Der Auftrag. Ralf Wider
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Die Transferkapseln, also die Toiletten, schien das hingegen nicht zu beeinflussen. Sie navigierten auch nicht bodennahe wie ein IFO, sondern katapultierten sich quasi in den Weltraum, um von dort wieder hinunterzustechen zu den Zielkoordinaten in der Parallelwelt. Man nannte das "PX - parallel extra-terrestrial", und man hatte ihm an der Akademie beigebracht, dass es so ähnlich war, wie ein Satellit in seiner Umlaufbahn, einfach zwischen den parallelen Welten. Mit der Transferkapsel konnte man grundsätzlich überall hinkommen in P1, doch es wäre schlicht sinnlos gewesen, sich mitten in den "Nebel" zu setzen! Nicht einmal Ferry wäre das in den Sinn gekommen. Nicht einmal in seinen wildesten Zeiten.
Ferry hatte einen überdurchschnittlich hohen IQ und war gut im Erkennen von Mustern, Reihen und allerlei mathematischen Dingen. Diesmal schien ihn der IQ jedoch im Stich zu lassen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er erkannte, worum es ging: sein Vorgesetzter hatte der Mission ganz bewusst den Namen ATLANTIS gegeben!
Schon die alten Griechen hatten von Atlantis, der untergegangenen Insel, berichtet. Und auch wenn es unter den erstaunlich vielen Atlantis-Forschern geteilte Meinungen dazu gab, wo sich Atlantis befunden haben könnte, so war eine der ältesten und weitverbreitetsten Thesen immer noch, dass es sich mitten im Atlantik befand. Daher kam schliesslich auch der Name…
Master Paris wollte Ferry also tatsächlich nach Atlantis schicken? Auf eine mystische Insel, die es nur in Erzählungen gab? Das war total schräg! Paris war einfach nicht der Typ, der an griechische Mythologie glaubte und ebensowenig an selbstgestrickte Theorien zu versunkenen Inseln…
Ferry tippte die Kachel rechts vom Spiegel an und das Funkmodul erschien. Er drückte den Knopf, der ihn mit der Kommandozentrale verband und wartete.
Der Torso einer rothaarigen jungen Frau mit einem frechen Pagenschnitt in weisser Uniform erschien auf dem Spiegel. Sie hob den Kopf und lächelte Ferry mit einem Zahnpasta-Lächeln an. Ferry kannte die junge Frau nicht und schloss daraus, dass sie neu sein musste. Neu und… süss, irgendwie. Ihre stahlblauen Augen kontrastierten massiv zu den roten Haaren. Er fragte sich, ob die Haarfarbe wohl natürlich war oder ob sie aus der Flasche kam.
"Central Command, how can I help you?", lächelte sie ihn freundlich, aber mit professioneller Distanziertheit an.
"Ich muss mit Paris sprechen!", knurrte Ferry, geflissentlich den English-Code ignorierend.
"Oh. Sie müssen Commander Black sein…" Ihr Blick wanderte von seinem unrasierten Gesicht zu den Streifen auf seinen Schultern. Ihre linke Augenbraue zuckte für einen kurzen Moment nach oben und Ferry glaubte, einen Anflug von Überraschung in ihren Augen aufleuchten zu sehen. Doch sie spielte mit Bravour darüber hinweg und verkündete mit ihrem Zahnpasta-Lächeln: "Master Paris erwartet Ihren Anruf. Ich stelle Sie durch."
Eine Sekunde später erschien die breitschultrige, grossgewachsene Gestalt von Master Paris auf dem Schirm. Er hatte sich abgewendet und beugte sich zu einem Mitarbeiter herunter, der vor einer Reihe von Bildschirmen sass und in einem angeregten Gespräch mit Paris vertieft zu sein schien. Paris sagte in unterdrücktem Ton etwas zu dem Mitarbeiter und dieser erhob sich sofort von seinem Arbeitsplatz und verschwand aus dem Sichtfeld. Paris richtete sich langsam auf und liess dabei die Hände über seine weisse Uniform gleiten, als ob er sie glattstreichen wollte, drehte sich abrupt um und näherte sich gemessenen Schrittes dem Bildschirm, bis sein tiefschwarzes, langes Gesicht fast den gesamten Ausschnitt ausfüllte. Der Afro-Amerikaner war sicher gut zwanzig Jahre älter als Ferry, doch er wirkte nach wie vor energiegeladen und jünger, als er wirklich war. Er hatte scharf definierte Gesichtszüge, die sehr ebenmässig waren und in seinem kurzgeschnittenen Kraushaar gab es kaum weisse Strähnen. Sein Gesicht zeigte wie immer keine Regung, doch Ferry erkannte einen müden Zug um seine Augen.
