Die Sagen und Volksmärchen der Deutschen. Friedrich Gottschalck
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man harrte vergebens. Sie kamen nicht, und sind auch
niemals wieder gekommen, die lieben Schwestern.
Bald sagte dem trauernden Jüngling eine leise Ahndung,
daß er die Ursache ihres Verschwindens sey;
daß wohl sein unschuldiger Betrug ihren Lebensfaden
zerrissen habe. Und das quälte und nagte ihm an der
Seele. Er schlich umher, ward bleich und krank, suchte
Ruhe, und – fand sie im Grabe.
* * *
Unersättlichkeit im Genusse tödtet den Genuß. Wer
auch die unschuldigste Freude eine Stunde, und immer
eine Stunde länger schmecken will, als Geschick, Zeit,
Pflicht gestatten, der wird leicht sich und andern verderblich.
Hätte man diese Wahrheit in einer Dichtung darstellen
wollen, man hätte dazu nichts treffenderes finden
können, als die vorstehende Sage, welche aus der Badenschen
Wochenschrift von 1807 genommen ist.
Die goldenen Kohlen.
Nahe bei der Stadt Aschersleben1 liegt in dem engen
Thale, das die Eine durchfließt, eine Mühle. Groß und
stattlich sind ihre Gebäude, die Wohlhabenheit des
Besitzers verkündend. Vordem lebte aber einer ihrer
Eigenthümer in der niedrigsten Dürftigkeit, bis ihn
folgende wunderbare Begebenheit schnell zu einer nie
gekannten noch erwarteten Wohlhabenheit verhalf.
Ein bei ihm dienendes Mädchen erwachte einst mitten
in der Nacht. Sie sah ihr Kämmerlein durch das
Mondlicht erhellt, glaubte, der Tag breche schon an,
und erschrack gewaltig, daß sie vielleicht die Zeit verschlafen
habe. In wenigen Minuten hatte sie sich angekleidet,
und schlich nun leise, damit es der Herr
nicht hören sollte, zur Küche, um Feuer anzumachen.
Sie pickte, und pickte, aber Zunder, Stahl und Stein
versagten ihr hartnäckig den Dienst. Von ungefähr
fällt ihr Blick auf das Küchenfenster, und – da glüht
ihr drüben von der andern Seite des Berges her ein
helles Kohlenfeuer entgegen. Zwar fällt es ihr auf, wo
das Feuer da an den grünen Berg hinkomme; indessen
hält sie die Gelegenheit für gut, sich gleich Feuer zu
verschaffen, wirft das Feuerzeug weg ergreift eine
hölzerne Mulde, und geht hin nach der Stelle, um sich
Kohlen zu holen.
Als sie näher kommt, sieht sie, daß Männer mit
sonderbaren Gesichtszügen, und in einer längst veralteten
Tracht, sich um das Feuer schweigend und unbeweglich
gelagert haben. Dreist von Natur, und weder
was Arges ahndend noch wollend, läßt sie sich durch
diese Erscheinung nicht irre machen, geht darauf zu,
füllt rasch ihr Gefäß mit den vollglühenden Kohlen,
eilt nach der Mühle zurück, und ist froh, auf diese
Weise gleich viel Feuer auf einmal erlangt zu haben.
Kaum aber hat sie die Kohlen auf den Heerd geschüttet,
und sich nach Holz niedergebückt, als sie
auch alle schon wieder erloschen sind. Sie wundert
und ärgert sich darüber, bläst und bläst, daß sie ganz
außer Athem kommt, aber, nichts da – die Kohlen
sind todt und bleiben todt. Schnell nimmt sie das
Gefäß, eilt wieder hinaus, um frische Kohlen zu
holen, und sucht sich nun die größten und glühendsten
aus, denkend: die werden doch glühend bleiben.
Aber kaum liegen diese auf dem Heerde, so sind sie
auch schon wieder schwarz und todt. Unbegreiflich ist
ihr dieß abermalige Erlöschen. Sie schüttelt den Kopf,
ist unschlüssig, was sie thun soll, geht indessen zum
dritten Mal hinaus, Kohlen zu holen, doch mit dem
festen Vorsatze, zum letzten Male. Wie die beiden ersten
Male, füllt sie furchtlos ihr Gefäß mit den besten
Kohlen an; aber, indem sie sich umdreht, zurück zu
gehen, hört sie hinter sich mit drohender Stimme
rufen:
»Nun komm nicht wieder!«
Von Furcht plötzlich ergriffen, läuft sie hastig der
Mühle zu, und wirft mit einem heimlichen Schauder
die Kohlen auf den Heerd, welche, wie die vorigen,
im Nu verlöschen. Eiskalt läuft es ihr über den ganzen
Leib, sie zittert und blickt scheu und bange durch
das Küchenfenster nach dem Feuer hin. Das dauert
ungefähr zwei Minuten, da fängt die Thurmuhr in der
Stadt an zu schlagen. Sie schlägt und schlägt eine
lange Reihe. Jetzt ertönt der letzte, der zwölfte
Schlag, und – weg ist das hellglühende Kohlenfeuer,
weg sind die seltsamen Gestalten, nicht eine Spur
davon ist noch sichtbar.