Das Lächeln der Medusa. Thomas Riedel

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Das Lächeln der Medusa - Thomas Riedel

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      »Ich habe noch versucht Mister Gardner am Sprung zu hindern, kam aber zu spät.« Ihre Lippen fingen an leicht zu zittern. Sie versuchte aufkommende Tränen zu unterdrücken. »Ich habe noch seinen Namen gerufen. Er hat nicht reagiert. Und dann dieser Schrei ... ich werde ihn meinen Lebtag nicht mehr vergessen.«

      McGinnis hatte ein Päckchen Einmaltaschentücher aus der Jackentasche gezaubert und reichte es ihr. Sie sah ihn dankbar an und tupfte sich die Tränen fort.

      Blake warf McGinnis einen ratlosen Blick zu. Sie kannten diese Berichte nur zu gut. In irgendeiner Form hatten sie all das bereits dreiundzwanzig Mal gehört. Und dies war nun das vierundzwanzigste Mal.

      »Miss Thompson ... «, begann er gedehnt. »Ich weiß nicht, ob Ihnen bereits bekannt ist, dass es vor Ihrem Chef schon dreiundzwanzig weitere unerklärliche Todesfälle gegeben hat.«

      »Ich habe darüber gelesen. Die Presse ist ja voll davon«, erwiderte sie niedergeschlagen und wippte, mit zusammengepressten Lippen, wissend leicht ihren Kopf, während sie mit unruhigen Bewegungen mit ihrem Glas feuchte Kringel auf die Tischplatte zeichnete.

      »Mister Gardner muss davon auch gewusst haben«, bemerkte McGinnis. »Immerhin ist er Verleger und seine eigenen Zeitungen haben natürlich auch darüber berichtet.«

      »Ja. Stimmt«, antwortete Felicity Thompson direkt. »Er hat es einmal, wie beiläufig erwähnt, als er morgens ins Büro kam.«

      »Hat er sich weitergehend mit Ihnen über diese seltsamen Vorfälle unterhalten?«, erkundigte sich Blake.

      »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Und private Dinge vertraute er mir auch kaum an. In aller Regel war Mister Gardner ein sehr schweigsamer Mensch. Wenn wir miteinander gesprochen haben, dann war es geschäftlich. Ich kann nicht sagen warum, aber ich hatte immer das Gefühl er sei mir gegenüber recht kühl und reserviert.«

      Blake musterte die junge Frau aufmerksam.

      »Hat er Sie vielleicht nicht gemocht?«, wollte er wissen. »Immerhin waren Sie seine persönliche Sekretärin. Ich nehme an, er wird Sie selbst eingestellt haben.«

      »Ja, er hat mich persönlich eingestellt«, gab sie lächelnd zurück, »und, ja, er hat mich durchaus gemocht.«

      »Dann war er wohl verheiratet, oder?«, schmunzelte McGinnis.

      »Nein. Er war ein eingefleischter Junggeselle«, erwiderte sie. »Ich würde sagen, er war einer von jenen, die die Frauen beinahe hassen.«

      »Als Zeitungsmogul war er sicher recht vermögend, nicht wahr?«, wechselte Blake das Thema.

      »Vermögend trifft es nicht ganz«, entgegnete Felicity Thompson. »Er war steinreich. Und da Sie sicher danach fragen werden: Er hatte sehr einflussreiche Freunde, ... Geschäftsleute, Politiker und so.«

      »Es gibt also keinerlei Erklärung dazu, warum er das getan hat«, sinnierte Blake halblaut, während er sich mit zwei Fingern über seine Augenbrauen strich.

      »Ich verstehe das einfach nicht«, sagte sie. Wieder zuckte sie leicht mit ihren Achseln und brachte damit ihre Ratlosigkeit zum Ausdruck. »Heute Morgen war er anders, ja, beinahe freundlich.« Sie sah wieder von ihrem Glas auf. »Das fiel natürlich sofort auf, weil es nur sehr selten vorkam. Zumeist grüßte er mich nur knapp und verschwand dann direkt in seinem Büro, und das habe ich auch nur dann betreten, wenn er mich ausdrücklich zu sich bat.« Ihr Blick wirkte nachdenklich. »Aber heute blieb er vor meinem Schreitisch stehen und sprach mit mir ein paar Worte über die kalte Wetterlage, und wie ihm die einhergehende Feuchtigkeit auf seine alten Tage zu schaffen machte.«

      »Haben Sie Ihren Chef gemocht?«, erkundigte sich Sergeant McGinnis.

