Und Gott schaut zu. Erich Szelersky

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Und Gott schaut zu - Erich Szelersky

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den Einschlägen der Granaten der österreichischen Artillerie, die wahllos ihre Opfer unter den Menschen und Zugpferden fanden. Pferde, die gerade noch die schweren Lafetten gezogen hatten, stoben davon, befreit von der Last der Kanone, die, durch eine Granate getroffen, umgestürzt, sich von den Deichseln gelöst hatte. Die Pferde, fast wahnsinnig vor Angst von dem Inferno der einschlagenden Granaten und des Kanonendonners, rannten los, jedes in eine andere Richtung, was aber nicht ging, da sie durch das Zaumzeug des Wagens, der jetzt hinter ihnen lag, aneinander gebunden waren. Sie überschlugen sich, brachen sich die Knochen oder rannten in nicht mehr zu beherrschender Panik ziellos umher. Dabei überrannten sie alles, was ihnen in den Weg kam. Pferdekörper begruben Soldaten. Die Schreie Getroffener oder von den Pferden zermalmter Menschen vermischte sich mit dem Wiehern der geschundenen Pferde sowie dem Kanonendonner und dem Geräusch der einschlagenden Geschosse zu einer Horrorsymphonie.

      Offiziere versuchten, Ordnung in das Chaos zu bekommen. Sie gaben Befehle, schlugen oder traten zu, um ihren Anordnungen mehr Nachdruck zu verleihen; aber alles Bemühen war zwecklos. Gustav machte kehrt und rannte erneut der Kanonade entgegen. Etwas ratlos lief er über die Brücke und sprang an deren Ende in die Uferböschung. Geschützt durch Bäume und hoch gewachsene Büsche und Sträucher fand er eine Stelle, die ihm für den Augenblick geeignet schien. Er warf sich hin und verharrte. Nach und nach kamen immer mehr Soldaten hinzu, die es auch geschafft hatten, lebend über die Brücke zu kommen. Unter größten Verlusten gelang es den Preußen im Verlauf des Tages, die Brücke zu sichern und die Artillerie in Stellung zu bringen. Der Fluss war rot gefärbt vom Blut der gequälten Seelen, die nicht einmal wussten, wofür sie ihren Blutzoll geleistet hatten. Die österreichische Artillerie beherrschte noch das Geschehen. Sie feuerte Salve auf Salve; doch die preußischen Soldaten, unbarmherzig angetrieben von ihren Vorgesetzten, hielten ihre Stellungen. Gustav lag im Dreck und hoffte. Fünf Stunden ging das nun schon so. Wollen die denn überhaupt nicht mehr aufhören? Gustav war am Ende. Er lag mit seinen Kameraden vom 21. Infanterieregiment am Rande eines kleinen Wäldchens direkt oberhalb der Uferböschung, an einer Stelle, wo die Bistritza einen Knick nach rechts macht. Dichte Sträucher von Holunder gaben ein wenig Schutz vor den Augen der österreichischen Artilleristen, aber nicht vor deren Granaten. Er spähte über die leicht ansteigenden Auen der Bistritza den Hügel hinauf. Dort war er, der Feind. Er wusste nicht, warum die Österreicher Feinde waren. Er hatte noch nie mit einem gesprochen, aber ihr Korporal

      hatte ihnen gesagt, dass es nun endlich gegen die verdammten Österreicher ging, und der musste es ja wissen. Gustav verlor das Gefühl für die Zeit. Das Warten zerrte an den Nerven. Die Einschläge der Granaten ließen nicht nach. Es war kaum möglich, seine Nase zu heben. Die Artillerie der Österreicher feuerte aus allen Rohren. Bäume stürzten um, zerfetzt von den Granatsplittern wie die Soldaten darunter. Seine Mutter hatte ihn immer gewarnt.

      »Geh nie zu den Soldaten«, hatte sie gesagt. Sie war überhaupt eine kluge Frau, hatte sich Tag für Tag für ihn und Martha abgemüht. Aber sie konnte noch so viel arbeiten; es reichte nur für das Allernotwendigste. Tränen füllten seine Augen, als er an seine Mutter dachte. Für einen Augenblick vergaß er seine Umgebung und versank in seine Kindheit. Mutter war schön. Schwarzes Haar, schlanke Hände, denen man nicht ansah, dass sie jeden Tag schwere Arbeit verrichten mussten, und einen großen Mund mit herrlichen roten Lippen. Wenn sie ihn küsste, versank er in ihr, obwohl sie seine Mutter und er ein kleiner Junge war. An seinen Vater konnte er sich nicht mehr richtig erinnern. Er war noch zu klein, als er starb. Mutters Grab hatte er lange nicht mehr besucht. Wo Martha war wusste er nicht. Vermutlich auf Schwissnitz. Wenn er den Krieg überleben sollte würde er sie besuchen. Das nahm er sich fest vor. Gustav schreckte von einem Schmerzensschrei hoch. Neben ihm war eine Granate eingeschlagen und ein Splitter hatte dem Soldaten, der neben ihm im Morast lag, den Arm abgerissen, der nur noch an ein paar Fetzen Haut und dem Stoff der Uniformjacke hing. Alles war rot vom Blut, das aus der klaffenden Wunde spritzte. Der Soldat schrie und griff an die Stelle, an der er noch seinen Arm glaubte. Angsterfüllt blickte er umher, das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse entstellt, doch keiner kam, um ihm zu helfen. Gustav konnte das nicht länger mit ansehen. Er kroch unter dem Granatenhagel zu ihm hinüber und packte ihn. Gemeinsam mit einem anderen Soldaten zog er ihn, selbst mehr rutschend als kniend, runter zum Fluss. Gustav suchte ein Tuch. Er fand sein Halstuch und tränkte es im kalten Wasser der Bistritza. Dann sprang er zurück zu dem Verwundeten. Sie rissen ihm den Rock auf. Als Gustav den abgerissenen Arm sah wurde ihm übel. Da, wo der Arm einmal mit der Schuler verbunden gewesen war, klaffte ein riesiges, blutendes Loch. Die Schulter existierte nicht mehr, und Gustav konnte in den Körper des Soldaten hineinsehen. Er presste den Lappen auf den blutigen Stumpf und schrie um Hilfe; aber vergebens. Sie legten den Verwundeten unter einen Busch und pressten weitere Lappen und Stofffetzen, die sie aus ihren Hemden herausrissen, auf die Wunde.

