Zwielicht 11. Michael Schmidt

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Zwielicht 11 - Michael Schmidt

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Schlummertrunk. Simon ließ sich auf dem Zweisitzer nieder, den er zentral zu den Boxen ausgerichtet hatte, und nahm einen großen Schluck aus der Dose. Im Kopf ging er noch einmal das Gespräch mit dem Alten durch.

      „Warum eigentlich nicht“, sagte er zu sich selbst. „So ein Schwachsinn.“

      Er erhob sich und ging zum Plattenspieler. Mit der Hand stoppte er die Umdrehung des Plattentellers, was mit einem sägenden, verschwurbelten Geräusch aus den Lautsprechern quittiert wurde. Behutsam begann er die Platte rückwärts zu drehen. Ein dröhnendes, kakophonisches Kauderwelsch war zu vernehmen, dann nur noch ein tieffrequentes Wummern und Simon wollte die Platte schon wieder loslassen. Da schlugen ihm so unerwartet heftig und laut Worte aus den Boxen entgegen, dass er vor Schrecken zusammenzuckte.

      „I sing because I live with Satan.

      The Lord turns me off, there’s no escaping it.

      Here’s to my sweet Satan, whose power is Satan.

      He will give you 666.

      I live for Satan.“

      Simons Nackenhaare richteten sich auf, das Herz pochte schmerzhaft in seiner Brust. Dann war es vorbei und nur ein kratzendes Rauschen drang noch aus den Lautsprechern. Der Alte hatte nicht übertrieben. Die Botschaft war tontechnisch verdammt gut abgemischt.

      „Wow“, sagte er überrascht zu sich selbst und gab den Plattenteller frei. Der Song wurde bis zu seinem großartigen Finale fortgesetzt. Simon trank sein Bier aus und legte sich schlafen.

      Als er am nächsten Morgen mit leichten Kopfschmerzen erwachte, drängte sich ihm der Verdacht auf, dass das letzte Bier vielleicht eines zu viel gewesen sein könnte. Er quälte sich aus dem Bett und steuerte das Badezimmer an. Unterwegs warf er einen Blick auf das Aquarium. Seine Fische entdeckte er nicht. Simon rieb sich die Augen und trat einen Schritt näher. Er hatte sich getäuscht. Die Tiere waren nicht verschwunden. Sie trieben mit dem Bauch nach oben an der Wasseroberfläche. Tot. Jeder einzelne Fisch.

      „Na endlich!“, fauchte Berthold Flieder, als sein Enkel Fabius abgehetzt die Buchhandlung betrat. „Wo hast du dich um Himmels willen nur herumgetrieben? Der Laden ist voll, das Telefon klingelt ohne Unterlass, auf dem Tresen stapeln sich die auszuliefernden Bücher … Und wo bleibst du?“ Fabius wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, doch sein Großvater drückte ihm stattdessen eine Plastiktüte in die Hände. „Das muss zu Frau Molte, Schlossparkstraße 12. Und beeil dich diesmal gefälligst ein bisschen.“ Der Alte wandte sich schon ab, um sich einem Kunden zu widmen, der erwartungsvoll vom Krimiregal aus zu ihnen herüberschaute.

      Fabius lagen tausend Fragen auf der Zunge, die die nervenaufreibenden Erlebnisse auf seiner heutigen Tour betrafen. Doch er sah ein, dass er das auf später verschieben musste, wenn sie beide ungestört sein würden. Allerdings eines wollte er trotzdem wissen: „Opa!“ Der Buchhändler drehte sich mit unwilligem Gesichtsausdruck zu seinem Enkel um. „Gibt es da vielleicht eine Kleinigkeit zu Frau Molte, die ich wissen sollte und die du in der Eile nicht erwähnt hast?“

      Berthold Flieders Miene war das Abbild reinster Unschuld und Ahnungslosigkeit. Nur der Anflug eines Errötens störte diesen Eindruck. „Was meinst du denn damit, mein Junge?“, fragte er mit einem Räuspern. „Frau Molte ist eine langjährige Stammkundin von mir. Sie sammelt begeistert Liebesromane. Letzten Monat kaufte sie Sündige Leidenschaft von Thorsten Doyle und In der Schwüle einer Liebesnacht von Britta Tomsen.“

      Schweigen. Für einen kurzen Augenblick herrschte es in der Leseratte trotz der Kunden, die sich in dem kleinen Geschäft gegenseitig auf die Füße traten, gespenstische Stille. „Und das ist alles?“, fragte Fabius. Deutliches Misstrauen schwang in seiner Stimme mit.

