Der Schneeball. Neo Tell

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Schneeball - Neo Tell страница 8

Автор:
Серия:
Издательство:
Der Schneeball - Neo Tell

Скачать книгу

auf Hochtouren.

      Sie musste an einer anderen Stelle wieder aufgetaucht sein als sie eingebrochen war. Jetzt galt es, so schnell wie möglich die Einbruchstelle wiederzufinden. In Anbetracht der Menge an Sauerstoff, die sie dabei verbrauchen würde, blieb ihr nicht viel Zeit.

      Sie begann, sich an der glatten Eisschicht in der Hoffnung entlang zu tasten, irgendwo eine Lücke zu entdecken.

      Zehn Sekunden des hastigen Abtastens vergingen, ohne dass sich nur die kleinste Schwachstelle in ihrem Gefängnis aus Eis offenbarte. Obschon es ihr selbst absurd schien, ärgerte sie am meisten daran, dass von Schirach unbehelligt davonkommen würde, wenn sie jetzt umkäme.

      Weitere zehn verzweifelte Sekunden verstrichen. Aber selbst wenn sie dies überlebte, würde sie von Schirach überhaupt drankriegen? Wohl kaum. Der Dreckskerl hatte schon recht damit, dass Aussage gegen Aussage stand. Von der Polizei und den Gerichten durfte sie sich nicht allzu viel erhoffen. Auch der Chefredakteur des homo oeconomicus würde wohl eher seinem Abteilungsleiter als einer Dauer-Praktikantin glauben, zumal ihm die Gerüchte über ihr damaliges Tête-à-Tête mit von Schirach nach der letzten Weihnachtsfeier womöglich zu Ohren gekommen waren.

      Allmählich gewann die Verzweiflung Oberhand über ihren Verstand. Hatte sie sich in einem Zickzackkurs von der Einbruchstelle wegbewegt? War sie etwa in konzentrischen Kreisen unter dem Eis darum herum geschwommen?

      Sie merkte, wie ihr die Luft bedrohlich ausging. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als alles auf eine Karte zu setzen. Sie brach ihr systematisches Abtasten der Eisdecke ab und schwamm entschlossen zurück in die Richtung, wo sie zwar zu Beginn schon gesucht hatte, das Loch aber nach wie vor am stärksten vermutete.

      Nein, sie würde sich nicht der Tortur aussetzen, die eine Anzeige bei der Polizei oder die Einreichung einer Beschwerde über von Schirach beim Chefredakteur zweifelsohne mit sich brächte. Nein, sie würde nicht blind vor Rachgier in ihr Verderben rennen. Was sie tun würde wäre, sich in die Weiterentwicklung ihrer journalistischen Fähigkeiten zu stürzen, sich emporzuarbeiten und mit einem Elefantengedächtnis zu warten, bis die Zeit reif war und sich die richtige Möglichkeit zur Rache an von Schirach auftat. Vielleicht bot die Nachricht von Frau Gül, die sie soeben erhalten hatte, ja schon das richtige Pack-An dafür. Vielleicht war das die Story, die sie als Enthüllungsjournalistin groß rausbringen würde.

      Alleine sie musste zunächst einmal überleben, um dies zu erfahren. Panik befiel sie. Die Luft war weg. Etwas umfasste plötzlich fest ihr Handgelenk. Sie fragte sich noch, ob sich so das Sterben anfühlt. Zog die kalte Pranke des Todes sie ins Jenseits? Sie wurde bewusstlos.

      Als Rosa nach Luft schnappend wieder zu sich kam, hing sie nur noch mit den Beinen im Wasser. An ihren Armen zog beherzt der Raucher, welcher ihren Leichtsinn kurz vor ihrem Einsturz noch mit einem Kopfschütteln bedacht hatte. Geschafft. Sie lag nun neben dem Mann, der ihren Einsturz beobachtet hatte, über eine Holzleiter zu dem Loch im Eis gekrochen war, ihren Arm zu fassen bekommen und sie herausgezogen hatte. Er gebot zur Eile. Hintereinander krochen sie auf den Knien die Leiter entlang zum Steg. Rosa zitterte heftig. Sie gingen durch eine Glasschiebetür in ein riesiges Wohnzimmer. Der Mann reichte ihr flink eine Sofadecke, setzte sie behutsam auf einen Stuhl und versprach, nachdem er den Krankenwagen gerufen hätte, sofort wieder für sie da zu sein. Als er tatsächlich nach kaum 45 Sekunden wieder herbeigerannt kam, war als Zeugnis von Rosas Anwesenheit einzig und allein noch eine Wasserlache unter dem Stuhl zurückgeblieben, auf dem sie gerade noch gesessen hatte.

