienen; vor Gott sind alle Werke nichts. Nicht verdient machen muss man sich vor Gott, sondern Er sein.

      Wenn wir mit den Augen nicht sähen, mit den Ohren nicht hörten, mit den Händen nicht fühlten, wüssten wir nichts von unserer Umgebung. Wenn wir Gott in uns nicht kennten, würden wir uns selbst nicht kennen und in uns nicht Den, Der die Umwelt sieht, hört und fühlt.

      Wer nicht Gottes Sohn zu werden versteht, bleibt im Finstern.

      Wenn ich ein weltliches Leben führe, kann ich ohne Gott auskommen. Ich brauche aber nur darüber nachzudenken, woher ich bei der Geburt gekommen bin, und wohin ich im Tode gehe, so muss ich merken, dass ich von etwas gekommen bin und zu etwas gehe. Ich muss merken, dass ich von etwas mir Unbegreiflichem in diese Welt gekommen bin und zu etwas mir Unbegreiflichem gehe.

      Dieses Unbegreifliche, von dem ich gekommen bin und zu dem ich gehe – nenne ich Gott.

      Man sagt, Gott ist die Liebe, oder die Liebe ist Gott. Man sagt auch, Gott sei die Vernunft, oder die Vernunft sei Gott. Alles das ist nicht ganz richtig. Liebe und Vernunft sind die Eigenschaften Gottes, die wir in uns kennen; was Er an und für sich ist, können wir nicht wissen.

      Gott fürchten ist gut; besser, Ihm lieben. Das Allerbeste aber: Ihn in sich zum Leben erwecken.

      Der Mensch bedarf der Liebe. Richtig lieben kann aber nur der, in dem nichts Schlechtes ist. Deswegen muss es etwas geben, woran nichts Schlechtes ist. Solches Wesen ohne alles Schlechte gibt es nur eins: Gott.

      Wenn nicht Gott sich selbst in dir geliebt hätte, könntest du nie weder dich, noch Gott, noch deinen Nächsten lieben.

      Wenngleich die Menschen bisweilen verschieden über Gottes Wesen urteilen, wissen doch alle, die fest an Gott glauben, stets, was Gott von ihnen will.

      Gott liebt die Einsamkeit. Er zieht nur dann in dein Herz, wenn Er allein in ihm ist, wenn du nur an Ihn allein denkst.

      Es existiert folgende arabische Erzählung: Als Moses in der Wüste umherzog, hörte er, wie ein Hirt zu Gott betete. Der Hirt betete so: „O Herr, wie gelange ich zu Dir und werde Dein Knecht! Wie gern würde ich Dir Schuhe anziehen, Deine Füße waschen und küssen, Dein Haar kämmen, Deine Kleider reinigen, Deine Wohnung aufräumen und Dir Milch von meiner Herde darbringen! Mein Herz sehnt sich nach Dir“

      Als Moses solche Worte hörte, wurde er böse auf den Hirten und sagte: „Du bist ein Gotteslästerer. Gott hat keinen Körper – Er braucht weder Kleidung noch Wohnung, noch Dienerschaft. Du redest übel.“

      Da wurde der Hirt traurig. Ohne Körper und leibliche Bedürfnisse konnte er sich Gott nicht vorstellen; konnte nun nicht mehr zu Ihm beten und Ihm dienen und geriet in Verzweiflung. Da sagte Gott zu Moses: „Warum hast du Mir meinen getreuen Knecht entfremdet? Jeder Mensch hat seine eigenen Gedanken und Worte. Was für den einen schlecht, ist für den andern gut; was für dich Gift, ist dem andern süßer Honigseim. Worte bedeuten gar nichts. Ich sehe denen, die sich an mich wenden, ins Herz.“

      Die Menschen sprechen verschieden über Gott, fühlen und verstehen Ihn aber alle gleich.

      Der Mensch muss an Gott glauben, wie er auf zwei Beinen gehen muss. Dieser Glaube kann sich ändern, kann ganz erstickt werden; der Mensch kann aber ohne Ihn sich selbst nicht verstehen.

      Wenn jemand noch nicht weiß, dass er Luft einatmet, weiß er doch, dass, wenn er erstickt, ihm etwas fehlt, ohne das er nicht leben kann. Dasselbe ist mit dem der Fall, der Gott verliert, wenn er auch nicht weiß, worum er leidet.

      

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