Der Schneeball. Neo Tell

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Der Schneeball - Neo Tell

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die hier für die Mittagspause an einem Werktag typische rege Betriebsamkeit. Gerade deshalb hatte sie diesen Ort des vorletzten französischen Fin de Siècle für das Treffen ja auch ausgewählt, um das sie von Schirach heute Morgen in einer Email gebeten hatte. Er war gekommen, ohne dass sie ihm im Voraus einen Grund für ihre Zusammenkunft genannt hätte.

      „Es tut mir leid, was da vorgestern zwischen uns vorgefallen ist, Rosa.“

      Sie schreite innerlich vor Wut. Von Schirach wählte seine Worte genau. Es mochte zwar sein, dass ein Teil von ihm den Vorfall aufrichtig bereute, zumal er zugegebenermaßen nicht mehr nüchtern und ganz Herr seiner Sinne gewesen war. In jedem Fall würde er aber nichts sagen, was sie insgeheim auf einem Tonträger aufnehmen und gegen ihn verwenden könnte. Dazu war er zu gerissen.

      Äußerlich gab sie nichts von dem zu erkennen, was gerade in ihrem Inneren vor sich ging. Ganz im Gegenteil: Sie präsentierte sich unverbindlich, nichtssagend und kühl.

      „Mmmmh.“

      Weder wollte sie versöhnlich noch sonderlich rachedurstig oder jähzornig erscheinen. Zwar war sie weit entfernt davon, von Schirach jemals vergeben zu können. Jede Faser ihres Körpers ekelte sich vor ihm. Trotzdem hatte er Recht: Wenn sie sich jetzt mit aller Macht gegen ihn wandte und ihn bei der Polizei anzeigte, würde sie am Ende womöglich als Verliererin dastehen. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen und das Café sofort verlassen zu müssen. Nun galt es, ihn einzulullen und in Sicherheit zu wiegen, bis sich eine Möglichkeit bot, eiskalt Rache zu nehmen.

      „Gestern war ich noch einmal bei Frau Gül, der ehemaligen Haushälterin von unserem Drückerkönig Walter Rokamp. Ich hatte dir vor ein paar Wochen davon erzählt, dass ich einen Artikel über Rokamp schreiben wollte. Erinnerst du dich, Sebastian?“

      Von Schirach murmelte ein Ja. Offensichtlich hatte er erwartet, dass Rosa über das Ereignis vom vorgestrigen Tage mit ihm reden wollte. Sie nutzte den Überraschungseffekt und fuhr fort:

      „Dort habe ich von einem interessanten Vorgang erfahren. Alles ergibt sich aus diesem Artikel von mir. Ich möchte, dass du für seine möglichst zeitnahe Veröffentlichung auf unserer Homepage sorgst.“

      Sie reichte ihm zwei Bogen Papier. Überschrieben waren sie mit ‚Robin Hood im Weihnachtsmannkostüm‘. Darunter befand sich ein ca. anderthalbseitiger Text. Er war überrumpelt. Als er den Artikel zu Ende gelesen hatte, willigte er nicht zuletzt auch deshalb in seine Veröffentlichung ein, weil er hoffte, damit Rosas Stillschweigen erkaufen zu können.

      „Schön. Vielen Dank. Außerdem möchte ich die nächsten Tage erstmal von zuhause aus arbeiten. Geht das in Ordnung?“

      „Okay. Dafür fährst du aber ins Ruhrgebiet und interviewst eine ehemalige Stadtkämmerin für mich, ja? Das hängt mit diesem bayrischen Banker namens Griedl zusammen, der gestern in München verhaftet wurde. Alles Nähere ergibt sich aus einer Email, die ich dir gleich senden werde. Den Tonmitschnitt des Interviews kannst du einfach per Email schicken. D‘accord?“

      „D‘accord.“

      Rosa hatte bekommen, was sie wollte. Nichts hielt sie eine Sekunde länger an einem Ort, an dem sich dieses Scheusal befand. Auch wenn sie von der Verhaftung Griedls noch nichts gehört hatte, würde sie ihre Neugierde diesbezüglich erst später stillen können.

      Sie legte einen 5-Euro-Schein auf den Tisch.

      „Ist es okay, wenn du zahlst?“

      Sie ließ von Schirach keine Zeit zu antworten. Mit Siebenmeilenstiefeln eilte sie davon. Plötzlich wurde ihr wieder genauso übel wie schon zwei Tage zuvor. Mangels besserer Alternativen musste sie sich in den Mönkedammfleet übergeben. Passanten glotzten sie an. Eine alte Frau entrüstete sich über die Verlotterung der Jugend heutzutage. Rosa stellte sich vor, was für eine Erleichterung es jetzt wäre, vom Erdboden verschluckt zu werden.

