Und Gott schaut zu. Erich Szelersky

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Und Gott schaut zu - Erich Szelersky

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noch ein paar gurgelnde Laute von sich. Wieder andere stürzten unter lautem Schreien und jammerten, wenn die Nachfolgenden über sie hinweg den Preußen entgegen marschierten. Das Schlachtfeld war ein einziges Schreien und Stöhnen, doch der Kanonendonner und das Knallen der Gewehre überdeckte alles. Noch lag Gustav mit seinen Kameraden im Schutz der Uferböschung. Doch dann kam der Befehl, sich mit aufgepflanztem Bajonett zu einer geschlossenen Formation aufzustellen.

      »Feuer!« Gustav schoss in den Pulk der sich auf ihn zu bewegenden Leiber hinein. Die Gewehrsalven der Preußen rissen noch mehr Lücken bei den Österreichern. Gustav schoss, getrieben von der Angst um das eigene Überleben. Immer und immer wieder ohne darüber nachzudenken, was er tat.

      Die preußischen Infanteristen schossen und schossen, und die Österreicher fielen und fielen; doch sie schritten weitger vorwärts. Die Bajonette blitzten furchterregend. Wenn es ihnen gelänge, so nah ran zu kommen, dass sie Mann gegen Mann mit den Bajonetten kämpfen konnten, war der Vorteil der Preußen durch das neue Gewehr verloren. Gustav konnte nicht mehr denken. Er konnte nur noch laden und schießen, doch die Menschenwand schien trotz der ungeheuerlich Vielen, die gefallen waren, nicht abzunehmen. Dann prallten die Soldaten mit der Wucht ihrer Todesangst aufeinander. Keine Zeit mehr zum Schießen. Gustav hatte sein Bajonett aufgepflanzt. Mann gegen Mann kämpften sie verbissen um ihr Leben. Es wurde mit dem Bajonett gestochen, geschlagen und gestoßen. Ein unbeschreibliches Gemetzel war im Gange. Gustav stolperte und fiel. Vn der Seite sah er einen österreichischen Füsilier auf sich zulaufen, das Bajonett zum tödlichen Stoß auf ihn gerichtet. Gustav sprang auf, drehte sich und hob sein Gewehr zur Abwehr. Aber es war zu spät. Das Bajonett hatte sich bereits in ihn gebohrt. Er knickte ein und fiel. Auf dem Rücken liegend sah er, wie der österreichische Füsilier zum tödlichen Stoß ausholte. Er erwartete seinen Tod, doch der blieb aus. Er öffnete seine Augen und sah, wie der Österreicher zusammenbrach; tödlich getroffen von einem Bajonettstoß.

      Gustav durchzuckte ein stechender, höllischer Schmerz. Dann verlor er das Bewusstsein.

      Als Gustav wieder zu sich kam herrschte Ruhe, himmlische Ruhe. So musste es im Himmel sein, dachte er. Kein Kanonendonner, keine Schreie tödlich Verletzter. Ängstlich vor dem, was er sehen würde, zögerte er einen Augenblick, bevor er die Augen aufschlug. Regen fiel in sein Gesicht. Es war ihm nicht bewusst, wie lange er schon hier lag. Es war kalt, und es war Nacht. Gustav fror. Er stöhnte vor Schmerzen. Doch er war nicht der einzige. Um ihn herum lagen die Opfer der Schlacht. Tote und Verwundete. Manche waren so schlimm verwundet, dass sie sich den Tod als Erlösung herbeisehnten. Das Klagelied der so sehr Gepeinigten klang durch die Dunkelheit, und es machte keinen Unterschied, ob die Klagen eher österreichisch oder mehr preußisch klangen. In ihrem Elend waren sie alle eins. Keine Feinde mehr, nur noch arme Kreaturen, die um ihr Leben zitterten und sehnlichst auf eine barmherzige Seele warteten, die ihnen ihre Not ein wenig linderte oder sie von ihren Leiden befreite.

      Gustav wusste nicht mehr, welchen Tag sie hatten. War das Gemetzel erst gestern gewesen? Es lag schon so weit zurück, und doch, seine Verwundung erinnerte ihn daran, dass alles erst vor ganz kurzer Zeit geschehen sein musste. Er tastete seine Wunden ab. Ein tiefes Loch war in seiner Hüfte. Seine Hand suchte unsicher nach dem Schmerz in seinem rechten Bein. War es noch dran? Er wollte sein Bein zu heben. Es ging nicht. Der Schmerz drohte ihm das Bewusstsein zu nehmen. Gustav atmete tief durch. Brandgeruch drang in seine Nase und verursachte ihm Übelkeit. Vorsichtig versuchte er, seine Umwelt zu erkunden. In der Dunkelheit erkannte er schemenhaft Gestalten, die über das mit Körpern übersäte Schlachtfeld liefen. Manchmal bückten sie sich, um zu hören, ob einer noch atmete. Wenn sie jemanden gefunden hatten, der noch lebte, trugen sie ihn auf einer Bahre weg. Wann würden sie bei ihm sein? Würden sie ihn überhaupt finden? Schüttelfrost erfasste seinen ganzen Körper. Seine Kehle hatte der Durst ausgetrocknet. Er fühlte sich jämmerlich. Seine notleidende Seele öffnete seinen Mund zu einem Ruf nach Hilfe, jedoch erstickte die Stimme, bevor ein Laut seinen aufgerissenen Mund verlassen hatte. Dann verlor er wieder das Bewusstsein. So dämmerte er dahin.