      »Dem ist nicht mehr zu helfen«, hörte Gustav einen seiner Kameraden sagen. Der Soldat kroch wieder an den Platz unterhalb der Böschung, wo es sicherer war, als weiter unten am Flussufer.

      »Wir können ihn doch hier nicht so liegen lassen.« Gustav schrie und drehte sich wieder dem Verwundeten zu. Immer und immer wieder bemühte er sich, die Blutung zum Stillstand zu bringen; aber vergebens. Das Blut spritzte in regelmäßigen Schlägen aus der Wunde.

      »Komm Gustav, das ist nicht Deine Aufgabe«, rief ihm der andere Soldat zu. »Der verreckt eh.«

      Doch Gustav wich nicht von der Seite des Verwundeten. Auf dem Gutshof hatte er schon einmal gesehen, wie bei der Ernte einer beim Aufladen des Heus unter ein Wagenrad gekommen war. Das sah fast genauso aus. Der Arm hing bei ihm auch nur an einem Hautfetzen und musste später ganz abgenommen werden. Der Vorarbeiter hatte dem Verletzten nasse Tücher in die Wunde gepresst und oberhalb der Wunde den Arm zusammengepresst, bis der Arzt da war. Gustav versuchte dies auch, so gut er konnte. Durch die Kompresse ließ der Blutstrom auch etwas nach; aber zum Stillstand konnte Gustav ihn nicht bringen.

      »Ich heiße Platje, Johann Platje aus Neiße. Sag meiner Mutter, wo ich liege. Bitte, sag es ihr. Sie soll zumindest wissen, wo ihr Sohn gestorben ist.«

      Er röchelte nur noch. Gustav beugte sich über ihn, um ihn besser verstehen zu können.

      »Ruhig Johann, Du wirst nicht sterben. Gleich wird Hilfe kommen.«

      Aber Johann nahm die Worte nicht mehr wahr. Seine Augen waren bereits leer und ohne Lebenshoffnung. Gustav legte seinen Arm unter Johanns Schulter und hob seinen Kopf. Er merkte, wie das Leben Johann verließ und dass seine Bemühungen nichts geholfen hatten. Johann verblutete am Ufer der Bistritza wie viele andere auch.

      Es gab seit dem Gemetzel bei Solferino 1859, bei dem 30000 Soldaten getötet wurden und weitere 40000 wegen schlechter Versorgung starben, Sanitätssoldaten, die unter dem besonderen Schutz des Roten Kreuzes die Verwundeten versorgten; aber es waren noch viel zu wenige und so lange die Kampfhandlungen im Gange waren, war an eine wirksame Hilfe für die Verwundeten kaum zu denken.

      Gegen Mittag hörte die Kanonade auf. Ganz unvermittelt herrschte Ruhe. Kein Getöse und Gedonner.

      »Die Österreicher!« Der Ruf elektrisierte den verdreckten Haufen. Gustav spähte über den Rand der Böschung. In Reih und Glied und schritten die österreichischen Infanteristen, die Fahne voran, in geschlossener Formation auf sie zu. Die Trommler wirbelten mit den Stöcken und marschierten mit gleichmäßigem Trommelschlag los. Ob sie wollten oder nicht, jeder wurde vorwärts gedrückt. Vorweg die Fahnen der Einheiten, getragen von den Fähnrichen. An ihrer Seite die Fahnenjunker. Dann die Soldaten. Zwischen den Kompanien marschierten die Chargierten und die Trommler. Schritt für Schritt, Trommelwirbel für Trommelwirbel schoben sich die Österreicher mit aufgepflanzten Bajonetten heran. Die preußische Artillerie schoss mit ihren Kanonen in die voranschreitenden Österreicher hinein. Nach jedem Einschlag lichteten sich die Reihen, doch die aufgerissenen Lücken wurden durch Soldaten aus den folgenden Reihen sofort geschlossen. Auf Befehl kniete die erste Reihe hin, die zweite stand aufrecht dahinter, und feuerten aus ihren Gewehren. Wer Anzeichen machte, zurück

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