Paracelsus. Erwin Guido Kolbenheyer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Paracelsus - Erwin Guido Kolbenheyer страница 45

Paracelsus - Erwin Guido Kolbenheyer

Скачать книгу

langsam der Heimat entwöhnen, da er mit ihrer Arbeit auch ihr ganzes Dasein in andre Hände gelegt zu haben schien. Sie beneidete die junge, schöne Magd um das Tagwerk, unter dem sie beinahe zusammengebrochen war. Sie schuf sich hundert unnütze Mühen und gab sie dann auf, weil sie nur verwunderte Mienen erntete. So fühlte sie alle Bitternis einer grenzenlosen Vereinsamung.

      Der Mutter suchte sie zu helfen, doch die alte Frau hatte ihr Arbeitsgesetz, das unveränderlich mit ihr, fast an ihr ablief wie der Wandel der Gestirne über der Erde. Sie konnte bös werden, wenn andre Hände in ihr Gesetz griffen. Eis mußte sich zurückziehen.

      An Theophrast wagte sie nicht die leere Zeit zu wenden. Er war kein Kind, das Müßigkeiten ausfüllte. Vor einem unbedachten Worte oder einer verhehlenden Beruhigung stand der kleine Mann gewichtig, breit, mit ernsten Mienen, er fand todsicher durch die halbe Lüge einen Hohlweg, auf dem man ihm nicht ausweichen konnte. Man hätte ihn überrennen müssen, und das wagte die Mutter nicht mehr. Weil alles Männliche der tiefen Schamhaftigkeit und Schüchternheit ihres Wesens fremd geblieben war, entfremdete sie die erwachende Männlichkeit von dem Knaben. Sie sah neugierig, manchmal belustigt seinem eigenwilligen Handeln zu, das stets irgendwie vom zufälligen Spiele abwich. Und nicht viel anders betrachtete sie das Leben des Wilhelm Bombast.

      Der Gedanke, daß ihr Vater oder Bombast an der schönen Gritli einen Kampf bestanden hatten, wäre ihr nie in den Sinn gekommen, wenn auch Kraft und Schönheit der jungen Magd sie beunruhigten. Sie war eifersüchtig, aber nicht um ihres Bombast, sondern um des Hauswesens, seiner Führung und jener Pflege willen, die das Ochsnerhaus bisher durch sie erhalten hatte. Und sie fühlte sich ausgeschaltet, wie einer, der nicht die Macht hat, neue Lebenszuversicht zu gewinnen, während ihm sein Lebensglaube entrissen wird; so sehr war sie verlassen. Sie konnte nicht stark und nicht einsam werden. Nur langsam, wie alles Leben füglich zurechtfindet, wußte sich auch ihr sinkendes Leben zu fügen.

      Da sie im Gadem nicht vor aller Augen feiern wollte – denn Nadelwerk und Spinnen galt nicht für volle Arbeit und sollte nur die langen Winterabende füllen, wo Kälte und Finsternis anderes ausschloß – verbrachte sie manche Stunde des Tags in ihrem Schlafgemach.Dort lernte sie träumen.Und siebrauchte nicht mehr zu fürchten, daß es Sünde sei. Sonst war das bildhafte Fühlen, darin sie schlummerweich versinken konnte, manchmal in der Kirchenstille über sie gekommen, und sie war reuevoll zu Gebet und Gottesdienst aufgeschreckt. Nun aber, während ihre Spindel über den Boden tanzte, widerstand kein mahnendes Gebot mehr.

      Es kam die Zeit wieder, in der Jungrudi gestorben war und Theophrast in wilden Wehen von ihr die Welt begehrt hatte. Sie hatte den trotzigen Bruder nicht in die Erde sinken sehen, weil sie vom Wochenbette gehalten wurde, als man ihn begrub. Ihr mangelte jetzt der treue Schluß, das heilige Siegel, das die Erde über ein erloschenes Dasein häuft. Jungrudi lebte noch aus jener Sturmnacht, in der er untergegangen war, in ihr. Und es kam ihr: ihretwegen war Jungrudi gestorben.

      Nach dem Verlöbnis mit Bombast hatte er nicht mehr zu ihr gesprochen bis zum Tag des Beilagers. Seine letzten Worte hörte sie wieder:

      „Ich gang, so alle schlafend. Du sollt dines Schwyzerbluots bedacht sin vor deme Schwoben! Allein red nit, eh dann ich fort bin.“

      Sie hatte nicht verstanden, was er eigentlich wolle, denn Wilhelms stille Zärtlichkeit war wundersam in ihr aufgegangen wie ein Same des Glücks. Und da der Jungrudi ihr anvertraut hatte, daß er reisen werde, war sie am Tage nach der Hochzeit weniger betroffen als die andern. Damals vermochte Bombast sie vollends zu beruhigen: der Jungrudi wäre auch bei anderer Gelegenheit davon; Ursache sei allein, sein Aufruhrgeist so gegen den Vater wie gegen alle Ordnung der Familie. Und sie hatte Wilhelm Bombast gern geglaubt.

