Zwielicht 11. Michael Schmidt

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Zwielicht 11 - Michael Schmidt

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der Leitung befand. Plötzlich war sie wieder da.

      „Wissen Sie, Ihr Hohn kommt mir bekannt vor. Er erinnert mich daran, wie ich bereits als Mädchen Angst vor der Schule hatte“, antwortete Selina feinfühlig; sie war ruhiger als zuvor.

      „Aha. Und weshalb das?“, fragte der Moderator nun unverhohlen despektierlich.

      „Dort wurden meine Klauen geschärft. Ich ergab mich meiner Rolle mit Herz und Hand, nachdem mir alle Menschlichkeit geraubt wurde.“

      „Wirklich? Nun, tut mir ja wirklich leid, dass du nie jemanden zum Spielen hattest und deswegen deinen Charakter so weggeschmissen hast, Selina, aber ich denke …“

      „Wissen Sie, wie sie mich damals genannt haben?“, unterbrach sie ihn scharf.

      „Nein, weiß ich nicht. Woher auch?“, fragte der Moderator entnervt.

      „Nicht nur auf dem Schulhof. Nicht nur die Kinder. Das ganze Dorf. Für sie war ich kein Mensch mehr.“ Doch Henry McMillan hatte endgültig die Geduld und auch das Interesse an einer weiteren Diskussion verloren. So verlottert, wie diese Schlampe sprach, musste sie vorher zweifelsfrei die falschen Pillen eingeworfen haben. Er wollte sie aus der Sendung werfen und wanderte mit dem Zeiger der Maus bereits in Richtung des Change-Buttons.

      „Interessant, also wir würden dann …“, setzte er an, wurde aber zugleich unterbrochen.

      „Sie nannten mich das Hanky-Panky-Mädchen …“, hauchte die Anruferin. Augenblicklich wurde in McMillan ein innerer Akkord angeschlagen. Dabei hatte er ihren Worten kaum noch Beachtung geschenkt und dennoch empfand er ihre Aussage als etwas unterschwellig Bedrohliches. Es handelte sich nur um wenige Sekunden, die zwischen ihren Worten und seiner Nachfrage lagen, und doch sah er sich gezwungen diese Frau noch einmal anzusprechen.

      „Wie?“, war die einzige Frage, zu der er imstande war.

      „Hanky Panky …“, flüsterte Selina in einem hohen Ton zurück. „Sie nannten mich nur das Hanky Panky-Mädchen …“

      „Hanky Panky?“, fragte er nach, so als hätte er es nicht verstanden. Selbst in der Aufnahmeleitung merkten die beiden anderen Mitarbeiter, dass etwas mit McMillan nicht stimmte. Für kurze Zeit hatte er sich mental komplett ausgeklinkt und war erst wieder anwesend, als sich die fremde Anruferin namens Selina O' Reilly wieder zu Wort meldete.

      „Für sie war ich nur das Hanky Panky-Mädchen … Selina O' Reilly hingegen bloß ein wagemutiger Gedanke. Ein Mensch, der nicht existieren durfte. Und wenn, dann nur in der Vorstellung.“ Langsam fasste der Moderator sich.

      „Ähm, kannst du vielleicht genauer darauf eingehen, was es mit Hanky Panky auf sich hat? Du wurdest gemobbt?“

      „Mobbing?“, wiederholte Selina, als kenne sie die Bedeutung des Wortes nicht, „nun wie man so was nennt, weiß ich nicht. Aber eines weiß ich: Für die Menschen in dem kleinen, katholischen Dorf war ich der singende, tanzende Dreck der Welt. Es gab keinen Tag, an dem man sich nicht nach mir umdrehte und tuschelte. Überall flüsterte man mir nach: Hanky Panky. Ich hatte jeden Morgen unglaubliche Angst zur Schule zu gehen. Dass man mich schließlich dazu zwang die Schulbank zu drücken, verschärfte es nur noch. Immerhin wussten die anderen auf diese Weise, wie sie mir schaden konnten. Nun, wo sie sahen, dass ihre Saat aufging, wollten sie schauen, wie weit sie es treiben konnten. Zuerst lästerte man nur hinter meinem Rücken, dann ganz unverhohlen, sodass ich es auch ja mitkriege. Schließlich mussten die Mitschüler keine Konsequenzen befürchten. Zuerst wurde ich nur gehänselt, dann verhöhnt, schließlich gequält …“

      „Und weiter?“, fragte McMillan. Alle Gedanken Selina aus der Sendung zu kicken, ließ er fallen.

