Der Schneeball. Neo Tell

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an das Erscheinungsbild eines Profi-Boxers oder kampferprobten Fremdenlegionärs. Und in der Tat hatte Bormann als junger Mann einen Großteil der GSG 9-Ausbildung schon durchlaufen und wäre beinahe vollwertiges Mitglied der Spezialeinheit der Bundespolizei geworden. Doch kurz vor dem Ende der Ausbildung führte ein plötzlicher Disput mit seinem Ausbilder zu seinem freiwilligen Austritt aus der Elitetruppe und zur Aufnahme seines Jurastudiums. Innerhalb der Kölner Staatsanwaltschaft wusste man von diesem martialischeren Teil von Bormanns Vergangenheit; für gewöhnlich ließ man keine Gelegenheit aus, darauf aus den Höhen des juristischen Elfenbeinturms herabzublicken und Bormann damit aufzuziehen. Dies bedeutete jedoch nicht, dass man ihn nicht als Juristen für voll nahm und nicht durchaus sehr respektierte. Trotzdem vermochte Bormann sich aber eine kleine geistreiche Spitze in Richtung Deshonra als Vergeltung für die abfällige Bemerkung seines Chefs über seine Lesegewohnheiten nicht verkneifen:

      „Sie haben Recht: Wir leben zwar alle unter demselben Himmel, aber das bedeutet noch lange nicht, dass wir auch alle denselben Horizont haben.“

      „Lassen Sie doch Ihre ständige intellektuelle Masturbation, Bormann.“

      Für einen Augenblick wusste Deshonra nicht mehr, worauf er hinauswollte. Dann fand er den Faden wieder:

      „Ist das euer Ernst? ,Robin Hood im Kostüm des Weihnachtsmanns’? Robin Hood am Arsch des Propheten.“

      Der Chef spielte auf den Titel des Artikels an. Anscheinend schaukelte er sich gerade in eine seiner berühmten Tiraden. Jahrelange Erfahrung hatte Bormann gelehrt, jetzt vorsichtig zu sein. Er musterte den ihm gegenüber sitzenden unbekannten Dritten im Raum. Ein dürrer, fast ausgehungert wirkender Mann, dessen kurz rasierter Schädel auf einem in solcherlei Amtsstuben eher selten anzutreffenden Maßanzug aus edelstem Tuche thronte. Der Unbekannte nahm Notiz von Bormanns abtastenden Blicken, verzog aber keine Miene.

      „Wenn das wahr ist, was diese Tintenpisserin namens Rosa Peters hier schreibt, und ich betone wenn, weil ich mir beileibe nicht sicher bin, ob es wahr ist,“ der Chef der Kölner Staatsanwaltschaft unterbrach seine Rede an dieser Stelle kurz, schaute einen Augenblick mit abwesendem Ausdruck im Blick aus dem Fenster und sprach schließlich weiter, „dann ist das ganz und gar inakzeptabel. Die einzigen, denen es zusteht, vermeintliche Verursacher oder Profiteuere der Finanzkrise zu richten, sind unsere rechtmäßigen Gerichte. Niemand darf das Geld anderer Leute im Wege des Betrugs an sich nehmen, um es à la Robin Hood mir nichts, dir nichts und quasi nach Gutdünken unter anderen wieder zu verteilen. Wenn überhaupt – was ich allerdings auch bezweifle, Sie kennen meine politische Einstellung hierzu, Bormann – kommt diese Aufgabe dem Staat zu. Deshalb möchte ich, dass Sie sich der Sache annehmen. Machen Sie diese Rosa Peters ausfindig und finden Sie möglichst bald heraus, was an alledem dran ist!“

      Bormann war perplex. Er fühlte sich in dieser Sache in doppelter Hinsicht nicht zuständig.

      Was die sachliche Zuständigkeit anbetraf, waren ganz eindeutig seine Kollegen von der Abteilung für Wirtschaftsstrafsachen zuständig, weil es sich um Kapitalanlagebetrug und soweit ersichtlich nicht um ein Korruptionsdelikt handelte, wofür er und die ihm unterstellten Staatsanwälte zuständig gewesen wären. Insofern der leitende Oberstaatsanwalt in diesem Punkt den Geschäftsverteilungsplan seiner Behörde missachtete, überraschte dies Bormann jedoch nicht. Ähnliches war schon häufiger vorgekommen. Denn eine Staatsanwaltschaft war neben einer Anklagebehörde vor allem auch eine Ermittlungsbehörde, die eine Ermittlungspflicht traf, wenn sie durch Anzeige oder auf anderem Wege, das heißt wie hier zum Beispiel aus den Medien, von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erlangt. Und Bormann war aufgrund seiner ungewöhnlichen Methoden der mit weitem Abstand effektivste Ermittler der Behörde, was jeder dort uneingeschränkt anerkannte. Wenn es zur Anklage käme, würden einfach seine Kollegen den Ball wieder von ihm zugespielt bekommen. Diese Art von Arbeitsteilung war mittlerweile gang und gäbe geworden.