      9 – Justizzentrum, Kölner Südstadt

      30. Dezember. Matthias Bormann wünschte der Sekretärin seines Chefs im Vorbeieilen einen guten Morgen. Die Art und Weise, wie die hübsche junge Frau ihn anlächelte, ließ ihn verwirrt zurück. War das noch im Bereich des Kollegialen oder wollte es mehr sein? Bei ihrem Anblick wunderte es ihn stets, wie ein so feenhaftes Geschöpf es mit dem Tyrannen auch nur für die winzige Dauer eines Falters Flügelschlags aushalten konnte.

      „Gut, dass Sie meine Nachricht so schnell erreicht hat und Sie sofort gekommen sind, Bormann.“

      Der Chef streckte ihm seine kräftige Hand zur Begrüßung entgegen. Ein unfehlbares Indiz dafür, dass Dr. Felix Deshonra etwas von Bormann wollte. Für gewöhnlich hatte der untersetzte Mittfünfziger ansonsten allerhöchstens Zeit für ein griesgrämig durch den Mundwinkel gedrücktes Hallo.

      „Nur zu, keine Hemmungen.“

      Deshonra wies ungeduldig auf eine Sitzecke aus cognacbraunen Ledersesseln. Am Ringfinger seiner linken Hand, mit der er die einladende Bewegung ausführte, steckte ein riesiger gelbgoldener Siegelring – für Bormanns Begriffe eine geschmackliche Verirrung sondergleichen.

      „Setzten Sie sich, Bormann.“

      Bormann tat wie ihm geheißen. Außer ihm saß dort schon ein Mann in einem dunklen anthrazitfarbenen Flanellanzug, der wie Deshonra und Bormann selbst mittleren Alters war. Bormann hatte ihn noch nie gesehen. Es verblüffte ihn etwas, dass sie einander nicht vorgestellt wurden. Auf einem niedrigen Couchtisch vor ihnen stand eine Kanne frisch gebrühter Filterkaffee. Bormann schenkte sich eine Tasse ein. Draußen brach der Tag an. Das Dämmerlicht tauchte das ansonsten nur von einer Stehlampe beleuchtete Büro des leitenden Oberstaatsanwalts der Staatsanwaltschaft Köln in ein einschläferndes Halbdunkel. Mit Ausnahme des Beamers, der einen Text an die Wand warf, wirkte alles in dem großen, mit einem drei Zentimeter dicken Teppich ausgelegten, komplett holzgetäfelten Raum so, als ob die Zeit hier in den siebziger Jahren stehen geblieben wäre.

      Deshonra startete ohne große Umschweife:

      „Haben Sie schon von diesem Artikel gehört? Er wurde gestern Abend auf der Website des Wirtschaftsmagazins homo oeconomicus veröffentlicht.“

      Bormann nickte. Er musste nur kurz auf den Text an der Wand schauen, um zu wissen, dass er ihn heute Morgen auf seinem Tablet beim Frühstück gelesen hatte. Zwar war er kein regelmäßiger Leser des homo oeconomicus, jedoch haftete ihm das Laster an, ab und zu das App der Bildzeitung zu frequentieren, welches den Artikel im Bild-Wirtschaftsticker kurz erwähnt und auf ihn verlinkt hatte. Bormann schien die Meldung interessant und war dem Link gefolgt.

      „Da ich davon ausgehe, dass Sie den homo oeconomicus keine tägliche Lektüre widmen, folgere ich aus Ihrer Kenntnis des Artikels: Ihnen ist ebenfalls nicht entgangen, dass inzwischen zahlreiche weitere Onlinemedien, die sich noch einer erheblich höheren Besucherzahl als der homo oeconomicus erfreuen dürften, darüber berichten, zumeist sogar eine entsprechende Verlinkung vorsehen?“

      Die Frage war eine rhetorische. Bormann war klar, dass sein Vorgesetzter damit im Wesentlichen darauf abzielte, ihn mit der Bemerkung über seine plebejischen Lesegewohnheiten zu foppen. Er ließ sie nicht zuletzt auch deshalb zunächst ohne verbalen Konter unbeantwortet im Raum hängen, weil sein Chef nicht allzu weit vom Schwarzen entfernt getroffen hatte.

      Bormann, der als Oberstaatsanwalt die Abteilung Korruptionsverfahren der Kölner Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität leitete und gegenüber dem Behördenleiter Deshonra weisungsgebunden war, erfüllte alles andere als das

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