Wounded World. Tessa Koch

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Wounded World - Tessa Koch

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ehe ich, das Gesicht nach wie vor an Liams Rücken gepresst, merke, wie wir langsamer werden. Ich öffne meine Augen, wir sind noch immer auf einem Interstate, doch ich weiß nicht auf welchem. Um uns herum stehen nach wie vor Autos, doch die Abstände zwischen den einzelnen Fahrzeugen sind größer. Vorsichtig blicke ich an Liam vorbei nach vorne und sehe, dass nur wenige Kilometer vor uns eine Kleinstadt liegt.

      „Warum werden wir langsamer?“

      „Ich weiß es nicht.“ Liam ist angespannt, als er das Motorrad zwischen zwei Pick Ups ausrollen lässt. „Scheiße“, sagt er, als wir zum Stehen kommen. „Scheiße!“ Er schlägt fest auf den Lenker. „Scheiße, scheiße, scheiße!“

      „Liam!“ Er hört auf, auf den Lenker einzuschlagen. „Wir müssen hier weg. Wir müssen hier schnell weg.“ Mein Ton bewegt ihn dazu, sich zu mir umzudrehen. Doch ich habe keine Augen für ihn, habe mich ebenfalls umgewandt. Hunderte Parasiten sind hinter uns, sie suchen sich ihren Weg an den parkenden Autos vorbei. Seit Washington an müssen sie uns gefolgt sein, je mehr Meter wir hinter uns gelassen haben, desto mehr von ihnen haben sich dem Strom angeschlossen und sind hinter dem lauten Motorrad her.

      „Oh mein Gott.“ Liam wirkt wie paralysiert.

      Ich steige von der Maschine, meine Gelenke sind steif. „Komm!“ Entschlossen fasse ich seinen Unterarm und ziehe auch ihn vom Motorrad. „Wir müssen laufen, wir müssen hier weg, okay?“ Er sieht mich nicht an, starrt über meine Schulter auf die Masse, die nur wenige hundert Meter hinter uns ist. „Liam!“ Nun blickt er mich an, das Gesicht starr. „Wir müssen laufen. In irgendeine Kleinstadt. Wir suchen uns ein Haus und schließen uns dort ein. Wenn wir schnell genug sind und leise, dann schaffen wir es. Wir haben es bis hierher geschafft, also haben wir das Schlimmste bereits hinter uns. Aber du musst jetzt bei mir sein. Du musst mir helfen, okay?“

      Mein Blick sucht den seinen. Für wenige Sekunden sehen wir uns an, dann schluckt er einmal fest und nickt. „Du hast recht. Wir können es schaffen.“

      „Genau.“ Ich drücke ihm seine Gitarre in die Hand. „Wir werden es schaffen.“ Ich strecke meine Hand nach ihm aus und sehe ihn an.

      „Wir werden es schaffen.“ Er ergreift meine Hand und verschränkt seine Finger fest mit meinen. Wir sehen uns ein letztes Mal um, sehen die Parasiten hinter uns näher kommen, Hunderte, vielleicht sogar Tausende. Doch wir sind schneller als sie, wir sind klüger als sie. Und wir wollen leben. Wir sehen uns an, nicken uns zu.

      Und dann laufen wir.

      21. Juli 2021, DIE TANKSTELLE

       Logbuch-Eintrag 03

      

      

       Wenn die Welt untergeht, nur noch wenige Tausend Menschen leben, gebietet es der gesunde Menschenverstand, dass sie sich zusammen tun und gemeinsam einen Weg aus diesem Albtraum finden. Es zählt dann nicht mehr, wer man einmal gewesen ist, was man einmal getan hat. Es ist egal, ob man männlich oder weiblich, schwarz oder weiß, jung oder alt ist. Das einzige, was zählt, wenn die Welt in Trümmern liegt, so viele bereits gestorben sind, ist, dass man ein Mensch ist. Oder etwa nicht?

      

       Ich bin so unendlich dankbar gewesen, als ich Liam getroffen habe, auch wenn ich zu Beginn vorsichtig gewesen bin. Man weiß nie, mit wem man es zu tun hat, wer neben einem liegt, während man wichtige Energie sammeln muss. Doch wir haben einander schnell getraut, vertraut und verstanden, dass wir einander brauchen. Nicht nur um zu überleben, sondern für unser Seelenheil, um nicht den Verstand zu verlieren.

      

       Aber es sind nicht alle Menschen so wie Liam. Nicht in allen ruft dieser Ausnahmezustand das Beste hervor. Es gibt auch böse Menschen, furchtbare Menschen, bei denen nur Gott alleine weiß, weswegen sie bisher überlebt haben. Die einem wehtun, einen zerstören wollen, trotz oder vielleicht sogar wegen allem, was geschehen ist. Ein paar von ihnen sind wir begegnet. Durch diese Treffen habe ich eines gelernt: Dass wir die Lebenden mehr fürchten müssen als die Toten.

