Zwielicht 11. Michael Schmidt

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Zwielicht 11 - Michael Schmidt страница 8

Автор:
Серия:
Издательство:
Zwielicht 11 - Michael Schmidt

Скачать книгу

der Bücherbote wieder auf seinem Fahrrad saß, erfasste ihn eine wahre Euphorie, als er fühlte, wie der Fahrtwind den Schweiß auf seiner Stirn trocknete. Vor lauter Erleichterung, dieser widerlichen Hexe entkommen zu sein, fing er an, laut lachend einen alten Schlager zu singen. Aber schon bald fiel ihm sein Großvater ein, der ihm dieses Erlebnis der besonderen Art eingebrockt hatte, und seine Laune verdüsterte sich um zwei Grautöne. Er nahm sich fest vor, seinen lieben Opa noch in dieser Nacht zur Rede zu stellen. Inzwischen durchquerte er den Park und musste sich in der Dunkelheit darauf konzentrieren, tückischen Schlaglöchern auszuweichen.

      Am Wegesrand sah er auf einer Bank eine Gestalt im Schlafsack liegen. Fabius war sofort klar, dass es sich um den Obdachlosen von vorhin handeln musste. Der alte Kauz hatte ihn offensichtlich auch wiedererkannt und winkte ihm mit einer matten Armbewegung zu. Fabius hörte, dass der Mann leise vor sich hin wimmerte und stieg daher aus Sorge vom Rad.

      „Was ist los mit Ihnen?“, fragte er und trat etwas näher, bis er das Gesicht im Licht des hellen Vollmondes erkennen konnte. „Meine Güte!“, stieß Fabius erschrocken aus. „Sie sehen ja aus wie ein Zombie, der unterm Grabstein hervor gekrochen kommt.“

      „Wen selbst noch nie ne Wunde quälte, der macht sich über Narben lustig“, murmelte der Obdachlose erschöpft.

      Fabius überlegte, ob er einen Krankenwagen rufen sollte, da kam ihm eine Idee. Aus der Jackentasche zog er das Fläschchen aus Frau Moltes Gartenhaus hervor und dachte bei sich: Warum nicht Teufel mit Beelzebub austreiben?

      „Hier, guter Mann … Trinken Sie das. Es wird Ihnen gut tun.“ Das bleiche Gesicht des Alten hellte sich vor Freude auf. „Schnaps! Wunderbare Idee … Besten Dank, mein Guter.“

      Er setzte das Fläschchen an den Mund und im Nu gluckerte die klare Flüssigkeit seinen Rachen hinab. Gespannt wartete Fabius auf eine Reaktion des Mannes. Mit zufriedenem Seufzen gab der dem Bücherboten das leere Gefäß zurück und machte Anstalten sich auf der Bank auf die Seite zu drehen, vermutlich, um endlich Schlaf zu finden. Doch abrupt setzte sich der Alte auf, starrte verwirrt in den sternklaren Himmel und stieß einen animalischen Schrei aus. Fabius war das nicht geheuer, deshalbwollte er sich schon auf seinem Fahrrad davonmachen, da rief ihm der Obdachlose zu:

      „Oh Baby. Willkommen in meiner Welt.“ Fabius wurde neugierig und sah fasziniert zu, wie der Kerl flink aus dem Schlafsack kletterte und sich vor ihm dynamisch aufbaute, als sei er mit einem Mal zwanzig Jahre jünger geworden.

      Etwas unsicher und ängstlich wich Fabius einen Schritt zurück. „Uups … Was ist denn mit Ihnen passiert?“ Während er antwortete, schaute der Obdachlose Fabius mit einem überheblichen Blick von oben herab an. „Ich treffe Entscheidungen, die auf Logik und Fakten basieren und besitze einen gesunden Instinkt, der gute, realistische Ideen und fähige Leute erkennt. Am Ende kommt es immer auf die fähigen Menschen an.“

      Vor Staunen fiel dem Bücherboten die Kinnlade herunter. Als er prüfend einen Blick auf das Etikett des Fläschchens warf, las er: Christian Grey.

      „Na dann … Prost Mahlzeit!“, konstatierte Fabius mit säuerlichem Gesichtsausdruck. „Und noch viel Spaß mit Ihrem neuen Mitbewohner …“, verabschiedete er sich mit einem letzten Winken und radelte davon.

      „Ich würde gerne in diese Lippe beißen“, rief ihm der Alte noch hinterher.

      Fabius hätte eigentlich ein schlechtes Gewissen haben müssen, weil er dem armen Kerl die Essenz dieses Sado-Maso Milliardärs eingeflößt hatte. Andererseits: Hauptsache, dass Romeos Geist wieder frei war.