      „Natürlich ist das alles!“, zischte Flieder. „Und jetzt mach, dass du in die Hufe kommst! Oder hast du etwa Angst vor einer alleinstehenden Dame, die auf ihren neuen Liebesroman wartet? Vermutlich, um von ihrem Märchenprinzen zu träumen, fügte er für sich hinzu.“ Entschlossen schob er seinen verdatterten Enkel Richtung Tür. Auf der Straße musste Fabius zunächst einmal seine wirren Gedanken ordnen. Der Alte hatte es wieder einmal kaltschnäuzig geschafft ihn abzuwimmeln. Aber immerhin besaß er jetzt wenigstens ein paar Informationen über die Kundin, die er als Nächstes beliefern sollte. Eine alte Jungfer, die Liebesromane verschlang, um ihre Einsamkeit zu vergessen … Das klang in der Tat wenig bedrohlich.

      Seltsam … dachte Fabius dann bei sich, Sündige Leidenschaft war erst vor wenigen Wochen verfilmt worden und stand wochenlang in den Kinocharts. Seine Freundin Lena hatte ihn dazu genötigt, den Schmöker zu lesen und später mit ihm in den Film zu gehen, damit er lernte, was Romantik bedeutet. Trotzdem konnte er sich nicht daran erinnern, worum es in dem Film oder in dem Buch ging. Und In der Schwüle einer Liebesnacht? Von dem Buch hatte er noch nie gehört oder vielleicht doch?

      Er radelte am Oberforster-Bach entlang Richtung Südstadt. Kurz vor Sonnenuntergang trieb ein kühler, frischer Wind ihn an, stärker in die Pedale zu treten. Er fuhr quer durch den Schlosspark, hinter dem parallel die gleichnamige Straße verlief. Das letzte Haus gehörte Frau Molte. Ihr Vorgarten grenzte seitlich direkt an den gusseisernen Zaun des Parks.

      Plötzlich trat aus dem Schatten eines dichten Gebüschs eine dunkle Gestalt, die mitten auf den Weg torkelte. Fabius konnte gerade noch rechtzeitig bremsen, sein Hinterrad schleuderte zur Seite. Fast wäre er gestürzt. Der Mann vor ihm starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Offensichtlich handelte es sich um einen Obdachlosen, der sich nach einem Schlafplatz für die Nacht umsah.

      „Passen Sie doch auf, um Himmels willen. Ich hätte Sie fast über den Haufen gefahren!“, rief Fabius ihm verärgert aber gleichzeitig auch erleichtert zu.

      „Machts kurz, ich sehn´ mich nach dem Tode!“, antwortete der Mann mit einem leiernden Tonfall. Der Kerl schien angetrunken zu sein. Aufgrund seiner Verwahrlosung konnte er das Alter schwer schätzen. Er hatte wirres, angegrautes Haar und einen ebensolchen Vollbart. Das gebräunte, wettergegerbte Gesicht erinnerte an einen verknitterten Faltenrock. Unter den trüben, grauen Augen hingen tiefe Tränensäcke. Sein dunkelblauer Trainingsanzug war von oben bis unten mit Schmutzflecken bedeckt, deren genaue Herkunft der Betrachter nicht wirklich erfahren wollte. Unterm rechten Arm klemmte ein Schlafsack, in der linken Hand trug er eine Plastiktüte vom Discounter, in der zwei Flaschen mit rotem Weinfusel steckten.

      „Mensch, ich krieg kaum Luft, so hab ich mich erschrocken“, japste Fabius und machte eine Geste, als wolle er sich Schweiß von der Stirn wischen.

      „Wie kannst du außer Atem sein, wenn du noch Atem hast, um mir zu sagen, dass du außer Atem bist?“ Der Obdachlose machte eine weit ausladende Geste mit dem linken Arm, die ziemlich theatralisch wirkte. Ganz offensichtlich hatte der Kerl einen Dachschaden. Trotzdem stieg Fabius vom Rad und trat näher an den Mann heran.

      „Ist Ihnen nicht gut?“, fragte er besorgt. „Fehlt Ihnen was?“

      „Wie geht es meiner Julia? Denn nichts kann schlechter sein, wenn's ihr nur gut geht!“ Fabius Gegenüber entblößte beim Sprechen zwei Reihen lückenhafter, bräunlich-schwarzer Zahnreihen. Der verzückte, schwärmerische Gesichtsausdruck stellte einen kaum erträglichen Kontrast zu dem kloakenhaften Gestank dar, der aus dem Mund des Penners strömte.

      Fabius kam immer mehr zu der Überzeugung, dass er es mit einem Irren zu tun hatte, der dringlich in eine entsprechende Anstalt eingewiesen werden musste.

      „Wie

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