Zwielicht 11. Michael Schmidt

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Zwielicht 11 - Michael Schmidt

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flutete durch ihren Körper wie eine Droge, rauschte wellenartig durch sie hindurch. Im Bruchteil einer Sekunde war sie hellwach.

      „Das kann ich dem Mädchen nicht verdenken.“ Wieder kam der Polizist ins Bild. „Dieser schreckliche Anblick … zu begreifen, wozu Menschen fähig sind … Stellen Sie sich das Schlimmste vor, was einem Menschen passieren kann. Dann verzehnfachen Sie es. Sandra S. war nackt. Wir vermuten, dass sie sexuell missbraucht wurde. Aber einem wahren Sadisten ist das nicht genug. Er nagelte ihren Körper am Boden fest. In der Form eines Kreuzes. Aufgrund der Menge von Blut an ihren Händen, Füßen und Kniescheiben … dort wo die Nägel in ihren Körper eindrangen … können wir sagen, dass sie dabei noch lebte.“

      Alles verschwamm. Die Stimmen, die Farben, die Bilder. Sie wusste, sie wurde ohnmächtig. Dunkelheit. Für einen gnädigen Moment.

      Dann kehrte alles zurück. Hell und schmerzhaft und schreiend grell. Doch nun übernahmen ihre Instinkte. Sie rannte zur Tür, warf sich dagegen. Ihre zitternden Hände rutschten an der Klinke ab, dann drückte sie sie hinunter. Nichts. Sie zerrte daran. Nichts. Es konnte nicht abgeschlossen sein. Sie rüttelte und zerrte an der Tür, hängte sich mit ihrem Gewicht an die Klinke. Nichts. Tränen drohten sie zu ersticken. Ihr Körper wurde eiskalt.

      „Ihr Kopf war vollkommen entstellt. Ihr Gesicht nicht mehr erkennbar. Ihre eigene Mutter konnte sie nicht identifizieren. Wissen Sie … Der Täter … er muss sie mit Säure übergossen haben. Wir wissen jedoch bis heute nicht mit welcher. Unsere Forensiker konnten keine Rückstände finden. Es schien fast, als … als hätte er ihr das Gesicht gestohlen. Augen, Lippen, Nase … alles war geschmolzen. Verschwunden. Nur an der Stelle, wo ihr Mund gewesen war, sah man noch eine Delle. Es sah aus, als würde sie noch immer schreien.“

      Schreien. Sandra wollte schreien.

      Hilfe, irgendjemand!

      Helfen Sie mir!

      Sie wollte schreien und schreien. Obwohl irgendwo in ihrem Kopf eine Stimme lachte und ihr sagte, wie hysterisch sie sich benahm. Es würde sich alles aufklären. Es ging nicht um sie, unmöglich.

      Schrei! Warum schrie sie nicht? Warum konnte sie nicht schreien? Instinktiv glitten ihre Hände zu ihrem Gesicht, ihren Lippen. Ihre Finger tasteten danach und fanden sie nicht. Sie fanden nur eine Delle. Eine glatte, weiche Delle. Dort, wo ihr Mund sein sollte.

      Ungläubig starrte sie in die Fensterscheibe vor sich. Sie konnte es sehen. Keine Lippen. Nichts. Nur Haut. Schatten. Ein stummer Schrei.

      Und dann hämmerte sie gegen das Glas, mit all der Kraft, die sie hatte. Tobte, stampfte, warf sich gegen die Scheibe. Nichts geschah. Kein Sprung, der sich in dem Glas bildete, kein Nachbar, der vorbeikam und nachsah. Und plötzlich das Geräusch. Ein blechernes Kichern. Unmenschlich. Unwirklich. Es kam aus dem hinteren Zimmer.

      Sandra warf sich herum und rannte zu den Toilettenräumen. Flackernd schaltete sich durch den Bewegungsmelder das Licht an. Mit einem lauten Knallen schlug sie die Tür hinter sich zu, ihre Finger zitterten, als sie den Knauf umdrehte und abschloss.

      Hier ist es nicht sicher. Hier ist es nicht sicher, spielte in ihrem Kopf wie auf einem Band. Dennoch riss sie ihr Telefon aus der Hosentasche und wählte den Notruf, wie ihre Mutter es ihr früh beigebracht hatte. Eine weibliche Stimme meldete sich, fragte nach ihrem Anliegen. Sandra wollte etwas sagen, dann erinnerte sie sich. Ihre Augen quollen über vor Tränen, ihre Sicht verschwamm. Die Stimme fragte erneut. Sandra versuchte zu brummen, zu summen, wie man es mit geschlossenem Mund tat. Doch nichts tat sich. Kein Geräusch. Sie war vollends verstummt.

