Der Shaolin. Karl-Heinz Jonas

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Der Shaolin - Karl-Heinz Jonas

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Blätter waren bisher von den Bäumen gefallen und begannen, einen gelblich-braunen Teppich auf dem Waldboden zu bilden. Recht spärlich drangen Sonnenstrahlen durch die noch immer dichten Baumkronen und endeten als goldfarbene Flecken auf dem Boden. Die Sonne hatte nicht mehr die Kraft, um die Luft auf bisweilen unerträgliche Temperaturen zu erwärmen, aber es war auch nicht kühl.

      Li Ning genoss den Spaziergang durch den Wald zu dieser Jahreszeit. Er hatte kein festes Ziel, und eine unbestimmte Kraft, die er nicht wahrnahm und der er deshalb auch keinen Widerstand entgegen bringen konnte, bestimmte die Richtung seines Weges.

      Es verwunderte ihn nicht sonderlich, dass er sich plötzlich in der Nähe des Hauses der Familie Ling befand. Diese Gelegenheit musste er unbedingt nutzen, um sich nach Jiaos Befinden zu erkundigen. Als er sich vor der Gartentür befand, hielt er jedoch inne. War er nicht zu aufdringlich? Sicher, man hatte ihm zu verstehen gegeben, er sei immer ein willkommener Gast. Trotzdem hielt ihn irgend etwas zurück. Da er nicht wusste, wie er sich am besten verhalten sollte, beschloss er erst einmal, um das Anwesen herumzugehen, zumindest soweit dies von der Waldseite aus möglich war. Der Gefahr, von einem Fremden zufällig entdeckt zu werden, durfte er sich nicht aussetzen. Die Hecke erlaubte ihm, an einigen Stellen den Garten einzusehen. Und was er sah, war ein mit sehr viel Mühe und Sorgfalt gepflegtes Stückchen Paradies. Doch so sehr er Blumen auch mochte, heute konnte er sich einfach nicht daran erfreuen. Irgendetwas bedrückte ihn. Da er sich den Grund für seine steigende Unruhe nicht erklären konnte, beschleunigte er seine Schritte merklich. Jede Möglichkeit, in den Garten zu sehen, nutzte er, ohne jedoch zu wissen, was er eigentlich suchte.

      Dann sah er sie! Jiao lag in der Sonne und schlief. Er hätte vor Scham im Boden versinken mögen. Da schlich er, ein Mönch, durch den Wald, um durch Lücken in der Hecke ein Mädchen beim Sonnenbaden zu beobachten!

      Schon wollte er sich unbemerkt zurückziehen, als er wiederum innehielt. Schlief Jiao wirklich? Er glaubte, etwas Unnatürliches in der Körperhaltung der jungen Frau bemerkt zu haben. So schnell er konnte durchdrang er die Hecke und lief auf Jiao zu. Dann erstarrte er. Die Augen der am Boden Liegenden waren weit geöffnet, ihr Blick war leer! Zu beiden Seiten des Kopfes war der Boden blutdurchtränkt, der Hals war halb durchtrennt!

      Dunkelheit umfing ihn. Sein Körper war nass von Schweiß, sein Herz raste, und er fühlte sich, als hätte er gerade eine ungeheure körperliche Anstrengung überstanden. Langsam beruhigte sich sein Puls. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er vertraute Gegenstände wahrnehmen. Nun kehrte auch sein Erinnerungsvermögen zurück, und er wusste sich in seinem Bett.

      Mit riesiger Erleichterung stellte er fest, dass er nur geträumt hatte. Jiao war nicht tot! Doch was hatte dieser Traum zu bedeuten? Hatte er überhaupt eine Bedeutung? Befand sich Jiao etwa in Lebensgefahr? Die quälende Ungewissheit versetzte ihn wiederum in Unruhe. Am liebsten wäre er sofort aufgestanden und hätte sich auf den Weg zur Familie Ling gemacht, um sich Gewissheit zu verschaffen. Doch das war unmöglich. Wie hätte er seine Abwesenheit bei Tagesanbruch erklären sollen? Er beschloss deshalb, sofort nach dem Morgenläuten den Meister aufzusuchen, um ihm von diesem Traum zu berichten. Er wollte ihn bitten, sich sobald wie möglich zur Familie Ling zu begeben.

      Er stand auf, wusch sich den Schweiß vom Körper und legte sich wieder hin. Er zwang sich zur Ruhe, Schlaf fand er jedoch keinen mehr.

      „Ich mache mich sofort auf den Weg“, versicherte Meister Shu nach Li Nings Bericht.

      Bald darauf sah Li Ning den Meister das Kloster verlassen. Hoffentlich kam er nicht zu spät!

