Der Schneeball. Neo Tell

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Der Schneeball - Neo Tell

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führte Rosa zu einem liebevoll gedeckten Tisch in ihrem winzigen Wohnzimmer. Trotz der bescheidenen Verhältnisse fühlte Rosa sich wie auch schon bei ihrem ersten Besuch letzte Woche sofort wohl. Die Gastgeberin schenkte ihnen schwarzen Tee in kleine Glasbehältnisse ein. Sie probierten von dem Baklava.

      „Wie ich beim letzten Mal schon gesagt habe, kann ich mit Ihnen leider keine pikanten Details aus dem Privatleben meines ehemaligen Arbeitgebers Herrn Walter Rokamp teilen. Die simple Wahrheit ist, dass ich ihn als einen zwar von seiner Arbeit besessenen, ansonsten aber stinknormalen, durch und durch biederen Mann erlebt habe.“

      Für einen Moment lang befürchtete Rosa, dass sie umsonst gekommen war, dass Frau Gül nichts Neues für sie zu berichten hatte. Letzte Woche war sie erschienen, weil sie über Rokamp einen Artikel schreiben wollte und sich durch eine Recherche in seinem privaten Umfeld Aufschluss darüber erhofft hatte, was für ein Mann er war. Rokamp hatte seit Abbruch seines Medizinstudiums, das heißt quasi sein ganzes Leben lang einen militärisch geführten Finanzvertrieb aufgebaut und diesen kurz vor der Pleite der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers an einen Luxemburger Versicherungskonzern veräußert. Während er dadurch zum Milliardär avancierte, verloren im Anschluss daran Abertausende Kleinanleger, welche die von ihm vertriebenen Finanzprodukte gutgläubig gekauft hatten, im Verlaufe der Finanzkrise ihre Ersparnisse. Der mediale Aufschrei war groß. Den wenigsten Journalisten gelang es jedoch, über das Vorgesagte hinaus wirklich neue Einsichten in der Causa Rokamp zu Tage zu fördern. Rosas Kalkül war da gewesen, dass wenn jemand etwas wüsste, es die Frau sein müsste, die ihm tagein, tagaus das Frühstück serviert, die seine Hemden gebügelt und die passende Krawatte herauslegt hatte. Leider hatte sich letzte Woche jedoch gezeigt, dass Deniz Gül nichts Nützliches zu ihrem Artikel beizusteuern wusste. Vielleicht hatte sie Rosa heute deshalb zu sich eingeladen, weil ihr schlichtweg einsam und dies die einzige Möglichkeit war, jemanden zu bewegen, ein Glas Tee mit ihr zu trinken.

      Doch dann, so als ob Frau Gül Rosas Gedanken erraten hätte, zog sie etwas Funkelndes unter ihrer mit einem Rosenmuster dekorierten Küchenschürze hervor. Rosa schaute näher hin.

      Zum Vorschein kam Fabelhaftes. Das Licht brach in tausend Farben. Rosas Kenntnisse über Diamanten waren zwar im besten Fall rudimentär (sie hatte natürlich über Blutdiamanten aus Sierra Leone & Co. gehört, den Film Blood Diamond mit Leonardo DiCaprio gesehen und darüber hinaus jüngst einen kritischen Bericht im Manager Magazin über die Geeignetheit von Diamanten als Kapitalanlageobjekt für Privatpersonen gelesen). In diesem Fall war sie sich aber sicher. Hier hatten sie es mit einem lupenreinen Diamanten von mindestens einem Karat in einem perfekten Brillantschliff zu tun.

      7 – Preziöse im Springerturm

      „Bitte Frau Peters, Sie dürfen niemandem erzählen, dass ich auch einen Diamanten bekommen habe.“

      Die liebenswürdige ältere Frau schien dieser Punkt sichtlich zu bewegen. Rosa versprach es ihr.

      „Gut. Der Edelstein lag gestern Morgen zusammen mit diesen Worten verpackt in einem Standard-Couvert in meinem Briefkasten. Der Absender war nicht angegeben. Bitte lesen Sie selbst.“

      Sie reichte Rosa den folgenden maschinenschriftlichen Brief und verschwand in der Küche, um einen Nachschlag Baklava zu holen.

       Liebe Frau Gül,

       diesem Schreiben angefügt finden Sie einen Diamanten. Die Qualität dieser Edelsteine wird international anhand der sogenannten vier C’s bestimmt: Carat – das Gewicht des Steins; Color – seine Farbe; Clarity – seine Reinheit; Cut – sein Schliff. Ihrem eineinhalbkarätigen Stein wird in dem ebenfalls diesem Schreiben beigefügten Zertifikat des Antwerpener Hooge Raad voor Diamant – neben dem Gemnological Institute of America die einzige Zertifizierungsstelle, die über jeglichen Zweifel erhaben ist – eine seltene Weißheit, eine makellose Reinheit sowie ein perfekter Brilliantschliff attestiert. Sein Wert beträgt zurzeit um die 20.000 Euro.

