Das Doppelkonzert. Arnulf Meyer-Piening

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Das Doppelkonzert - Arnulf Meyer-Piening

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zu dürfen. Es handelt sich um sein sinfonisch-konzertantes Abschiedswerk, das die historische Größe des Brahmsschen Oeuvres ausdrucksvoll demonstriert. Trotz seiner Schönheit wird es selten aufgeführt, das mag daran liegen, dass es an der Schwierigkeit liegt, zwei überlegende und übereinstimmende Künstler als Solisten für dieses äußerst diffizile Werk zu gewinnen. Das ist für den heutigen Abend in überzeugender Weise gelungen: Julia Sämann ist extra deshalb aus Nicaragua angereist. Und ihr Bruder Hinrich hat seine Aufgaben als Geschäftsführer der Firma Sämann für ein paar Stunden zurückgestellt und präsentiert sich Ihnen heute als Geigenvirtuose. Julia unterrichtet Musik an der von ihr gegründeten Schule. Sie ist mit ihrem Cello in besonderer Weise verbunden. Sie könnte überall in der Welt als Solistin auftreten.

      Applaus brandete durch den Saal wie Wellen an einer steilen Felsenküste vielfach reflektiert.

      - Paulsen hob die Hand zum Zeichen, dass jetzt Ruhe einkehren sollte: Hören Sie nun das Doppelkonzert von Brahms für Violine und Violoncello a-Moll Opus 102. Lassen Sie mich einleitend noch ein paar Bemerkungen zu diesem Werk machen: Brahms hat es 1887 komponiert. Ich bedaure, dass ich Ihnen das Werk nicht in seiner vollständigen Orchester-Besetzung vorführen kann. Es wären etwa hundert Musiker erforderlich gewesen, was ein erhebliches logistisches Problem dargestellt und auch die Möglichkeiten dieses Raumes überfordert hätte. Aber ich werde mir alle Mühe geben, Ihnen am Flügel den Eindruck von der Farbigkeit und Schönheit dieses Werkes zu vermitteln.

      Herr Paulsen nahm seinen Platz am Flügel ein. Hinrich stellte sich so, dass er gleichermaßen Blickkontakt zum Pianisten und zu Julia hatte. Sie nahm am Podiumsrand Platz, so dass sie sowohl ihren Bruder als auch den Pianisten im Blick hatte. Hinrich sah seine Schwester fragend an und sie nickte.

      Der Hausherr setzte sich in der ersten Reihe in die Mitte zwischen Isabelle von Stephano und seiner Schwerster Ingrid. Die beiden Damen waren modisch elegant gekleidet. Isabelle trug ein enganliegendes, tief ausgeschnittenes leuchtend rotes Kleid und Ingrid trug ein figurbetontes graues Kostüm, das ihr vorteilhaft stand. Sie hatte sich ihr jugendliches Aussehen durch hartes Training im Fitness-Studio bewahrt.

      Der Pianist regulierte seinen Sitz auf die richtige Höhe. Er schlug ein paar Töne und Akkorde an. Hinrich übernahm den Kammerton A, korrigierte ein wenig die Stimmung seiner Geige und Julia tat das Gleiche. Zufrieden nickten sie. Eine aufmerksame Erwartung erfüllte den Raum. Die Gäste erwarteten einen ganz besonderen Musikgenuss, abseits des normalen Musikbetriebs der Philharmonischen Konzerte. Ein erlesener Kreis musikinteressierter Hörer hatte sich versammelt. Sie erwarteten das Außergewöhnliche, etwas bisher nie Gehörtes.

      Paulsen hob den Arm zum Zeichen, dass er nun beginnen wollte. Im Saal trat erwartungsvolle Ruhe ein. Der erste Takt begann mit dem energischen Kopfteil des Hauptthemas. Schon im fünften Takt setzte Julia ein und umspielte das Thema. Sie trug ein langes schwarzes und schulterfreies Kleid, das ihre schlanke Figur elegant betonte. Hinrichs Violine brachte zarte Andeutungen des zweiten Themas. Nach wenigen Takten spielten sich die beiden Solisten die einzelnen Motive wechselseitig zu und zwangen das Orchester (hier dargestellt durch das Klavier) zu einer ausführlichen Exposition.

      Hinrich trug einen maßgeschneiderten Frack. Rhythmisch im Takt tänzelte er elegant über das Podium und wiegte sich in den Hüften, wie ein zweiter Paganini. An besonders ausdrucksvollen Passagen warf er seinen Kopf in den Nacken und beugte sich alsdann über seine Geige, in die er sein Ohr zu tauchen schien, um auch nicht die kleinste Nuance des Tons zu versäumen.

      Er fixierte mit seinen dunklen Augen die Frau in dem roten Kleid, die neben seinem Vater saß, und die jede seiner Bewegungen andächtig in sich aufnahm, als sei er speziell für sie vom Himmel als Erzengel Gabriel gesandt. Schon wähnte sie sich als seine Geliebte und träumte von weltweiten Tourneen an der Seite des international gefeierten Stars. Traum und Realität verschwammen vor ihren Augen zu einer unlösbaren Einheit.

