Der Schneeball. Neo Tell

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style="font-size:15px;">       (Zitat aus einer von Griedl am 7.3.2009 versandten Email)

      Griedl der Ältere drückte wie wild auf dem Laserpoint herum, den man ihm für das Vor- und Zurückschalten der Folien vor Beginn seiner Rede ausgehändigt hatte. Es geschah nichts. Panisch durchbohrte er daraufhin mit seinen Blicken den Studenten, der unten vor der Bühne in Lederhosen und mit neongelber Trucker Cap den Laptop bediente, an welchem der Beamer angeschlossen war. Der Student aber zuckte bloß mit den Achseln, so als wollte er Griedl dem Älteren sagen, dass auch ihm die Kontrolle über das Geschehen hier entglitten war. Eine neue Folie erschien:

       Horst Griedl – der Faire:

       „Sie behaupten: Frauen verdienen 20 % weniger, obwohl sie dieselbe Arbeiten machen. Ich frage: Warum stellt ein am Shareholder Value orientiertes Unternehmen dann nicht ausschließlich Frauen ein?“

       (Zitat aus einer von Griedl am 14.1.2010 versandten Email)

      Unter das allgemeine Gelächter mischen sich nun mehr und mehr auch Buh-Rufe. Die nächste Folie:

       Horst Griedl – der Weltoffene:

       „Die Griechen mögen Sex erfunden haben, aber erst die Italiener haben der Gleichung Frauen hinzugefügt.“

       (Zitat im Zusammenhang mit Bemerkungen zur griechischen Schuldenkrise aus einer von Griedl am 2.11.2012 versandten Email)

      Und zu guter Letzt:

       Horst Griedl – der Tolerante:

       „Es macht mich immer so glücklich, wenn ein verlauster Hipster an der Sicherheitsschleuse eines Flughafens für einen Terroristen gehalten wird.“

       (Zitat aus einer von Griedl am 15.5.2013 versandten Email)

      Zu Griedls Bestürzung kam der junge Mann am Laptop unten dem, was man so gemeinhin als einen Hipster zu bezeichnen pflegte, gefährlich nah. Ihm wurde schwindelig. Er war sich sicher, diese Emails vor langer langer Zeit gelöscht zu haben. Als beste Verteidigungsstrategie erschien ihm ein vollumfängliches Dementi, da es sich hier ja nur um Zitate auf PowerPoint-Folien und nicht die Original-Emails handelte:

      „Diese Aussagen hier sind nicht von mir. Ich habe diese nie getätigt.“

      Ein älterer Staatsanwalt in perfekt sitzendem Anzug trat gefolgt von zwei Polizisten auf die Bühne. Während er die zwei Beamten zum Pult zu Griedl schickte, hielt er seinen Dienstausweis hoch und rief mehr zum Publikum als zu Griedl:

      „Geben Sie sich keine Mühe, Herr Griedl. Vorgestern haben wir aus einer anonymen Quelle umfängliche Dateien unter anderem mit ihrer Email-Korrespondenz der letzten 15 Jahre erhalten. Deren Authentizität ist inzwischen durch unsere IT-Forensik bestätigt worden.“

      „Das ist eine Hexenjagd. Niemals hätten Sie als Beamter derartige Materialien herausgeben dürfen.“

      „Haben wir auch nicht. Den Organisatoren dieser Veranstaltung wurden sie ebenfalls von der anonymen Stelle zugeleitet. Was diese damit machen, steht gänzlich außerhalb unseres Machtbereichs. Das geschieht völlig unabhängig von unserem Erscheinen im jetzigen Moment hier. Im Übrigen sind Ihre obigen Aussagen für uns strafrechtlich nicht von Relevanz. Die mag man als lustig empfinden oder auch nicht. Mir egal. Nach meiner persönlichen Auffassung verifizieren diese einzig und allein, dass Sie ein arrogantes, elitaristisches, sexistisches, chauvinistisches Arschloch sind. Von uns von Interesse war allerdings vielmehr, dass die Datenpakete ebenfalls zweifelsfrei belegen, dass Sie sich des Betrugs in zahllosen Fällen schuldig gemacht haben. Deswegen, Herr Griedl, nehme ich Sie hiermit fest.“

      Der Staatsanwalt hatte den letzten Satz kaum beendet, da klackten die Handschellen an Horst Griedls Handgelenken. Der Saal tobte. Von Alois Griedl der Jüngere war derweil weit und breit keine Spur mehr. Auf dem Pult leuchtete das Display von Horst Griedls iPhone auf. Die Nummer des Absenders der Nachricht war unterdrückt:

       Und er brüstet sich frech, und lästert wild;

       Die Knechtschar ihm Beifall brüllt.