      Das spärliche Licht einer Petroleumlaterne erfasste sein Gesicht. Ganz allmählich wurden Konturen eines Mannes deutlich. Er blickte auf Gustav hinunter. Die dunkle Stimme mit dem schlesischen Tonfall beruhigte ihn.

      »Er hat viel Blut verloren. Aber Glück hat er gehabt. Wäre das Bajonett nicht am Hüftknochen abgeglitten, hätte es ihm seine Eingeweide zerfetzt. Das heilt wieder. Da sieht das Bein viel schlimmer aus. Wenn der Wundbrand sich nicht bessert müssen wir morgen amputieren.«

      Gustav schloss die Augen. Ohne Bein, was mach ich ohne Bein? Seine Gedanken kreisten um diesen einen Gedanken. Er nahm die ganz Kraft, die sein Körper noch hatte, und richtete sich an den Arzt.

      «Wie lange bin ich schon hier?«

      »Zwei Tage«, antwortete der Feldarzt, ein großer Mann von etwa fünfzig Jahren. Dazu lächelte er sanft, was man in dieser Umgebung nicht unbedingt erwarten konnte.

      »Du hast zwei Tage und zwei Nächte auf dem Schlachtfeld gelegen. Da ist Dreck in die Wunde gekommen. Es eitert. Du wirst sterben, wenn wir das Bein oder einen Teil davon nicht abnehmen.«

      »Aber was soll ich denn ohne Bein tun?«

      Ich war Ziegler, bevor ich Soldat wurde und muss laufen können.«

      »Das ist jetzt nicht so wichtig. Du musst Dich entscheiden. Bein ab oder tot!«

      Er machte mit den Händen eine Hilflosigkeit ausdrückende Bewegung. Dann wandte er sich ab und ging. Gustav drehte sich um. Zu seiner Linken lag ein Mann auf einem Strohlager wie er. Ihm fehlte ein Arm. Der Kopf war verbunden. Durch den Verband drang Blut, so dass sich der Verband inzwischen rot gefärbt hatte. Eine Granate, hörte er den anderen sagen. Leere Augen starrten ihn an. Jeder hat sein Schicksal. War das Leben mit nur einem Bein meines? Gustav wandte sich ab. Morgen würde er operiert werden.

      Am nächsten Morgen kam ein Mann zu ihm und brachte ihm eine Flasche mit einer klaren Flüssigkeit darin. Er gab sie Gustav und forderte ihn auf, daraus zu trinken. Gustav setzte an. Schnaps. Wieso bekam er Schnaps?

      »Trink aus«, sagte der Überbringer der Flasche. Gustav tat, wie ihm geheißen. Ein warmes Gefühl durchströmte ihn. Es ging von seinem Magen aus und erfasste ihn bis in die Füße und Hände. Selbst die Zehenspitzen fühlten sich warm an. Seine Wunden schmerzten nicht mehr und in seinem Kopf wurde alles leicht. Plötzlich kamen drei weitere Männer hinzu. Einer drückte ihm den Körper auf den Strohsack, ein anderer packte sein linkes Bein und hielt es so fest, dass er es nicht mehr bewegen konnte. Der Schnapsbote schob ihm einen Lederriemen zwischen die Zähne und drückte seine Schultern auf den Strohsack, in dem er sich von hinten mit seinem Gewicht auf Gustavs Schultern wuchtete. Der vierte Mann ergriff mit der Linken Gustavs Bein in Höhe des Knies und mit der Rechten setzte er die Säge etwa zehn Zentimeter unterhalb des Knies an. Erst wollte Gustavs Gehirn nicht wahrhaben, was er spürte. Dann wurde es für ihn zur Gewissheit. Die Säge zerteilte seinen Unterschenkelknochen. Erst hörte er das Geräusch der Säge in den Händen des Arztes. Dann hörte er nur noch seine Schreie. Und dann hörte er nichts mehr.

      Zeit kann wie eine Ewigkeit vergehen. Gustav tobte, wandte sich vor Schmerzen, jammerte, versuchte den Sägenmann abzuschütteln und biss in seiner Verzweiflung auf den Lederriemen. Dann hörte das Geräusch von Zersägen von Haut, Muskelgewebe und Knochen auf. Gustav wehrte sich nicht mehr. Die Wunde wurde verbunden, um die Blutung zu stillen.

      »Wenn die Blutung zum Stillstand kommt, wird er überleben«, drang es an sein Ohr.

      »Verbindet ihn heute Abend noch einmal. Morgen sehen wir weiter.«

      Die Ärzte gaben sich Mühe, die vielen Verwundeten zu versorgen, aber sie waren viel zu wenige. Äther war gerade für die Anästhesie entdeckt worden, doch es war zu teuer für die Verwendung im Feldlazarett nur ein

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