Und Gott schaut zu. Erich Szelersky

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Und Gott schaut zu - Erich Szelersky

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früheren Zeiten schon wesentlich verbessert, denn vor Gründung des Roten Kreuzes ein paar Jahre zuvor bedeutete eine Verwundung, bei der man sich nicht selbst helfen konnte, eine Überlebenschance von höchstens fünfzehn, bei inneren Verletzungen gar nur von einem Prozent. Jetzt war der königlich preußische Sanitätsdienst Stolz darauf, dass mehr als vierzig Prozent der Verwundeten überlebten. Die Zeit im Lazarett verging langsam. Gustav lag auf seinem verlausten Strohlager und wartete darauf, endlich nach Hause zu können. Aber wo ist mein zuhause? Was soll ich tun auf dem Gutshof? Je mehr er über sein Schicksal nachdachte, desto verzweifelter empfand er seine Lage. Am Morgen des zwölften Tages seines Aufenthaltes im Lazarett kamen zwei Helfer, die ihn auf eine Trage hoben und aus dem Zelt brachten. Dort beschied man ihm, aufzustehen. Gustav stand, gestützt auf die beiden Helfer, auf. Er stand auf einem Bein. Seine Hose zierte ein großer gelber Fleck. Urin. Wo hätte er pinkeln sollen? Von Zeit zu Zeit war jemand gekommen, der ihm raus geholfen hatte. Aber meistens war er auf sich alleine angewiesen. In den ersten Tagen nach der Beinamputation ging gar nichts. Er konnte sich nicht bewegen und pinkelte einfach in die Hose. Später rutschte er auf dem Bauch raus aus dem Zelt und urinierte im Liegen neben das Zelt. Dies war auch seine Lösung des Problems, wenn sich sein Stuhlgang meldete, obwohl dies bei Wassersuppe und einem Kanten Brot täglich nicht so oft vorkam. Die Helfer hoben ihn auf einen Karren.

      »Jetzt geht‘s heim”, beschieden sie ihm und überließen ihn seinem Schicksal. Er suchte sich auf dem Wagen einen Platz. Da saß er nun, umgeben von ebenso zerlumpten Kreaturen, notdürftig verbunden, unrasiert und verlaust.

      Der Karren, auf den sie verfrachtet worden waren, rumpelte auf den ausgefahrenen Wegen in Richtung Schlesien. Wagen auf Wagen, gezogen von den Pferden, die gestern noch vor die Geschützlafetten gespannt waren, bildete einen fast endlosen Zug. Anfangs waren die Spuren der Kriegshandlungen nicht zu übersehen. Zerstörte Dörfer säumten ihren Weg. Häuser, die einst Familien eine Bleibe und ein Zuhause gegeben hatten, standen ohne Dächer da. Löcher in den Wänden legten Zeugnis ab von den Kanonaden, denen die Häuser schutzlos ausgeliefert gewesen waren. Verkohlte Holzbalken hingen vom Dachstuhl herunter und Vieh lag tot neben den Häusern, hingerichtet von der Zerstörungswut der Soldaten. Es war ein bizarres Bild, das sich den Soldaten auf den Wagen bot. Je weiter sie sich von den Kriegsschauplätzen entfernten wurde das Landschaftsbild freundlicher. Ausgedehnte Felder, auf denen das Getreide in voller Größe auf die Ernte wartete, lösten sich mit sattgrünen Weiden ab, auf denen Kühe und Pferde weideten. In den schlesischen Dörfern hielten die Menschen inne und schauten dem vorbeiziehenden Tross zu. Frauen und Kinder brachten Eimer mit Trinkwasser, und auch Gustav nahm dankbar etwas Wasser und trank. In der Menge stand ein Uniformierter, vielleicht der Dorfpolizist, der seine Begeisterung laut hinausposaunte.

      »Der Krieg ist vorbei. Wir haben gesiegt. Österreich ist geschlagen. Es lebe König Wilhelm!«

      Gustav rief dem Polizisten mit seiner Pickelhaube, der ihnen die freudige Botschaft zugejubelt hatte, zu.

      »Was wird jetzt? Gibt es jetzt keinen Hunger mehr?«

      »Was?« schaute ihn der Angesprochene ungläubig an.

      »Jetzt kann Deutschland neu entstehen, ein einig Vaterland.« Gustav sah auf seinen Stumpf. Deutschland. Er hatte noch nie davon gehört. Deutschland musste etwas Großartiges sein.

