Der Schneeball. Neo Tell

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ich das wirklich ausführen?“

      Büsking winkte ab. Das brauchte sein Freund nicht zu tun. Schweigend aß er seine Colombian Eggs mit Avocado auf und dachte dabei über seine kometenhafte Karriere nach.

      Schon als kleines Kind hatte er, der Sohn eines ostwestfälischen Landwirts, welcher mit seinem Hof im Bielefelder Umland eher schlecht als recht über die Runden gekommen war, nicht verlieren können. Während Büskings BWL-Studiums an der westfälischen Wilhelms-Universität bescherte ihm eine gewisse mathematische Begabung gepaart mit der Fähigkeit, stupide PowerPoint-Slides auswendig zu lernen, Traumnoten. Schließlich verhalf ihm sein gutes Aussehen zu einem Auslandssemester an der berühmten London School of Economics, indem er der Leiterin der Auswahlkommission den Kopf verdrehte.

      Ins Berufsleben startete er auf dem Trading Floor der Germanischen Bank in der City of London. Doch schon bald musste der bisher so erfolgsverwöhnte Berufsanfänger feststellen, dass es für gewöhnliche Derivatehändler am Kapitalmarkt kein Erbarmen gab. Man konnte in dem einen Moment gigantische Summen verdienen, nur um im nächsten alles wieder zu verlieren.

      Irgendwann fiel ihm auf, dass Mitarbeiter seiner Bank die Höhe des Referenzzinssatzes LIBOR zusammen mit anderen Banken selbst bestimmten. Und dass der LIBOR wiederum für die Entwicklung der Kapitalmarktpreise verschiedener Finanzinstrumente verantwortlich war. Stellte man es also richtig an, war das Reichwerden nicht mehr aufzuhalten, weil man schon im Vorhinein wusste, ob bestimmte Kurse steigen oder fallen würden. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken herunter, als er in diesem Augenblick der Klarsichtigkeit spürte, dass er sich fortan wieder auf der Siegerstraße befinden würde.

      Mit deutscher Gründlichkeit schuf und orchestrierte er ein Kartell, das die internationalen Medien später, als es in 2012 aufflog, „French Connection“ tauften. Letzteres deshalb, weil die daran aus seiner und anderen Banken beteiligten Banker in ihren Emails untereinander auf Französisch kommunizierten, um die zu der Zeit nur auf auffällige englische Begriffe abstellenden automatischen Suchprogramme der britischen Finanzaufsicht zu umgehen.

      Das Prinzip war einfach: Der LIBOR (London Interbank Offered Rate) sollte idealtypisch dem Zinssatz entsprechen, zu dem sich Banken am Finanzplatz London untereinander Geld leihen konnten. Arbeitstäglich erfolgte die Fixierung des LIBOR dergestalt, dass die in London international tätigen Banken der British Bankers’ Association den Zinssatz meldeten, zu dem sie sich vermeintlich Geld von anderen Banken borgten. Der britische Bankenverband bildete sodann einen Durchschnittswert, den LIBOR. Die bei den jeweiligen Banken für die Mitteilung zuständigen Geldhändler wurden nun von den eingeweihten Derivatehändlern ihres jeweiligen Bankhauses bestochen, damit sie je nach Wunsch der „French Connection“ zu hohe oder zu niedrige Sätze angaben. Die Manipulation des LIBOR war perfekt.

      Da es weltweit üblich war, die Höhe der Zinsen von Sparguthaben und Krediten, aber auch von diversen anderen Finanzprodukten an den LIBOR zu koppeln, zählten zu den Geschädigten der Verschwörung unter anderem vor allem Gläubiger, die bei einem nach unten hin manipulierten LIBOR zu geringe Haben-, sowie Schuldner, die bei einem nach oben hin verschobenen LIBOR zu hohe Sollzinsen verzeichneten. Betroffen war vom Sparer über den kleinen Häuslebauer bis hin zum Unternehmer also fast jeder.

      Aber das war Büsking schnuppe. Denn unter diesen Vorzeichen war das Trading von Termingeschäften auf den Drei- und Sechs-Monats-LIBOR regelrecht eine Goldgrube. In seinem Rekordjahr allein machte er für sein Bankhaus einen legendären Gewinn von Pi mal Daumen 300 Millionen Euro. Selbstredend wanderte davon ein beträchtlicher Teil in Gestalt eines saftigen Bonus in seine eigene Tasche.

      Inzwischen wurden von den Aufsichtsbehörden gegen die beteiligten Banken, darunter neben Büskings eigener Bank unter anderem Barclays, die Royal Bank of Scotland und die UBS, Milliardenstrafen verhängt. Vor dem Hintergrund, dass nach Schätzungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich weltweit Finanzprodukte im Wert von mehr als 500 Billionen Euro am LIBOR hingen, war auch mit einer Welle zivilrechtlicher Verfahren zu rechnen, gleichwohl die Beweisführung sich hier als schwierig gestalten dürfte. Ferner sahen sich einige Mitverschwörer bereits persönlicher Strafverfolgung ausgesetzt.

