Die Sagen und Volksmärchen der Deutschen. Friedrich Gottschalck
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können. Möchten sie doch immer mehr auf jene, aus
dem alltäglichen Leben und den bürgerlichen und geselligen
Verhältnissen der sogenannten gebildeten
Stände hergenommenen, Gegenstände Verzicht leisten,
durch welche nicht bloß die Poesie selbst herabgezogen
und entwürdigt, sondern auch das oben gerügte
Mißverhältniß in der Bildung der Nation immer
mehr befördert und die Dauer der poetischen Werke
selbst begreiflicher Weise äußerst beschränkt wird.
Möchten sie dagegen, wie ihnen auch schon von großen
Meistern das Beispiel gegeben ist, sich der
Volkssagen zu ihren Erzählungen und Romanen,
hauptsächlich aber zu der öffentlichsten Gestalt der
Dichtkunst, zu Schauspielen und zu der wundersamen
Gattung der Oper immer häufiger bedienen! Möchte
dazu auch diese Sammlung, welche die Sagen und
Volksmährchen der Deutschen den Liebhabern und
Freunden derselben rein, einfach und ungeschmückt
in die Hände zu geben bestimmt ist, das Ihrige beitragen,
und so die wohlgemeinte Absicht des verdienten
Herausgebers glücklich erreicht werden!
L u d o l p h B e c k e d o r f f .
Der Hexentanz auf dem Brocken.
Eine Sammlung von deutschen Volksmährchen möchte
wohl am schicklichsten mit einem solchen eröffnet
werden, das ein in ganz Deutschland allgemein bekanntes
ist, und daher den Namen eines Volksmährchens
der Deutschen im vollen Umfange des Wortes
verdient. Es sind deren einige da, wovon ich für dieses
erste Bändchen das vom Hexentanze auf dem
Brocken wähle.
Auf dem Harzgebirge giebt es einen hohen, hohen
Berg, der über alle Berge, wohl funfzig Meilen in der
Runde, weit hinwegsieht. Er heißt: der Brocken.
Wenn man aber von den Zaubereien und Hexenthaten,
die auf und an ihm vorgehen und vorgegangen sind,
spricht, so heißt er auch wohl der Blocksberg. Auf
dem Scheitel dieses kahlen, unfruchtbaren Berges –
der mit hunderttausend Millionen Felsstücken übersäet
ist – hat der Teufel jährlich, in der Nacht vom
letzten April auf den ersten Mai, der so genannten
Walpurgisnacht, mit seinen Bundesgenossen, den
Hexen und Zauberern der ganzen Erde, eine glänzende
Zusammenkunft. So wie die Mitternachtsstunde
vorüber ist, kommen von allen Seiten diese Wesen
auf Ofengabeln, Besen, Mistforken, gehörnten Ziegenböcken
und sonstigen Unthieren, durch die Luft
herbeigeritten, und der Teufel holt mehrere selbst
dazu ab. Ist alles beisammen, so wird um ein hoch loderndes
Feuer getanzt, gejauchzt, mit Feuerbränden
die Luft durchschwenkt und bis zur Ermattung herum
geras't. Von Begeisterung ergriffen, tritt alsdann der
Teufel auf die »Teufelskanzel«, lästert auf Gott, seine
Lehre und die lieben Engelein, und zum Beschluß
giebt er, als Wirth, ein Mahl, wo nichts als Würste
gegessen werden, die man auf dem »Hexenaltar« zubereitet.
Die Hexe, die zuletzt ankommt, muß, wegen
Vernachlässigung der herkömmlichen Etiquette, eines
grausamen Todes sterben. Sie wird nämlich, nach der
letzten glühenden Umarmung des Regenten der Unterwelt,
in Stücken zerrissen, und ihr auf dem Hexenaltar
zerhacktes Fleisch, den andern zum warnenden Beispiel,
als eine der Hauptschüsseln des Schmauses vorgesetzt.
Mit anbrechender Morgenröthe zerstäubt die
ganze saubere Sippschaft nach allen Windgegenden
hin.
Damit diese Unholde auf ihrer Hin- und Zurückreise
weder Menschen noch Vieh Schaden zufügen
können, so machen die Bewohner der Oerter um den
Brocken vor der einbrechenden Walpurgisnacht an
die Thüren der Häuser und Ställe drei Kreuze, und
sind dann des festen Glaubens, daß sie und das Ihrige
nun von den durchziehenden Geistern und bösen
Wesen nicht behext werden können.
Kapitel 2
Der Schlüssel zu diesem Mährchen ist wohl ziemlich
klar in der Geschichte Karls des Großen zu finden. Als
Karl mit eben so viel Bekehrungs- als Eroberungsgeiste
die kriegerische Schaubühne in Deutschland zuerst betrat,
waren die Deutschen, namentlich die Sachsen, noch
freie Völker voll Kraft und Muth, die sich durchaus nicht
einer fremden Herrschaft sklavisch unterwerfen wollten.
Als eifrige Götzendiener lag ihnen aber die Religion ihrer
Väter