"Commander.", grüsste er knapp.
"Paris." Ferry deutete ein zurückgrüssendes Kopfnicken an.
Einige Sekunden verstrichen, in denen sich die beiden taxierten. Schliesslich konnte Ferry nicht mehr an sich halten und brach das Schweigen.
"Ist es Laura?" Er musste Gewissheit haben.
"Ich fürchte, ja." Paris' Deutsch war akzentfrei und zeigte keinerlei amerikanische Färbung.
Ferry schloss die Augen für einen Moment und atmete tief durch. Verdammt!
"Was zum Teufel ist passiert?", presste er hervor, jedes Wort einzeln betonend. Die Bestätigung, dass es wirklich um Laura ging, war wie ein Schlag in den Solar Plexus gewesen. Sein Inneres krampfte sich zusammen. Er spürte, wie seine Ohren wieder zu glühen begannen.
Master Paris zögerte einen Augenblick, bevor er zu sprechen begann.
"Die Grauen bauen Siedlungen in P1: kleine Städte, Burganlagen, befestigte Aussenposten…" Der offizielle Terminus für die fremde Lebensform, der man in der Parallelwelt 1 begegnete, war "PCs", oder "parallel creatures", doch alle Mitglieder des P1-Corps nannten sie einfach "die Grauen", aus dem einfachen Grund, weil sie genau das waren: grau. Sie sahen aus wie dunkle Schatten, humanoid, soweit man es beurteilen konnte. Sie schienen einen Kopf zu haben, zwei Arme, zwei Beine. Doch diese Einschätzung beruhte auf reiner Beobachtung aus der Ferne. Es war offiziell noch nie gelungen, einen Grauen lebendig zu fangen und ihn zu studieren. Sie waren im Normalfall äusserst aggressiv und attackierten Menschen sofort, wenn sie sie sahen.
Bisher waren die Grauen meist nur in kleinen Geschwader-Gruppen aufgetreten, die wie Nomaden durchs Land zu ziehen schienen. Sie kamen aus dem Nichts und verschwanden wieder im Nichts. Aufklärung und Verfolgungsjagden hatten keinerlei Stützpunkte aufgezeigt. Dass die Grauen jetzt Siedlungen bauen sollten, war ein Schock für Ferry. Niemand hatte das je für möglich gehalten. Den Menschen war es bisher nicht gelungen, irgend etwas in P1 zu bauen. Darüber würde Ferry ausgiebig nachdenken müssen, um die volle Tragweite dieser Entwicklung einschätzen zu können. Doch jetzt war nicht die Zeit dafür.
"Das ist… erstaunlich. Und… erschreckend!", sagte er.
"In der Tat.", war die lakonische Antwort von Master Paris. Nach einem kurzen Zögern fuhr er fort: "Wir haben alle verfügbaren Staffeln auf die Aufklärung angesetzt und tausende Stunden von Überwachung geleistet, um möglichst alle Standorte zu lokalisieren und herauszufinden, wie sie es machen. Doch es hat sich als sehr schwieriges Unterfangen herausgestellt… Die Nahverteidigung der Siedlungen ist enorm. Sie fliegen pausenlos Patrouille um die Standorte. Nur wenige, sehr mutige Piloten haben es geschafft, das dichte Verteidigungsnetz zu infiltrieren. Squad Leader Hidalgo war eine von ihnen..." Master Paris nannte grundsätzlich alle Piloten bei ihren Nachnamen oder ihrem Rang.
Ferry hatte die Fingerspitzen aneinandergelegt und die Spitzen der Zeigefinger gegen seine Lippen gepresst. Er hörte mit höchster Konzentration zu, die Augen halb geschlossen, aber mit messerscharfem Blick auf Paris gerichtet. Er wollte Paris nicht unterbrechen und dieser sprach weiter. "Hidalgo hat geglaubt, eine Struktur in der Anordnung der Siedlungen entdeckt zu haben... Gemäss ihren Berechnungen scheint es eine Anordnung von konzentrischen Ringen zu sein: Zuäusserst liegen Horchposten, dann kommt ein Ring mit befestigten Truppenlagern, dann burgähnliche Bauten und im innersten uns bekannten Ring finden sich Siedlungen, die man Städte nennen könnte." Er hielt inne und atmete zweimal tief und schwer. "Sie glaubt, dass es im Zentrum der Ringe eine Art Hauptstadt oder Mutterschiff oder irgend etwas Vergleichbares geben muss…" Wieder hielt er inne und eine steile Falte erschien