      Was allerdings die Frage der örtlichen Zuständigkeit anbelangte, konnte Bormann sich keinen Reim auf das Einschreiten seines Chefs machen.

      Er fragte zaghaft:

      „Ist das denn überhaupt die Aufgabe der Kölner Staatsanwaltschaft?“

      „Ja“ antwortete Deshonra lapidar.

      Bormann hakte nach:

      „Was ist mit der Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen Frankfurt am Main? Stand in dem Artikel nicht etwas davon, dass das betrügerische Kapitalanlageunternehmen mutmaßlich am dortigen Finanzplatz ansässig gewesen ist?“

      „Keine Sorge, Bormann, wenn meine Informationen aus dem Justizapparat zutreffen, haben die hessischen Kollegen den Fall bereits an sich gezogen. Aber meinen Sie, dass wir uns den Luxus erlauben können, uns auf diese inkompetenten Deppen zu verlassen?“

      Bormann war sich unsicher. Mehr zu sich selbst als zu den anderen beiden in der Runde sagte er:

      „Trotzdem bin ich nicht überzeugt davon, dass wir in dieser Angelegenheit aktiv werden sollten. Das könnte Ärger für Sie geben.“

      Er hätte es lieber unterlassen sollen, seiner Skepsis Ausdruck zu verleihen. Die Stimme Deshonras vibrierte jetzt:

      „Sagen Sie Bormann, seit wann sorgen Sie sich um meine Karriere? Unter den geschädigten Kapitalanlegern befinden sich mit Sicherheit auch solche aus unserem örtlichen Zuständigkeitsgebiet. Deshalb treten wir hier – angefangen mit unserer Sitzung heute – auch auf den Plan. Basta. Von wegen nicht unserer Zuständigkeitsbereich, die Sache ist – falls an ihr überhaupt etwas dran sein sollte – unsere ureigene Angelegenheit. Wir können die Show doch nicht allein den Frankfurtern überlassen.“

      Die Art und Weise, wie Deshonra dies wild gestikulierend vorgetragen hatte, ließ keinen Zweifel daran, dass die Diskussion hiermit, was ihn anbelangte, beendet war. In einer kampfeslustigeren Stimmung hätte Bormann seinen Chef nun herausgefordert, indem er ihn für eine kleine Weile in eine Auseinandersetzung darüber verwickelt hätte, welcher Stellenwert Verwaltungsökonomie in Zeiten völlig überlasteter Strafverfolgungsbehörden beizumessen sein sollte. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich die Fälle, er und seine Mannschaft kamen kaum hinterher. Es war schwer zu glauben, in welche Winkel der Domstadt die Tentakeln der Korruption nicht schon alle gelangt waren.

      Doch die lediglich bis zur Hälfte ausgetrunkene Tasse Kaffee hatte Bormanns Lebensgeister noch nicht zu wecken vermocht. Auf kaum verhohlenes Drängen seines Chefs hin verließ Bormann den Raum, ohne über den mysteriösen Dritten im Bunde das kleinste bisschen erfahren noch ein Sterbenswörtchen mit ihm gewechselt zu haben.

      10 – Mayfair, London

      Am Nachmittag des 30. Dezember nippte Alexander Büsking zusammen mit seinem Bodyguard im Claridge‘s den Afternoon Tea aus feinsten chinesischem Porzellan – für 80 Pfund pro Person. Gerade hatte er sich von der in London lebenden Alleinerbin eines deutschen Zuliefererunternehmens für die Automobilindustrie verabschiedet. Neben der Einladung zu dem exklusiven Nachmittagstee mit deliziösen Finger-Sandwiches, frischgebackenen Rosinen-Apfel-Scones an Marco Polo-Jelly sowie Cornish Clotted Cream, Himbeertörtchen, Macarons und Rosè-Chmapagner, hatte er sich in den letzten Wochen noch zahlreiche andere Schmeicheleien einfallen lassen, um die alte Milliardärin zu einem Investment in seinen neuen Hedge Fund zu bewegen.

      Wie viele ehemalige Investmentbanker versuchte er sich nach seiner Bankkarriere auf diese Weise selbständig zu machen. Schlechterdings ließen die dicken Fische noch auf sich warten. Trotz intensiven Klinkenputzens hatte bisher weder ein US-amerikanischer Lehrer-Pensionsfonds noch ein europäischer Versicherer angebissen, sondern sich allenfalls Plankton angesetzt.

      „Thomas,

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