Und Gott schaut zu. Erich Szelersky

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Und Gott schaut zu - Erich Szelersky

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spürte, dass seine Mutter endlich etwas Vernünftiges essen musste. Deshalb schloss er sich auch sofort den anderen an, als sie nach Waldenburg ziehen und um Brot betteln wollten. Auf dem Wochenmarkt angekommen sahen sie schon von weitem eine große Menschenansammlung. Frauen hielten ihre Kinder hoch und flehten die Händler und Bauern an, ihnen etwas Brot oder Kartoffeln zu geben. Das gab es auch, doch der Preis war nicht zu bezahlen. Die Händler verlangten den vierfachen Preis von dem sonst üblichen. So viel Geld hatte keiner.

      »Das haben wir nicht. Wir können das nicht bezahlen!«, riefen die Menschen, doch die Verkäufer ließen sich nicht erweichen. Die Stimmen wurden immer lauter, doch die Menschenmasse verhielt sich friedlich. Hinterher konnte niemand mehr erklären, was den Ausschlag gab. Irgendetwas brachte das Fass zum Überlaufen und der Sturm der Empörung brach los.

      Es waren die Frauen, die als erstes über die Stände herfielen. In der Sorge um ihre Kinder schnitten sie die wenigen Kartoffelsäcke auf und plünderten die Auslagen und Vorräte. Die Marktleute versuchten, ihre Ware auf die Pferdewagen oder Handkarren, mit denen sie am Morgen in die Stadt gezogen waren, zu retten, doch, nachdem die Plünderungen einmal begonnen hatten, gab es kein Halten mehr. Die Hungrigen stürzten sich auf alles Essbare und rafften es zusammen. Händler schrien, Marktfrauen kreischten und riefen nach der Polizei. Im allgemeinen Durcheinander erwischte Gustav einen Laib Brot, den er in seinen Beutel steckte. Über einen umgekippten Marktstand rannte Gustav hinter Johann her, der sich einer Gruppe von Männern angeschlossen hatte, die dem Haus des Metzgers zustrebte. Sie polterten gegen die Türe und riefen: »Mach auf, Du fettes Schwein, gib uns etwas von Deinem ab.«

      Als sich im Haus nichts rührte begannen sie, heftig gegen die Türe zu treten. Erst als einer mit einer schweren Eisenstange des Schloss aufbrach sprang die Türe auf, und die Männer strömten in die Metzgerei. Gustav, erst noch ein wenig zaghaft und vorsichtig, folgte ihnen und sah, wie die Männer das, was sie an Wurst und Speck fanden, in ihren Beuteln und Rucksäcken verstauten. Vom Geschäft führte eine Treppe in die erste Etage, wo der Metzger offensichtlich seine Wohnung hatte. Der Mob stürzte hinauf und suchte nach den privaten Vorräten, die sie bei dem Metzger vermuteten. Gustav hatte Hemmungen, doch die Angst, ohne etwas Essbares vor seiner Mutter zu stehen, ließ ihn sie überwinden. Hastig hob er ein paar Würste, die in dem Getümmel auf den Boden gefallen waren, auf, und steckte sie zu dem Brot in seinen Beutel. Dann verließ er das Geschäft und trat auf die Straße hinaus. Die meisten Marktstände waren umgekippt. Überall waren die Türen von den Geschäften aufgebrochen. Nach und nach weiteten sich die Unruhen vom Marktviertel über die ganze Stadt aus. Überall suchten die Menschen, Männer und Frauen mit ihren Kindern auf dem Arm oder an der Hand, nach Läden, in denen sie etwas Wertvolles zu finden glaubten, und wenn es schon keine Lebensmittel waren, dann sollten es zumindest Dinge sein, die man später gegen Essbares eintauschen konnte. Nach etwa einer Stunde Plünderungen rückte die Polizei an. Sie hatte Order, die Menge auseinander zu treiben, doch dies war nicht so einfach. Die Ereignisse hatten ihre eigene Dynamik entwickelt. Als die Ordnungskräfte feststellen mussten, dass ihre Anwesenheit keinen Eindruck bei den Wütenden hinterließ, schlugen sie wahllos auf die Menge ein. Die ersten fielen unter den Schlägen, und, davon beeindruckt, wichen die anderen erst einmal zurück. Für einen Augenblick schien sich die Lage zu beruhigen, doch der Schein trug. Die vielen von Hunger und Angst ums Überleben Getriebenen gaben nicht auf. Rasend schnell verteilte sich die Menge in dem Gewirr der Gassen und formierte sich neu. Gustav rannte so schnell er konnte, immer darauf achtend, dass er Johann nicht aus den Augen verlor. Für einen Moment lief Gustav Gefahr, von den zurückströmenden Menschen niedergetrampelt zu werden. Er suchte an einer Hauswand hinter einem Mauervorsprung Schutz und verfolgte, wie die Menschen in wilder Panik an ihm vorbei jagten. Kurz darauf wurde ihm bewusst warum. Die Regierung hatte zusätzlich eine Kompanie Infanteristen eingesetzt, die für Ruhe und Ordnung sorgen sollte. Mit aufgepflanzten Bajonetten marschierten die Soldaten auf die Menschenmenge zu, doch die wich nicht weiter zurück. Sie konnte nicht. In den engen Gassen hatte sich ein Stau gebildet, der sich immer mehr verdichtete. Von hinten wurde nachgeschoben, da dort hinten die heranrückenden Soldaten nicht zu sehen waren, und vorne war der Marsch der Hungernden im Angesicht der bewaffneten Soldaten zum Stehen gekommen. Angetrieben von einem berittenen Offizier und den mit gezückter Pistole hinter den vorderen Reihen der Füsiliere laut befehlenden Unteroffizieren schritten die Soldaten voran. Immer näher kamen sich die beiden Gruppen. Die Bajonette vorweg würden die Soldaten die ersten Menschen unweigerlich aufspießen, wenn sie nicht zurückwichen. Als die Soldaten die zerlumpte Menge erreicht hatten kamen sie vor den Vordersten zum Stehen.