      5 – Löwenbräukeller, München

      Das Scheinwerferlicht blendete Horst Griedl. Er stand am Rednerpult auf der Bühne des Löwenbräukellers, in dem die Bits & Pretzels dieses Jahr am 28. Dezember stattfand.

      Das gesamte Münchener Startup-Ökosystem war heute Morgen hier versammelt. Die Willkommensrede hatte soeben die Bayrische Staatsministerin für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie gehalten. Das hatte für großen Zulauf vonseiten der Lokalpresse und auch einiger überregionaler Medienorgane gesorgt. Die Veranstalter sprachen von 2.000 Teilnehmern. Der mit Grünzeug-Girlanden und dem Bayrischen Blau-Weiß der Löwenbräu-Brauerei verbrämte Saal war bis auf den letzten Platz mit dem Who’s Who der Szene besetzt.

      „Mein Sohn und ich stehen heute vor Ihnen“ begann Griedl, nachdem er die obligatorischen Begrüßungsfloskeln rezitiert hatte, „um die Gründung unseres Münchener Inkubators Griedl Internet bekannt zu geben.“

      Er sah sich nach dem neben ihm stehenden Alois um und legte ihm jovial eine Hand auf die Schulter. Alois war in höchstem Maße entzückt. Er liebte diesen Spot-Light-Moment seiner Inauguration als Mitglied der hiesigen Startup-Welt. Zwar war der Diebstahl des Geldes durch Flash Capital ein herber Schlag für das Familienvermögen gewesen. Sein Vater hatte ihm jedoch versichert, dass selbst dann noch genug Finanzmittel für die Aus-der-Taufe-Hebung ihres Startup-Beteiligungsunternehmens vorhanden sein würden, wenn sie das verloren gegangene Kapital nicht wiederbekämen. Und die Redezeit auf diesem Meet & Greet-Event hatte sein Vater schon Monate im Voraus reservieren müssen.

      Alois hatte ein sehr gutes Gefühl bei alledem. Im Publikum erkannte er sogar das ein oder andere Gesicht von der WHU wieder. So fühlte man sich also, dachte er, wenn man als jemand zu einem Klassentreffen kommt, der es geschafft hat. Mit Stolz, den der ein oder andere im Saal als Arroganz verkennen mochte, hörte der Filius dem Senior zu, als dieser fortfuhr:

      „Zu diesem Zweck wurden von uns bereits vor Monaten attraktive Büroräumlichkeiten im Glockenbachviertel angemietet. So tragen wir dazu bei, die Attraktivität Münchens als Startup-Standort zu stärken und als insofern gleichwertige Alternative zu Berlin zu etablieren. Werte, auf denen unser Tun fußen soll, sind Bodenständigkeit, Kollegialität, Respekt, Fairness, Weltoffenheit, Toleranz…“

      Gelächter war plötzlich im hinteren Ende des Saals ausgebrochen und hatte sich vom dortigen Herd in Windeseile wie eine afrikanische Seuche verbreitet, sodass Horst Griedl sich schließlich gezwungen sah, seinen Redefluss zu unterbrechen. Jemand an den vorderen Tischen stieß seinen Nebenmann an und bedeutete diesem mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger, zur Leinwand auf der Bühne zu schauen. Auch die beiden Griedls wandten sich schließlich zu ihr um. Was sie sahen, dimmte das kurz zuvor noch lodernde Feuer ihres Unternehmergeistes auf ein winziges Flämmchen herunter.

      Auf einer PowerPoint-Folie stand:

       Horst Griedl – der Bodenständige:

       „Gestern hat mich eine Tussi gefragt, was ich mit zehn Millionen Euro machen würde. Ich hab ihr gesagt, dass ich mich wunderte, wo zum Teufel der Rest meiner Geldes geblieben ist.“

       (Zitat aus einer von Horst Griedl am 12.4.2005 versandten Email)

      Die nächste Folie erschien:

       Horst Griedl – der Kollegiale:

       „Eine Win-Win-Situation ist, wenn ich dich zwei Mal besiege.“

       (Zitat aus einer von Griedl am 3.11.2006 versandten Email)

      Danach eine weitere Folie mit einem waschechten Griedl-Zitat:

       Horst Griedl – der Respektvolle:

      

Скачать книгу