      „Es hatte rote Augen und war kreidebleich. Die Gestalt sagte nichts, sondern starrte mich aus tiefen, leblosen Augen an. Es war, als würde ich in einen Abgrund schauen.“

      Auf diese Nachricht brauchte er erst mal einen Schluck. Henry McMillan nahm das Glas Wasser, um seine Stimme zu ölen. Schließlich ließen die Sorgen und Wünsche der Menschen, die ihm ihr Anliegen fünf Mal die Woche mitteilten, seine Zunge nicht zur Ruhe kommen. Das Zuhören und Sprechen waren die beiden wichtigsten Instrumente in seinem Beruf; gleichwohl schaffte er es bis heute nie, beide Anforderungen ganz in der Waage zu halten. Dabei erhielten die Menschen, die ihn um eine Audienz ersuchten, nie die Gelegenheit sein Gesicht zu sehen, sondern hofften einzig auf die Kraft seiner Stimme.

      Henry McMillan war ein ungeschlachter Mann mittleren Alters mit drahtigen Augenbrauen, steingrauen Pupillen und schwarzem Haar. Der imponierenden Wirkung seiner markigen Baritonstimme – vor allem beim weiblichen Publikum – durchaus bewusst, war es für ihn stets ein leichtes Spiel, Menschen kennenzulernen. Besondere emotionale Bindungen vermochte er aber über all die Jahre nie auf Dauer aufzubauen, sei es privater oder beruflicher Natur. Warum sollte er auch? Henry McMillan hatte alles, was er wollte und noch mehr. Die Popularität seiner Sendung Shut Up and Talk!, die als Hörfunk in der Nachtschiene eines eigentlich kleinen Senders namens Bay FM in Galway und Umland ausgestrahlt wurde, hatte sich vor allem durch die Aufzeichnungen auf YouTube in den letzten zwei Jahren geradezu überschlagen und wurde als Geheimtipp gehandelt. Mittlerweile wurde die Sendung auch als Podcast angeboten und sollte demnächst landesweit als Pilotprojekt ausgestrahlt werden. Der Fernsehsender TV3 hatte bereits Interesse durchscheinen lassen, dass man bei einer erfolgreichen, landesweiten Zuhörerschaft ein Angebot unterbreiten könnte, welches es McMillan ermöglichte Shut Up and Talk! ins Fernsehen zu bringen – ebenfalls mit ihm als Moderator. Der Gipfel seiner Karriere oder erst Durchbruch zu noch weitaus höheren Sphären?

      So oder so, Henry McMillan hatte guten Grund mit seinem Konzept und mit sich zufrieden zu sein. Trotz einiger böser Briefe vonseiten vereinzelter Zuhörer, die ihm Voyeurismus vorwarfen oder ihm unterstellten ein zynischer Heuchler zu sein, der das Leid und die Not seiner Anrufer ausnutze, um in Form eines Seelenstriptease höhere Quoten zu erzielen, überwog deutlich das Gros seiner Fangemeinde. Auf Twitter und Facebook folgte ihm auch das normalerweise schwer zu erreichende, jüngere Zielpublikum. Die Generation U21 galt unter Marktanalytikern als ebenso sprunghaft und unstet wie das Wetter vor der Atlantikküste, das McMillan stets durchs Fenster in seinem Sendestudio bestaunen konnte. Auch heute zog sich wieder ein Gewitter zusammen, das nördlich aus Schottland angebraust kam. Immerhin bedeutete dieses Wetter in der Regel höhere Quoten. McMillans Zuhörerschaft hatte sich gerade durch den späten Sendeplatz verfestigt, da viele Erwerbstätige eine Ablenkung während der einsamen Nachtschicht benötigten und viele ledige Seelen dort draußen hungerten danach, jemanden zum Sprechen zu finden. Wo kommen bloß all diese Verrückten her?, hatte McMillan sich schon bei dem einen oder anderen Kandidaten gefragt. Besondere Affinität hegte er für keinen seiner Anrufer – selbst wenn einer zufälligerweise Fan desselben Rugby-Teams war, hielt sich seine persönliche Anteilnahme in Grenzen. Für McMillan handelte es sich bei den Anrufern um seine Kunden. Und Kunden zählte er nicht zu seinen Freunden, sondern verbuchte sie lediglich als anonyme Nummern. Zahlen. Und McMillan wollte viele Zahlen sehen, besonders auf seinem Konto. Zahlen bedeuteten Macht, das hatte er schon früh gelernt. Seine Anrufer waren wie Auftraggeber und er der Söldner. Der Auftrag lautete, sich ihr Gequatsche anzuhören und hohe Einschaltquoten zu generieren. Jeden Abend wurde dabei ein Thema festgelegt, zu dem Zuhörer anrufen und fünf bis zehn Minuten mit ihm sprechen durften.

      Als McMillan vor drei Jahren seinen Job angetreten hatte, war er zunächst froh überhaupt einen Beruf gefunden zu haben, nachdem er sein Studium am Trinity College ohne Abschluss geschmissen hatte, um daraufhin wie viele gescheiterte Existenzen seiner Zunft bei den Medien anzuheuern. Zunächst als ordinärer Late-Night-Talk konzipiert, konnte die Sendung im Laufe der Zeit wachsende Beliebtheit verbuchen, die vor allem auf McMillans zackige Moderationen und der exotischen Themenauswahl zurückzuführen war. Statt Diskussionen um die ersten

Скачать книгу