       Sie erhalten den Diamanten als Kompensation für den Quasi-Totalverlust, den Sie aufgrund Ihres Investments bei der DAB erlitten haben. Nach meinem Informationsstand betrug der von Ihnen dort ursprünglich angelegte Kapitalgrundstock 16.000 Euro, sodass Sie hiermit zusätzlich eine angemessene Verzinsung erhalten sollten.

       Sie werden in nächster Zeit vielleicht davon erfahren, dass Herr Walter Rokamp – der Gründer und ehemalige Besitzer der DAB – Opfer eines Betrugs geworden ist. Das geht auf meine Kappe. Ich habe Rokamp einen Teil seines Vermögens, den er in mein Kapitalanlageunternehmen investiert hat, genommen, um ihn wiederum unter einem Teil der von ihm geschädigten Anleger umzuverteilen.

       Sie müssen also eine Entscheidung treffen. Entweder Sie melden den Vorgang, damit der Gegenwert des Diamanten wieder an Rokamp gelangt, oder aber Sie behalten ihn für sich.

       Sollten Sie sich für das Erstere entscheiden, brauchen Sie ab hier nicht mehr weiter zu lesen.

       Entspricht dagegen das Letztere eher Ihren Vorstellungen von einer gerechten Welt, kann ich Ihnen nur empfehlen, den Diamanten in den kommenden Monaten möglichst nicht in Ihrer eigenen Wohnung aufzubewahren. Dies deshalb, weil mit einem Besuch der Polizei zu rechnen ist, sobald sie Wind von dieser Sache bekommt. Generell spricht meines Erachtens aber nichts dagegen, den Stein als Geldanlage zu halten, da ich zumindest langfristig mit erheblich steigenden Weltmarktpreisen rechne.

       Ist schließlich der Moment gekommen, an dem Sie den Diamanten zu Geld machen möchten (und sei es nur, weil Sie ihn in den nächsten Monaten nicht vor der Polizei verstecken wollen bzw. können), bietet sich das Antwerpener Diamantenviertel zur Käufersuche an. Statten Sie einfach mehreren renommierten Diamantenhändlern dort einen Besuch ab, lassen Sie sich mindestens von drei Handelshäusern ein Angebot machen und verkaufen Sie an das Höchstbietende. Auf diese Weise werden Sie in Antwerpen nicht über das Ohr gehauen werden können. Falls Sie nicht über Offshore-Nummernkonten verfügen sollten, ist es natürlich anzuraten, eine Barauszahlung des Kaufpreises zu fordern.

      Unter dem Text befand sich keine Unterschrift. Rosa war überrascht über die Schläue des Verfassers. Er schrieb, dass er mit dem erbeuteten Geld nicht jedem der Geschädigten einen Diamanten zugewendet hatte, sondern man nur einem Bruchteil habe helfen können. Sie war jedoch angesichts der Professionalität, mit der er zu Werke zu gehen schien, überzeugt, dass nahezu jeder einen Edelstein bekommen hatte (über eine Liste der DAB-Geschädigten verfügte nach Rosas Kenntnisstand zum Beispiel die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V.). Diese Passage in dem Brief diente wohl einzig und allein dazu, einen Generalverdacht für den Fall zu vermeiden, dass die Strafverfolgungsbehörden ein Exemplar des Schreibens eines Tages in die Hand bekämen und die Preziösen auch von allen anderen DAB-Geschädigten zurückverlangten.

      Sie musste einen Weg finden, im homo oeconomicus über den Vorgang schreiben zu können, ohne dass sie Frau Gül damit in Schwierigkeiten brachte. Eine moderne Robin Hood-Geschichte. Die Story hatte in jedem Fall ungeheuerliches Potenzial. Und hinterließ zugleich jede Menge Fragezeichen. Zuvorderst: Wer war diese Person, die sich bei Rokamp mit einem der schlagkräftigsten und skrupellosesten Milliardäre Deutschlands anlegte? Wie hatte sie es geschafft, den als äußerst argwöhnisch geltenden deutschen Drückerkönig gerade auf dem Gebiet hereinzulegen, welches sein Steckenpferd war: dem glitschigen Terrain der Kapitalanlage? Und warum behielt der oder die Unbekannte das Geld nicht für sich?

      8 – Café Paris, Hamburg

      Es war der 29. Dezember. Rosas Knie zitterten, als sie von einem Fenstertisch aus von Schirach durch den Windfang treten sah. Aber nicht vor Kälte. Sie hatte Angst.

      Zum

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