      Büsking jedoch, der nach dem Auffliegen des Kartells in 2012 bei der Germanischen Bank gekündigt hatte, blieb weiterhin unbehelligt. Niemand von der Finanzaufsicht oder Staatsanwaltschaft klopfte bei ihm an. Niemand stellte unangenehme Fragen. Stets hatte er im Gegensatz zu seinen Mittätern peinlich genau darauf geachtet, keine Spur zu hinterlassen. Stets hatte er sich wie in diesem Traum gefühlt, in dem man einen Mord begangen hatte und davor zitterte, von der Polizei als der Mörder enttarnt zu werden. Und jetzt war es geschehen, irgendein Möchtegern-Gott, irgendeine kackfreche autodeifizierende Götze maßte sich an, ihn zur Rechenschaft zu ziehen.

      3 – Übers Alstereis nach Winterhude

      Zwischen Rosa Peters eiskalten Beinen lief das viskose Sperma ihres Vergewaltigers lauwarm herab. Sie ging vornübergebeugt, weil ihr Unterleib schmerzte. Es dämmerte. Das Thermometer einer Apotheke, an der sie vorbeikam, zeigte minus sechs Grad Celsius an.

      „Nimm die Pille danach“, hatte von Schirach ihr noch gebieterisch zugeraunt, als er kaum eine halbe Stunde zuvor den Reißverschluss seiner Jeans wieder hochzog. Danach war er in sein Büro gegangen, hatte seinen Kamelhaar-Wintermantel geholt und sich zu seiner jungen Familie aufgemacht, die in einer geräumigen Harvestehuder Patrizierwohnung mit viereinhalb Meter hohen Decken am Kamin auf ihn wartete.

      Rosa wusste nicht wohin als nach Winterhude, wo sie in einer Wohngemeinschaft mit drei anderen jungen Journalisten eng zusammengepfercht lebte. Von der Speicherstadt in der Hafencity kommend durchquerte sie zu Fuß die noble Einkaufsstraße Neuer Wall, um unter Leuten zu sein. Doch die quirligen Menschenmassen, die in den edlen Geschäften ihre Weihnachtsgeschenke umtauschten oder Bargeschenke in Sachwerte umwandelten, verstärkten ihr Gefühl der Einsamkeit nur noch.

      Auf der Höhe der Schleusenbrücke wechselte sie zu den parallel verlaufenden Alsterarkaden. Unter diesen kämpfte sie sich durch die Kälte zum Jungfernstieg vor, dann am Rathaus vorbei auf dem Laternen beschienenen Ballindamm die zugefrorene Binnenalster entlang, bis sie schließlich mit schlotternden Knien auf der Kennedybrücke stand. Die eisbedeckte Außenalster lag nun mit ihrer ganzen Pracht im amethystfarbenen Glast der Dämmerung vor ihr.

      Am gegenüberliegenden Ufer ungefähr zweieinhalb Kilometer Luftlinie entfernt flimmerten die Lichter von Winterhude. Der an der nördlichen Spitze des berühmten Stadtgewässers kauernde Stadtteil war inzwischen nur noch schemenhaft im Halbdunkel zu erkennen.

      Rosa betrat das Eis.

      Die Eisschicht war dünn. Zu dünn. Zwar hatten die Alsterdampfer ihre Punschfahrten mittlerweile eingestellt, womit die Alsterschifffahrt endgültig zum Erliegen gekommen war. Aber erst wenn an 50 Messstellen auf der Alster 20 cm geschlossenes Kerneis gemessen wurde, gab die Stadt die offizielle Freigabe, woraufhin bis zu einer Million Menschen die Eisfläche zum Flanieren, Schlittschuhlaufen oder Glühweintrinken in Beschlag zu nehmen pflegten. Für eine Eisschicht derartiger Dicke bedurfte es in der Regel eines starken Frosts von mindestens zweiwöchiger Dauer. Das Thermometer hatte allerdings erst seit drei Tagen mehr oder weniger kontinuierlich deutlich unter null gelegen. Dicker als ein paar Zentimeter konnte die Eisschicht kaum sein.

      Weit und breit war niemand auf dem Eis zu sehen. Dass man es überhaupt betreten konnte, hatte Rosa heute Morgen aus dem öffentlichen Bus auf dem Weg zur Arbeit gesehen. Ein paar todesmutige Halbwüchsige hatten sich von der Alsterwiese Schwanenwik aus auf den schilfbewachsenen flachen Uferbereich des Stadtsees hinausgewagt. Das Eis hatte sie getragen. Keineswegs war dies jedoch eine Garantie dafür, dass es auch für eine Erwachsene und außerhalb des Uferbereichs dick genug sein würde.

      Zwar wusste

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