      6 – Sahlkamp, Hannover

      Vor ihrem ersten Besuch letzte Woche hatte Rosa sich noch gewundert, warum das Hochhaus, in dessen 14. Stockwerk sich Deniz Güls Zweizimmer-Sozialwohnung im Hannoveraner Problemstadtteil Sahlkamp befand, von Gül selbst im Rahmen ihrer Wegbeschreibung am Telefon als „Springerturm“ bezeichnet worden war. Als Rosa dann aber vor einer Graffiti-besprenkelten Wand von Klingeln gestanden hatte, die sich las wie die Namensschilder auf einer UNO-Vollversammlung, und keine zehn Meter neben ihr etwas Schweres dumpf auf den Asphalt gekracht war, hatte sie begriffen. Die Menschen sprangen, weil sie das Leben hier nicht mehr aushielten. Oder weil jemand nachhalf.

      Rosa dachte an jenem 28. Dezember, an dem in München die Bits & Pretzles stattfand, ungläubig daran zurück, wie professionell und unbeteiligt sie vor einer Woche reagiert hatte. Sie hatte nebenan nachgeschaut, den zerfetzten körperlichen Überrest eines menschlichen Wesens gesehen, pflichtbeflissen die Polizei gerufen, geduldig gewartet, ihre Aussage präzis gemacht und war dann unbekümmert in einem nach Urin stinkenden Fahrstuhl zu Frau Gül hinauf gefahren, um endlich das Interview zu führen, wofür sie die Anreise aus Hamburg auf sich genommen hatte. Heute, wo ihre Vergewaltigung durch von Schirach kaum 24 Stunden zurücklag, traf sie die Hoffnungslosigkeit dieses Ghettos hingegen mit voller Wucht. Sie wischte sich Tränen aus den Augen und drückte die Klingel.

      „Hallo meine Liebe.“

      Rosa wurde mit einer Selbstverständlichkeit umarmt, als ob sie die Tochter gewesen wäre, die Deniz Gül nie gehabt hatte. Die Herzensgüte der Begrüßung einer Quasi-Fremden versetzte sie wieder einmal in Staunen, hatte das Leben Frau Gül doch nicht das beste Blatt ausgeteilt.

      „Guten Tag, Frau Gül.“

      Zehn Jahre hatte die mittlerweile sechzigjährige Türkin aus Izmir als Haushälterin des Hannoveraner Drückerkönigs Walter Rokamp gearbeitet. Eines Morgens, als sie ihm den Kaffee beim Frühstück einschenkte, hatte sie ihren Arbeitgeber nach einem Anlagetipp für ihr auf dem Girokonto dahindarbendes Kleinkapital gebeten. Rokamp, der zwar ganz unten angefangen hatte, inzwischen aber ein großes Rat drehte und solcherlei Brosamen eigentlich am Wegesrand liegen lassen konnte, roch sofort das Geschäft. Wer den Pfennig nicht ehrt, ist den Taler nicht wert! Er verwies sie an die nächste Hannoveraner Niederlassung seines inzwischen bundesweit operierenden Finanzvertriebs Deutsche Anlageberatung (DAB). Leichtgläubig deckte sie sich dort auf wärmste Empfehlung ihres Chefs hin mit sämtlichem hoch provisionierten Schrott ein, den deutsche Finanzvertriebe sich zu der Zeit ganz vorne ins Schaufenster zu hängen pflegten. Mit Ausbruch der Finanzkrise 2007 / 2008 verlor sie dann nahezu ihre gesamten Ersparnisse. Als sie Rokamp damit konfrontierte und vorsichtig nach einer Entschädigung fragte, wiegelte er ab. Drei Monate später wurde sie entlassen. Seitdem war sie nicht nur vermögens-, sondern trotz intensiver Jobsuche wegen ihres fortgeschrittenen Alters auch noch langzeitarbeitslos.

      „Kommen sie herein. Ich habe Tee für uns gemacht. Außerdem habe ich ein fantastisches Baklava im Hause. Möchten

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