      »Vorwärts, Marsch!«

      Der Befehl drang jedem durch Mark und Bein. Jeder weitere Schritt würde Menschenleben kosten.

      Die Soldaten zögerten im Anblick der Wehrlosen. Not war ihnen nicht fremd. Auch in ihren Familien gab es Betroffene. Jetzt weiter zu marschieren kam vielen von ihnen so vor, als würden sie gegen ihre eigenen Geschwister oder ihre Eltern vorgehen.

      Die Menschen schrien, Frauen ballten die Fäuste und hielten ihre halbverhungerten Kinder in die Höhe.

      »Vorwärts, Marsch!«

      Der Befehl war unmissverständlich, doch keiner der Soldaten machte einen Schritt. Da fiel ein Schuss und kurz darauf noch einer. Die Unteroffiziere brüllten ihre Befehle; die Soldaten schauten unschlüssig in die Menschenmenge. Allmählich kam Bewegung in die Kompanieformation. Langsam rückten die ersten Soldaten vor. Die Menschen in der vordersten Linie wandten sich um und wollten fliehen, doch der Weg zurück, weg von der Gefahr der Bajonette, war versperrt. Die ersten, von Bajonetten Niedergestochenen oder von Gewehrkugeln Getroffenen, stürzten zu Boden. Schreie der Verwundeten übertönten das jammernde Geschrei der Angsterfüllten. Kinder wimmerten. Eine Frau mit aufgeschlitztem Arm, der gerade noch ein kleines Mädchen getragen hatte, suchte auf dem Boden nach ihrem Kind. Als sie es gefunden hatte warf sie sich schützend darüber, doch das half beiden nicht. Von der in Panik zurückströmenden Masse wurden sie beide zu Tode getreten. In ihrer panischen Todesangst rannten die Menschen so schnell sie konnten weg. In alle Richtungen flüchteten sie, und die Soldaten feuerten, so als wenn das Unheil, das sie mit ihren Bajonetten angerichtet hatten, noch nicht genug sei, eine Salve über die Köpfe der Flüchtenden ab. Auf dem Marktplatz sammelte sich die Menschenmasse wieder. Sie konnte auch nicht anders, da der Platz im Mittelpunkt der kleinen Stadt lag und alle Straßen zu ihm führten. Die Soldaten näherten sich langsam aber unaufhaltsam. Gustav stand im Hauseingang und sah ratund hilflos dem Geschehen zu. Dann flog der erste Stein. Andere taten es dem Werfer gleich. Ein Hagel von Pflastersteinen flog den Soldaten entgegen. Die wichen leicht verwirrt zurück. Sofort wurden Barrikaden gebaut, hinter denen sich die Menschen verschanzten. Gustav rannte zu den anderen Jungen. Einige hatten bereits einige Pflastersteine aus dem Platz herausgerissen und den hinter den Barrikaden verschanzten Werfern gebracht. Die Jungen versorgten die Werfer mit den Pflastersteinen. Unter dem Hagel der heranfliegenden Steine blieben die Soldaten, die keinen Schutz dagegen hatten, stehen. Beide Seite belauerten sich. So brach die Nacht herein. Am nächsten Morgen ließ der Magistrat der Stadt Proklamationen an die Hauswände kleben, in denen die Bevölkerung aufgefordert wurde, in Ruhe und ohne Plünderungen abzuziehen. Die Soldaten hatten sich im Laufe der Nacht in ihre Kaserne zurückgezogen. Doch erst am Nachmittag kam die Masse zur Ruhe. Es gab keine Geschäfte mehr, die nicht geplündert worden waren. Die Leute irrten umher, doch sie fanden keine Beute mehr. Daraufhin richteten sie sich gegeneinander. Die, die noch nichts, oder wie sie glaubten, nicht genug hatten, begannen, ihren Leidensgenossen, die sie für schwächer hielten, alles weg zu nehmen. Es entstand eine Schreckensherrschaft des Pöbels. Männer prügelten aufeinander ein, Frauen entrissen anderen die Beutel mit den wenigen Habseligkeiten, die sie am Tage zuvor ergattert hatten.

      Gegen Abend rückte das Militär aus der Garnison erneut an. Von allen Seiten drängten sie die Masse aus der Stadt in Richtung Nordosten, wo die Landstraße in sanften Biegungen nach Breslau verlief. Wieder flogen Pflastersteine. Die Soldaten bekamen Befehl zu schießen. Die Schüsse dröhnten durch die Stadt. Daraufhin zerstreute sich die Menschenmenge ängstlich und suchte Schutz im Dunkel der hereinbrechenden Nacht. Zurück

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