      Jetzt schien ihr: ihretwegen war Jungrudi gestorben. Aus den wüsten Gerüchten, die über das Leben der Reisläufer im Lande gingen, zugleich geweckt an der Erinnerung der letzten Fieberworte des sterbenden Bruders, baute ihre Einbildungskraft wilde Erlebnisse, durch die Jungrudi hatte zugrunde gehen müssen. Sie war keiner Schuld bewußt, nie war sie Jungrudi mehr zugetan gewesen als der Mutter und dem Vater, nur seinen Schutz litt sie lieber als den des ungebärdigen Hans. Und doch lag jetzt die Heimatsflucht und der Tod des Bruders auf ihr wie ein Schicksal, das sie ängstigte, das eine Sühne verlangte. Die unversöhnte Seele des Toten wollte ihr Gebet und eine Buße für alle Sündenschuld der Söldnerzeit, anders vermochte sie das Bedrängnis ihres Herzens nicht zu deuten. Jungrudi mahnte sie um die schwesterliche Liebe, da er ihr zuliebe umgekommen sei. So dachte sie.

      Sie betete viel. An Sonntagen und an Donnerstagen ging Eis nach Einsiedeln, dort büßte sie in der Gnadenkirche für ihn, indem sie auf den Knien siebenmal um die Kapelle der wundertätigen Maria kroch. Eis quälte sich vergebens. Die Seele des Bruders gab sie nicht frei. Sie fand die rechte Buße nicht.

      Bombast offenbarte sie ihre Bedrängnisse nicht. Sie wehrte seine Liebe mit sanfter Gewalt ab. Wenn er sie küßte schauderte ihr, als gehe sie Wege der heimlichen Sünde. Aber sie konnte zuweilen hingebungsvoller und zärtlicher sein als je zuvor.

      Bombast sah nicht das unstete Flackern ihres Blicks. Nach Stunden der Hingabe rang sie lange um Frieden, den sie erst fand, wenn sie das Sakrament genommen hatte.

      Am Christabend saßen die Ochsnerleute länger um den Tisch, denn die Mutter hatte Küchli und Met aufgesetzt. Heimlich ging Mutter Weßnerin, als die andern aßen und tranken, in den Keller, nahm zwölf Zwiebeln von einem Zopf, höhlte sie aus, füllte sie mit Salz und trug sie ums Haus. Dort wo der Kleinholzstapel hoch unter das hängende Dach reichte, daß kein Schnee auf ihn fand, holte sie im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes eine Zwiebel um die andre aus der Schürze.

      „Jänner, Hürnung, März, April, Mai, Brachmond, Heumond …“

      Jede Zwiebel ein Monat. Morgen konnte sie am Salze sehen, wie das Wetter in jedem Monat sein werde.

      Da sie wieder ums Haus zurückkam und eintreten wollte, tauchte vor ihr aus dem dicken Frostnebel eine Mannsgestalt auf. Sie erschrak, denn die Christnacht ist voll der Gesichte. Sie bekreuzte sich. Sollte einer von ihnen sterben und sein Schatten in diesen heiligen Zeiten vorahnend an die Schwelle irren? Sie blieb lauschend stehen.

      Der Mann fand das Haus offen und trat ein. Sie hörte ihn an die Gademtür pochen und hörte, daß sie die Stühle rückten.

      „Hei, Uli Enz ab der Rüeten!“

      Das rief der Hans.

      „Hans Ochsner, ein guet Zit!“

      Es fiel die Tür zu.

      Mutter Weßnerin schlich nach. Der Uli Enz war kein Weihnachtsgast, den sie gewünscht hätte. Er stammte aus Appenzell, war von St. Gallen an das Einsiedler Stift geschickt worden. Als Vogt stand er im Rufe, ein harter Mann zu sein. Er war einer der Stärksten weitum nach ihrem Hans.

      Sie öffnete leise den Gadern und fand die Männer in Aufruhr. Nur Bombast saß ernstblickend im Bankwinkel. Auch Marx, der Knecht, hatte die Ofennähe aufgegeben.

      Uli Enz ab der Reuten stand in der Mitte.

      „Sie sänd von Tüfers in der Nacht ufzogen. Do kunnten die Bündter nit entgegen. Als hänt sie Münster genommen. Nu ruefen die Bündter üns. So einer ist ein redlicher Eidgenoß, der mueß folgen!“ Dabei ließ er seinen Spieß gegen das Estrich schellen.

      „Du hast guet reden“, wehrte der alte Ochsner ab. „Du bist von Appazell, ihr seid nahend bi Tirol.“

      „Die von Tirol hänt ein Botschaft uf Ulm gsandt an den Bund. Daß sömlichs denen Ritteren verbuhlet, schwobisch Stadtgschmütz der Tüfel schänd und alln die fallend Suocht ankumm! Die bringend

Скачать книгу