      Den ganzen Tag über fand er keine Ruhe. Er hatte weder Appetit, noch konnte er sich auf irgendeine Tätigkeit konzentrieren. Nicht einmal das Training konnte ihn von seinen düsteren Gedanken ablenken, und er musste ungewohnt viele Treffer einstecken.

      Ständig wanderte sein Blick in die Richtung, aus der der Meister nach Beendigung seiner Mission erscheinen musste.

      Da er befürchtete, seine Brüder könnten den Grund für seinen Seelenzustand in seinen Augen ablesen, mied er ihre Blicke, so weit es ging. Die Zeit verging viel zu langsam, doch irgendwann neigte sich auch dieser Tag dem Ende zu.

      Kurz vor Sonnenuntergang, als Li Ning bereits schlimme Befürchtungen hegte, betrat Meister Shu endlich den Hof. Am liebsten wäre Li Ning sofort wie ein kleines Kind auf ihn zugelaufen, doch er musste sich beherrschen. Ein solches Verhalten wäre eines Mönchs unwürdig.

      Der Meister begrüßte die im Hof anwesenden Mönche nacheinander. Als er endlich Li Ning gegenüberstand und auch ihn in gewohnter Weise begrüßte, sagte er mit einem beruhigenden Unterton in der Stimme: „Komm in einer Stunde in den Garten.“

      Nun wusste Li Ning, dass seine Befürchtungen nicht eingetroffen waren, sonst hätte er es in den Augen des Meisters lesen können. Oder verstellte sich der Meister, um unüberlegten Handlungen seines Schülers vorzubeugen? Wollte er ihm die schreckliche Nachricht vielleicht schonend beibringen?

      Wieder diese Ungewissheit!

      Er ging in seine Kammer und wartete voller Ungeduld. Endlich, als er glaubte, die Stunde müsse längst vorüber sein, ging er in den Garten. Doch der Meister war nicht da! Hatte er es sich anders überlegt? Konnte oder durfte er ihm nicht die Wahrheit sagen?

      Doch Meister Shu hielt Wort. Ruhig und gelassen schritt er durch das Gartentor, als wisse er nicht, wie sehr er erwartet wurde. Geduld war eine notwendige Tugend für jeden Mönch, vielleicht die notwendigste überhaupt. Auch Li Ning musste diese Lektion lernen, wie sehr es ihn auch schmerzen mochte.

      Schweigend ging Meister Shu durch den Garten, und Li Ning schloss sich ihm an. Meister Shu ließ sich Zeit, bevor er seinen Bericht begann, und Li Ning musste sich wohl oder übel gedulden.

      „Im Moment muss sich niemand Sorgen machen“, begann Meister Shu endlich. “Ek Chen hat die Residenz heute nicht verlassen. Auch deutet nichts darauf hin, dass Ek Chen irgendjemand seine Schande eingestanden oder gar Maßnahmen zu deren Beseitigung ergriffen hat. Ein guter Bekannter der Familie Ling ist in der Residenz des Präfekten tätig und hätte sicher etwas darüber gehört. Es scheint also keine unmittelbare Gefahr zu bestehen. Ek Chen gilt jedoch als sehr rachsüchtig und ist deshalb unberechenbar. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass er uns nur in Sicherheit wiegen will, um dann unverhofft handeln zu können. Deshalb verfahren wir so, wie wir es gestern bereits besprochen haben: Du hältst dich bis auf Weiteres hinter den Klostermauern auf, und wir werden draußen die Augen offen halten.“

      „Wie verhält sich die Familie Ling?“ wollte Li Ning wissen.

      „Auch die Tochter wird in der kommenden Zeit das Elternhaus nicht verlassen. Die Eltern werden auf jede Veränderung in der Umgebung des Hauses achten, und der Bekannte der Familie hält in der Residenz die Ohren offen. Wir können nur hoffen, das Ek Chen seine Rachepläne, sofern er welche hegt, bald aufgibt.“

      Li Ning, dem während dieses Berichts ein Stein vom Herzen gefallen war, sagte, sich tief verbeugend: „Ich danke Euch, Meister.“

      „Du musst mir nicht danken, Bruder Ning. Du weißt ebenso gut wie ich, dass es meine Pflicht ist, mich um die Sicherheit aller unserer Brüder zu sorgen.“

      „Das weiß ich, sicher.“ Doch ebenso wusste Li Ning auch, dass es durchaus nicht die Pflicht des Meisters war, sich um die Sicherheit der Familie Ling zu bemühen. Er nahm sich vor, dem Meister seine tiefe Dankbarkeit zu zeigen, und er wusste auch schon, wie er das am besten tun konnte!

      Dass ausgerechnet ihm das passieren musste! Ihm, Ek Chen, dem einzigen Sohn des allmächtigen Präfekten!

      Es

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