      „Der Mörder durchschnitt ihr die Stimmbänder.“

      Weinend warf sie das Handy gegen den Spiegel, woraufhin ein langer Sprung entstand, der sich über die ganze Scheibe zog. Schnell versuchte sie, zumindest eine spitze Scherbe als Waffe aus dem Spiegel zu bekommen, was ihr auch gelang, wenngleich sie sich dabei die Finger aufschnitt. Langsam liefen ihre Blutstropfen über das Glas. Es sah fast so aus, als quollen sie aus dem Spiegel. Doch jetzt hatte sie zumindest eine Waffe. Sie würde sich wehren. Entschlossen drehte sie sich zur Tür um. Erstarrte. Unten am Türrahmen, inmitten des Lichts, sah sie einen Schatten. Vor der Tür stand jemand. Reglos und abwartend.

      Sandra wich zurück an die Wand, spürte die kalten Fliesen hinter sich.

      Ein Klopfen. Jemand klopfte an die Badezimmertür. Drei Mal. Dann herrschte Stille. Sandra warf sich herum, stieg auf die Klobrille und kratzte wie verrückt an den Fliesen. Dort oben, der Lüftungsschacht. Doch sie erreichte ihn nicht. Weinend und hilflos vor Wut und Angst schlug sie gegen die Wand, hämmerte ihre Knöchel blutig, kratzte. Ihre Fingernägel brachen ab, rissen ein.

      Noch immer drang die Stimme aus dem Fernseher zu ihr durch.

      „Sie starb weder durch die Misshandlungen, noch durch die Säure, die über sie gegossen wurde, was vermutlich erst post mortem geschah. Nein, Sandra Zuwürfe erwürgt. Wir vermuten, dass der Mörder als Tatwaffe eine Kette benutzte, die das Opfer laut Zeugen am Tag seiner Ermordung getragen haben soll. Diese Kette wurde jedoch nie gefunden. Theoretisch passt sie aber zu den fast einen Zentimeter tiefen Einschnitten um ihren Hals. Der Täter musste eine ungeheure Kraft aufbringen. Das Metall der Kette scheint sich fast in ihr Fleisch eingebrannt zu haben.“

      Die Kette. Sie war der Grund für all das. Plötzlich begriff Sandra. Auf der Kette lastete ein Fluch! Sie brachte ihr diese Albträume. Sie sprang von der Kloschüssel, riss sich dabei die Kette vom Hals und warf sie schließlich mit einem lauten Klatschen ins Wasser. Noch immer weinend drückte sie die Klospülung. Und gurgelnd verschwand das Amulett in den Abwasserrohren. Jetzt. Jetzt würde all das ein Ende haben.

      Ein Summen. Ganz nah an ihrem Ohr. Sie schlug danach, instinktiv. Die Fliege setzte sich direkt vor Sandra an die Wand, krabbelte in Richtung Toilette. Schwarz und schimmernd und widerlich.

      Plötzlich eine zweite, direkt daneben. Wieder ein Summen an Sandras Ohr. Etwas kitzelte sie an der Hand. Eine weitere Fliege. Und noch eine. Und noch eine.

      Das Summen schwoll an, mit jeder Sekunde wurde es lauter, füllte den kleinen Raum. Als sie den Kopf hob, sah sie die Fliegen, die sich durch den Lüftungsschacht quetschten. Dicke, brummende, schwarze Fliegen. Immer mehr, immer mehr.

      Sie schlug nach ihnen, ohne das Blubbern zu bemerken, das aus der Toilette drang. Erst als es zu einem Rauschen anschwoll, sah sie wieder nach unten. In diesem Moment schoss eine Fontäne aus der Toilette.

      Dunkelrot wie Blut. Und so roch es auch. Schwer und metallisch. Es benetzte ihre Haut, die Wände, die Decke, legte einen roten Schimmer über ihr Blickfeld. Und mit einem lauten Klirren landete das Amulett auf dem Boden, ehe es von dem roten Meer bedeckt wurde, das Sandras Füße umspülte.

      „Sandra S. muss in Todesangst gewesen sein.“ Oh ja, das war sie. „Sie hat mit ihrem eigenen Blut „Hilfe“, an die Innenseite der Glasfenster geschrieben. Doch niemand kam, um ihr zu helfen.“

      Der Schatten unter der Tür war verschwunden. Sie sprang zur Tür, schob den Riegel zurück und riss sie auf. Dann rannte sie. Das Summen der Fliegen blieb zurück.

      Die Bar wirkte noch immer wie ausgestorben. Doch sie wusste: Jemand befand sich hier bei ihr. Und sie würde ihm entkommen. Sie wollte leben. Nie zuvor fühlte sie das so intensiv wie in diesem Moment.

      Als sie einen Blick auf die Bildschirme erhaschte, blieb sie stehen. Nun sah sie anstelle der Sendung bloß das statische Bild

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