      „In den Pausen habe ich nicht viel mitbekommen, weil ich mich auf der Mädchentoilette versteckte und erst rauskam als es klingelte. Am schlimmsten aber war der Sportunterricht – nicht etwa, weil ich unsportlich gewesen wäre, sondern weil wir dort lange Zeit auf uns alleine gestellt waren, ohne Lehrer. Wenn Erwachsene dabei waren, ging es ja noch vergleichsweise milde zu – auch wenn sie nie Einspruch gegen die Kinder erhoben. War keine Aufsichtsperson da, gab es keine Hemmschwelle.“

      „Was hat man genau mit dir gemacht?“

      „Naja, natürlich unter die Dusche gesteckt, oder wenn ich mich durchsetzen konnte, wurden zur Strafe meine Tasche und alle meine Unterlagen unter die Dusche gesteckt. Nicht, dass sie etwas hätten zerstören können, das mir teuer gewesen wäre, ich hatte ja ohnehin nichts. Aber noch schlimmer waren die Jungs. Die Mädchen hassten mich, weil ich für sie das symbolisierte, wovor sie sich fürchteten und wie sie niemals enden wollten. Aber die Jungs betrachteten mich wie ein Tier, ein totes Tier. Von ihnen zu hören, dass ich hässlich sei und stinken würde – ich habe mich gewaschen wie jeder andere auch – war einfach zerfleischend. Ihr Spott zog mir die Haut von den Knochen. Vom anderen Geschlecht zu hören, dass nie jemand so lebensmüde sein würde, sich in mich zu verlieben, war wie der ausschlaggebende Grund, den die Mädchen in meiner Schule gesucht hatten, um mir das Leben zur Hölle zu machen. Einmal habe ich erfahren, dass einer der Jungs eine Wette verloren hatte, und mich zur Strafe um ein Date bitten musste. Als die ultimative Mutprobe sozusagen. Und alle nannten mich Hanky Panky – und nicht Selina O’Reilly.“

      „Hast du denn nie versucht, dich dagegen zur Wehr zu setzen …“

      „Was hätte ich denn machen sollen?“, herrschte Selina ihn an. Dann verfinsterte sich ihre Stimme. „Ich habe mal versucht aufzubegehren. Aber wie soll sich einer gegen alle durchsetzen? Nein, das hat es nur noch schlimmer gemacht. Ich trug zum Beispiel fast ausnahmslos immer dieselben, abgetragenen Klamotten, die sich über die Zeit langsam aufzulösen begannen, weil meine Mutter nicht viel hatte, um es für neue Kleidung auszugeben. Meine weiße Bluse verfärbte sich zu gelb und die kruden Träger meines BHs schienen immer weiter hindurch. Aber eines Tages, als die Weihnachtsferien zu Ende gingen, bekam ich endlich ein neues Kleid. Ich war so stolz darauf und kann mich bis heute an jedes Detail erinnern. Ein reizender Rock, der bis zu meinen Knien reichte. Statt schmandiger Kniestrümpfe nun schwarze Nylonstrümpfe. Dazu ein laszives, marineblaues Top ohne Ärmel. Ich hatte mir sogar extra eine Dauerwelle machen lassen. Es war das erste und einzige Mal, bei dem ich glaubte, nichts Sehnlicheres erreichen zu können, als wie alle anderen zu sein. Endlich dazuzugehören, ein Kind zu sein. Ich stand vor dem Spiegel und dachte für einen Moment: Ich bin nicht hässlich. Und ich bin auch kein schlechter Mensch. Ich verkörpere nicht das Böse, verkörpere nicht das Schlechte. Ich bin ein hübsches Mädchen, freundlich, ehrlich und offenherzig. Und jemand – ja, irgendjemand – wird es auch endlich bemerken und sagen, dass ich schön bin, dass ich freundlich und nett bin – denn das war ich auch! Ich wollte ja Freunde und hätte nahezu alles getan, um eine ehrliche Beziehung aufbauen zu können. Aber alle sahen in mir das Böse, das Hanky Panky-Mädchen! Das Ergebnis am ersten Schultag war vernichtend und nahm mir jegliche Hoffnung. Die Schmach war größer als je zuvor. Man hatte nicht vor, mich aus der dunklen Ecke zu lassen. Schon allein, dass ich versucht hatte, von dort zu entkommen, wurde bestraft. Ich wurde angeschrien, dass ich sterben sollte. Noch hatte ich einen Tropfen Mut und wagte zu fragen, warum denn? Warum hasst ihr mich so sehr? Ich habe euch doch überhaupt nichts getan?“

      „Und was hat man dir entgegnet?“, fragte McMillan weiter. Das Thema war hart und bitter, aber auf der anderen Seite nicht das erste Mal, dass ein Mensch hier anrief und von solch Torturen Zeugnis ablegte. In McMillans Sendung hatten sogar Vergewaltigungsopfer angerufen. Aber der Aufnahmeleiter auf der anderen Seite des Studios konnte sich nicht erinnern, dass einer dieser Anrufer es je geschafft hätte, auch McMillans persönliches Interesse zu erlangen. Selina fuhr fort.

      „Ihre Antwort

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