      Schon seit er ihr gegenüber Platz genommen hatte, beobachtete er die junge Frau recht aufmerksam. Felicity Thompson gefiel ihm, und er gestand sich ein, dass er sie gern unter anderen Voraussetzungen kennengelernt hätte.

      Gardners Sekretärin lächelte ein wenig verlegen und senkte ihren Blick. Eigentlich brauchte sie gar nichts mehr zu sagen, denn ihre Körpersprache war eindeutig.

      »Es klingt wahrscheinlich verrückt, Sergeant, aber ich muss Ihre Frage mit einem glatten Ja beantworten«, sagte sie leise. »Irgendwie hat mir Mister Gardner leidgetan. Ich kann nicht einmal genau sagen warum, aber ... manchmal, da war er so ... so schrecklich unbeholfen.«

      Sie leerte ihr Glas und stellte es mit einer endgültigen Geste auf dem Tisch ab.

      Blake und McGinnis richteten noch einige Fragen an sie, aber auch auf diese wusste sie keine wirklichen Antworten zu geben.

      »Ich nehme an, Sie werden für heute Feierabend machen und nach Hause wollen«, sagte Blake am Ende der Unterredung. »Wenn Sie möchten, dann können wir Sie gern Heim fahren.«

      »Sehr gern, Chief Inspector«, erwiderte sie lächelnd. »Das Angebot nehme ich wirklich gern an.«

      »Na, dann kommen Sie, Miss Thompson.« Mit diesen Worten legte ihr McGinnis seine rechte Hand leicht an die Schulter und geleitete sie fürsorglich aus dem Büro.

      Im Vorzimmer nahm sie sich ihre Handtasche, packte noch ein paar persönliche Utensilien ein und wollte schon allein in ihren Mantel schlüpfen, als McGinnis ihr gentlemanlike zur Hilfe kam. Sie sah ihn kurz an und bedankte sich mit einem Lächeln.

      Zu Dritt verließen sie den großen Gebäudekomplex, in dem Blakes und McGinnis‘ Kollegen vom Yard noch damit beschäftigt waren, eine Menge anderer Angestellter in derselben Angelegenheit zu befragen.

      Der völlig zerschmetterte Körper des Zeitungsverlegers war von den Männern der ›Fatal Accident Inquiry‹ bereits fortgeschafft worden. Blut und ausgetretene Hirnmasse hatte man vom Gehsteig mit einem Wasserschlauch in den Gully gespritzt. Infolge des zunehmend stärker werden Schneefalls hatte man den Bürgersteig weitgehend freigekehrt und Streusalz aufgebracht. Schon nach kurzer Zeit deutete nichts mehr auf den tragischen Vorfall hin. Nur in den blassen Gesichtern der Menschen, die den Zeitungsverleger in die Tiefe stürzen und tot auf dem Gehsteig hatten liegen sehen, spiegelte sich noch das nackte Entsetzen.

      Sergeant McGinnis gab sich als Kavalier. Er war der attraktiven Sekretärin beim Einsteigen behilflich und schloss anschließend die Wagentür. Dann klemmte er sich hinter das Steuer des weißen Range Rovers.

      »Wohin dürfen wir Sie bringen, Miss Thompson?«, erkundigte er sich.

      Sie nannte ihm die Adresse. Er startete den Motor, fädelte sich in den laufenden Straßenverkehr ein und fuhr los.

      Während der Fahrt, die nicht länger als zwanzig Minuten dauerte, sprach niemand. Alle hingen ihren Gedanken nach. Das änderte sich erst, als McGinnis den Geländewagen direkt vor der angegebenen Adresse stoppte.

      »So, da wären wir«, bemerkte er freundlich lächelnd.

      »Sehr liebenswürdig, Sergeant«, bedankte sich die junge Frau für die Hilfsbereitschaft. »Von Ihnen natürlich auch, Chief Inspector«, fügte sie mit einem Lächeln hinzu.

      McGinnis kletterte aus dem Wagen, lief um ihn herum und kam gerade noch rechtzeitig dazu die Tür zu öffnen. Felicity Thompson hatte schon von allein aussteigen wollen. Sie schmunzelte.

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