      Der Pianist verstand es meisterhaft, den Klang des vollen Orchesters mit Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotten, Hörnern und Trompeten, Pauken und Streicher auf dem Klavier zu intonieren, so dass die Zuhörer glaubten, ein ganzes Orchester zu hören. Die herrlichsten Akkorde erfüllten den Raum und unterdrückten jedes störende Geräusch. Kaum dass die Hörer zu atmen – oder gar zu husten - wagten. Sie lauschten den überirdischen Klängen, die gleichsam vom Himmel zu stammen schienen.

      Die beiden Solisten eröffneten die klangvolle Themenaufstellung und setzten starke Akzente. Das Orchester – einzigartig dargestellt vom Pianisten - griff die Themen auf und begann mit der Durchführung, indem die Tempi variierten und Umkehrungen mit neuen Klangerlebnissen brachten.

      Nach einer Viertelstunde hatten sie den ersten Satz mit seinen lyrischen Passagen und einer heftigen konfliktbehafteten Durchführung beendet. Die Spannung zwischen den beiden ungleichen Teilen schien sich auf die Hörer zu übertragen. Sie schwankten zwischen heiterer Gelassenheit und heftiger innerer Anspannung. Die Atmosphäre schien plötzlich aufgeladen zu sein, was vielleicht mit der gewittrigen Wetterlage am teilweise wolkenverhangenen Himmel zusammenhing. Eine unheilvolle Stimmung ergriff die Menschen und drückte auf die Gemüter.

      Die Künstler deuteten mit einer leichten Verbeugung an, dass sie nun für einen Augenblick pausieren würden. Zögernder Applaus begann sich hier und da zu erheben, wurde aber von den erfahrenen Konzertbesuchern mit leichtem Zischen zum Schweigen gebracht. Man war noch nicht am Ende des Konzerts angelangt und wollte nicht durch störende Nebengeräusche aus seinen überirdischen Empfindungen gerissen werden. Und doch gab die Unterbrechung eine willkommene Gelegenheit zum Durchatmen. Die innere Spannung löste sich allmählich auf und wich vollkommener Zufriedenheit.

      Der Patriarch nickte seinen Kindern anerkennend zu und hob seinen Daumen zum Zeichen des zu erwartenden Erfolgs. Isabelle hatte ihren Kopf an seine Schulter gelehnt. Ihr schwarzes Haar war mit einem perlenbestickten Band, das eher einem Diadem glich, zur Seite gerafft. Sie war schon eine eindrucksvolle Frau, die sich ihrer anziehenden Wirkung durchaus bewusst war. Sie genoss ihre herausgehobene Rolle als Frau an der Seite des Hausherren. In der kurzen Pause begannen die Gäste untereinander mit versteckten Andeutungen über die künftige Rolle dieser ungewöhnlichen Frau an der Seite des Patriarchen zu raunen. Würde sie die künftige Hausherrin sein? Man könnte es sich vorstellen. Eine Frau an seiner Seite wäre ihm durchaus zu wünschen, aber war sie nicht zu jung? War er nicht zu alt für sie? Die beiden trennten etwas mehr als dreißig Lebensjahre. Und er hatte seine besten Jahre hinter sich gelassen, wie jedermann leicht erkennen konnte.

      Die Solisten nahmen erneut ihre Plätze ein. Julia, rückte ihren Stuhl hinter dem Cello zurecht. Hinrich zupfte vorsichtig ein paar Saiten, indem er mit dem einen Ohr in das Instrument zu kriechen schien. Damit war allen Beteiligten klar, dass sich hier ein besonders feinsinniger und außerordentlicher Künstler auf den nächsten Einsatz vorbereitete, den er nun vor einem erlesenen Publikum zelebrieren würde. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wusste war, dass er sehr nervös war. Er versteckte seine Unsicherheit hinter ein paar großen Gesten, die er bei anderen Virtuosen abgesehen hatte und die er für besonders wirkungsvoll hielt.

      Der zweite Satz begann mit kraftvollen Oktaven der Solisten. Das einfache Kopfthema wurde vom Orchester (hier vom Flügel) farbig begleitet. Ein inniges Seitenthema, das im terzverwandtem F-Dur steht, erfährt bald eine stärkere klanglich-harmonische Differenzierung. Der erste Teil erklingt mit aufgelockerter Begleitung, der zweite Teil folgt mit einer reizvollen Coda. Der Satz strömt Kraft und Zuversicht aus. Sie übertrug sich aber nicht auf den Interpreten. Im Gegenteil: Hinrich war total verunsichert. Er spürte – oder glaubte zu spüren – die unerklärlichen, geheimnisvollen Schwingungen, die von der Dame in dem roten Kleid ausgingen.

      Cello und Geige wechselten sich harmonisch ab und warfen sich spielerisch die Bälle zu. Julia beherrschte souverän die Szene und zog das Publikum magisch in ihren Bann. Das anmutige, makellose Gesicht, die entblößten Schultern, die fast andächtige Versenkung in die wechselnden Stimmungen der Musik ließen

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