      Bei jedem Schlagloch durchzuckte Gustav ein Schmerz an seiner noch nicht verheilten Wunde. Nach vier Tagen erreichten sie ihr Ziel. Ihm war es wie eine Ewigkeit vorgekommen. Sie mussten vom Wagen runter und wurden angewiesen, sich in eine lange Schlange einzureihen. Da standen sie nun, die Sieger von Königgrätz und gleichzeitig die Unglücklichen der glorreichen preußischen Armee. Ein Bild des Elends. Die meisten trugen noch Verbände. Vielen fehlten Gliedmaßen. Kaum einer, der nicht eine Krücke brauchte. Es stank nach abgestandenem Schweiß und eingetrocknetem Urin. Es regnete nicht mehr. Fliegen schwärmten in der Sommerhitze umher und Mücken labten sich an den verkrusteten Blutverbänden. Die Wartenden hatten seit Tagen nichts Vernünftiges mehr gegessen. Während ihrer Fahrt vom Lazarett zur Kommandantur in Reichenbach hatte man ihnen jeden Tag eine gekochte Kartoffel und eine Scheibe Brot gegeben. Dazu einen Becher gefüllt mit Zichorie, die so dünn war, dass man ohne Mühe bis auf den Boden des Holzbechers sehen konnte. Kaum ein Tag verging, an dem nicht einfach einer an Schwäche umfiel und nicht mehr aufstand. Es kümmerte auch keinen sonderlich. Die Schwächsten und die mit den schlimmsten Verwundungen hielten diese Tortur nicht lange aus. Gustav hatte es überstanden und war angekommen. Langsam bewegte sich die Schlange in Richtung auf einen Tisch zu. Gustav humpelte an einer Krücke mit, in den Augen ein Blick, in dem sich seine ganze unendliche Mutlosigkeit widerspiegelte.

      »Name, Einheit?« herrschte ihn der Sergeant hinter dem grob gezimmerten Tisch an.

      »Gustav Szlapszy, 21. Infanterieregiment.« Gustavs Stimme war leise, bedrückt und entmutigt. Er war mit zwanzig Jahren ein Krüppel. Was sollte er anfangen? Welche Arbeit konnte er noch verrichten?

      »Wo kommst Du her? Was hast Du gemacht?«

      »Ich komme vom Gut Schwissnitz. Habe dort auf dem Gut gearbeitet.«

      »Was hast Du da gemacht?«

      »Hilfsschnitter:«

      »Du warst also Hilfsknecht?«

      »Ja, anfangs, als ich acht war. Dann war ich Lorenkutscher in der Ziegelei.«

      Er machte eine Pause, so als wenn er nachdenken müsste. Dann ergänzte er.

      »Und sonst war ich bei den Pferden.«

      »Bei den Pferden? Ausmisten und Einstreuen? Oder sonst noch was?«

      »Striegeln, Anschirren und auf die Weide bringen, wenn der gnädige Herr es befahl.«

      »Aha. Kannst Du schreiben und lesen?«

      »Ja, ich war sechs Jahre auf der Schule in Reichenbach.« Der Sergeant nahm ein Formular und schrieb Gustavs Namen darauf. Dann stempelte er es ab, unterschrieb es und reichte es Gustav.

      »Melde Dich bei der Verwaltung von Gut Kuckau. Du bist jetzt ein Veteran der königlich preußischen Armee.« Gustav wusste nicht, was dies zu bedeuten hatte. Der Sergeant sah seinen fragenden Blick.

      »Als preußischer Veteran erhältst Du eine Kate auf Gut Kuckau und dort wirst Du auch Arbeit bekommen. Danke Deinem König. Du siehst, er meint es gut mit seinen Soldaten.«

      Er machte eine Handbewegung, die Gustav nicht daran zweifeln ließ, dass er jetzt weg zu treten hätte. Gustav humpelte auf seiner Krücke davon; in eine ungewisse Zukunft.

      Hochzeit und Familie

      Schlesien

      1868

      Zwei Jahre waren seit diesen Ereignissen vergangen. Gustav hatte sich von seinen Verwundungen und den Strapazen erholt.

      Er wohnte in einer Kate am Rande des Gutes Kuckau in der Nähe von Langenbielau. Dort war auf Veranlassung der preußischen Verwaltung eine Forstkolonie entstanden, auf der die Veteranen der preußischen Armee angesiedelt wurden. Es gab inzwischen im gesamten preußischen Hoheitsgebiet solche neu geschaffenen Dörfer, denn die Kriege gegen Dänemark und Österreich hatten viele Opfer gefordert. Die vielen Toten und Verwundeten der Kriege stellten für die preußische Regierung kein besonderes Problem dar und niemand machte sich besondere Gedanken über das Elend, das die Kriege geschaffen hatten. Schwierig war die Versorgung der Kriegskrüppel und der alten, ehemaligen Soldaten, für die sich in der Armee keine Verwendung mehr finden ließ. Sie würden nach den Kriegen in die Städte streben

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