      Meine Schultern schmerzen so sehr, die Last der beiden Rucksäcke zerrt an meinen Muskeln. Auch meine Beine schmerzen, sie wollen das Gewicht meines Körpers nicht mehr tragen, doch sie müssen. Sie müssen es einfach. Das Brennen in meinen Lungen macht mich beinahe wahnsinnig, der Schweiß rinnt mir das Gesicht hinab, vermischt sich mit dem Blut des Parasiten, den ich noch in der Gasse erschlagen habe und brennt in meinen Augen.

      Die Stadt ist nur noch wenige Hundert Meter entfernt, es fühlt sich so an als würden wir schon seit Stunden laufen. Vielleicht tun wir es ja auch. Ich werfe einen Blick über die Schulter, sehe die Massen von Parasiten hinter uns. Auch sie sind nur wenige Hundert Meter von uns entfernt. Ihr Anblick, die gräuliche tote Haut, die milchig weißen Augen, das Fauchen, Stöhnen und Ächzen, treibt mich weiter voran, auch wenn ich am liebsten einfach zusammenbrechen würde. Liam hält meine Hand noch immer fest umfasst, er zieht mich inzwischen mehr, als dass er neben mir herläuft. Immer wieder wirft er mir besorgte Blicke zu, ich kann seinem Gesicht ansehen, dass er es bereut, mir seine Sachen gegeben zu haben. Ich muss zugeben, dass ich ebenfalls bereue seinen Rucksack aufgesetzt zu haben. Sein Gewicht, zusätzlich zu dem meines Gepäcks, raubt mir mit jedem weiteren Schritt kostbare Kraft, die mich andernfalls hätte schneller laufen lassen.

      „Ich kann nicht mehr!“, keuche ich nach weiteren hundert Metern. „Ich kann einfach nicht mehr!“

      „Du musst, wir haben es doch schon fast geschafft!“ Er zieht mich weiter, energisch, entschlossen. „Bitte, Eve! Wir müssen es einfach schaffen, das hast du selbst gesagt!“ Der Blick, den er mir zuwirft, ist flehend.

      Ich sammle meine letzten Kraftreserven zusammen und schließe nun zu ihm auf, statt hinter ihm her zu torkeln. Wenige Minuten später laufen wir über die Grenze der Stadt, vorbei an einem Ortsschild, das ich in der Eile nicht lesen kann. Liam zieht mich nach rechts, an eines der Wohnhäuser vorbei, direkt in dessen Garten. Zuerst glaube ich, dass er durch eine der Hintertüren in das Innere gelangen will, doch stattdessen hält er auf den Gartenzaun zu. Als er vor ihm anhält, wirft er seine Gitarre über den Zaun, hilft mir dann, ebenfalls über den Gartenzaun zu gelangen und folgt mir dann. Er hebt seine Gitarre auf, nimmt meine Hand und zieht uns durch den nächsten Garten, zu dem nächsten Zaun. Auch über diesen klettern wir, so wie über fünf weitere.

      „Das sollte reichen“, keucht er, nachdem wir einen weiteren Zaun passiert haben. Er wirft einen Blick über die Schulter, noch immer können wir das Fauchen, Ächzen, Stöhnen der Parasiten hören, doch sehen wir keine. Liam läuft auf die Hintertür des Hauses zu, in dessen Garten wir uns gerade befinden. Er drückt gegen die Tür, doch sie öffnet sich nicht. Er zieht den Pullover über seinen Kopf, steht mit nacktem, durchtrainiertem Oberkörper vor mir, wickelt sein Oberteil fest um seine Faust und schlägt die Scheiben der Tür ein. Anschließend greift er durch das Loch in das Haus und entriegelt die Tür. Er hält sie für mich auf und ich trete eilends in das Haus.

      Sofort verschließt Liam die Tür wieder, schlüpft in sein T-Shirt und sieht sich in dem Wohnzimmer um, in dem wir nun sind. Dann schiebt er einen Sessel vor die Tür. Währenddessen habe ich die schweren Rucksäcke abgesetzt und verspüre das unglaubliche Verlangen meine Schultern zu massieren. Doch stattdessen ziehe ich meinen treuen Hammer aus dem Gürtel und sehe mich in dem Haus um. Es ist still hier, doch ich weiß, dass es nichts zu bedeuten hat. Und solange wir uns nicht überzeugt haben, dass die Familie, die hier einst lebte,

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