Zwielicht 11. Michael Schmidt

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Zwielicht 11 - Michael Schmidt

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rein …“, entgegnete McMillan, trank seinen letzten Schluck und knallte die Tasse auf den Tisch. Er warf sich noch schnell ein paar Erdnüsse ein und schritt ins Studio zurück. Durch das Fensterglas konnten Thomas Lee und der Praktikant sehen, wie er Platz nahm und sich zum nächsten Gespräch auflockerte. Das Gewitter lag noch in weiter Ferne, doch das markige Donnern kam langsam und bedächtig näher, gleich einer anschwellenden Drohung als Vorzeichen einer archaischen Schlacht, der man nicht entrinnen konnte. Gleich liefen die Einspieler ab und McMillan würde die Anmoderation übernehmen. Leise betrat der Praktikant das Studio und brachte ihm einen der vielen Notizzettel mit Informationen über den nächsten Anrufer: Selina O’Reilly, 29 Jahre.

      Frischfleisch, dachte sich McMillan, aber ob der Name stimmt? Wahrscheinlich nicht. Wie bei den meisten Anrufern musste es sich um ein Pseudonym handeln, um sich den Hohn von Freunden und Familien zu ersparen. War es doch überaus peinlich, wenn man im Late-Night-Talk ertappt wurde und dort offen eingestand, eine erotische Beziehung zu seinem Küchenstuhl zu führen. Der Praktikant verschwand und die letzten Takte von Thunder Road entfalteten sich über die Hörerfrequenzen. Henry McMillan übernahm das Ruder.

      „Hallo, liebe Leute. Da sind wir wieder mit Shut Up and Talk! und unserem heutigen Thema: Das Böse. Seid ihr dem Bösen bereits von Angesicht zu Angesicht gegenübergetreten? Wenn ja, wie hat es sich manifestiert? War es die resolute Schwiegermutter oder womöglich ein Monster unter eurem Bett? Ruft uns an und teilt eure Story mit. Das Blut kann ruhig spritzen! Ich unterhalte mich jetzt erst mal mit Selina O’Reilly, 29 Jahre alt. Hallo, Selina.“ Nur der Bruchteil einer Sekunde verstrich, dann hörte er ihre Stimme zum ersten Mal.

      „Hallo, Henry“, antwortete sie locker und ungezwungen. Ihre Worte kleideten sich in einer seltsamen Klangfarbe, beherrschten den Ausdruck frommer Schüchternheit, die mit einer eigentümlich suchenden und wohl dosierten Langsamkeit ihren Lippen entwich und ihre Sprache daher unnahbar erscheinen ließ.

      „Schieß’ los“, sagte der Moderator. „Was möchtest du uns mitteilen?“

      „Das Thema des heutigen Abends lautet das Böse?“, fragte sie zögernd.

      „Dies ist nicht unsere Quizsendung mit Richard Dawson am Nachmittag, aber der Kandidat hat dennoch recht. 10 Punkte! Das Böse. Lass hören, Mädchen.“

      „Ich … ich bin das Böse …“, erwiderte sie seufzend. Bingo, dachte sich McMillan. Damit konnte er arbeiten.

      „Also du bist das Böse, ja? Dann reden wir ja heute Abend eigentlich alle über dich. Warst du vielleicht die Frauengestalt, die unserer lieben Anruferin Charlotte von gerade eben immer im Schlafzimmer auflauerte? Bist du ein Geist, Selina?“, witzelte er spöttelnd.

      „Nein, bin kein Geist – nichts dergleichen. Aber für viele Menschen bin ich das Böse“, antwortete sie überaus sanftmütig. Die Tatsache, dass McMillans Sticheleien sie nicht verunsicherten, verärgerte den Moderator ein wenig. Daher versuchte er etwas auf sie zuzugehen, sie zu locken, zu ködern.

      „Ähm, wie darf man das auffassen? Du betrachtest dich als das Böse? Oder haben andere Angst vor dir?“, fragte er mit ernster Miene.

      „Andere haben mich dazu gemacht. Ich hatte keine Wahl. Ich … habe zeit meines Lebens versucht wie jedes andere Mädchen zu sein.“

      „Vielleicht schilderst du uns mal genau deinen Sachverhalt.“

      „Keiner fürchtet mich, weil keiner mich sieht. Ich bin nur eine Hülle. Für meine Kollegen auf der Arbeit bin ich die stille und unauffällige Büromaus, welche die Akten wegschafft, den Kaffee kocht und den Kram erledigt, für den die anderen keine Zeit haben“, erklärte sie.

      „In welcher Branche arbeitest du denn?“

      „In einer Agentur. Einer Redaktionsagentur, die die Publikation und Betextung von Magazinen betreibt.“

      „Verstehe, aber du bist jetzt nicht in die kreative Arbeit eingebunden? Also, du selbst schreibst keine Artikel für die Zeitschriften? Habe ich das richtig herausgehört?“

      „Das ist korrekt“, antwortete sie mit einem Anflug von Sehnsucht. „Ich hatte es mir früher immer erhofft, irgendwann mal Redakteurin bei einem erfolgreichen Magazin zu sein, aber das habe ich dann genauso schnell wieder aufgegeben wie vieles andere auch. Ich mache nur den Verwaltungskram im Hintergrund, den keiner zur Kenntnis nimmt. Ich selbst schreibe nichts …“ McMillans Mitleid hielt sich in Grenzen.

      „Okay, ich hab’ nur aus Interesse gefragt. Aber inwieweit hat das etwas mit unserem Thema zu tun?“

      „Wenn die Kollegen mich überhaupt wahrnehmen, dann sehen sie mich als scheinbar normalen Menschen. Ich lächle und lasse mir nie etwas anmerken, sie wissen nicht, wie es in mir aussieht. Denn unter der Haut, unter dem Fleisch, den Nerven und den Blutlaufbahnen bin ich ein Wolf. Sie können das nicht sehen, denn Wölfe zeigen sich nicht am Tag. Kreaturen wie jene kommen langsam des Nachts hervor, wenn die Finsternis hereingebrochen ist und die Lichter entzündet werden. Es ist dann nicht mehr dieselbe Welt, deswegen fürchten Menschen seit jeher die Dunkelheit. Die Luft kühlt sich ab, die Geräusche verändern sich, werden langsamer, vorsichtiger … angespannter. Die Menschen hasten zu ihren Mietskasernen, die sie wie Bollwerke der Zivilität anbeten, und verriegeln alle Türen. Sie ordnen ihre Scheckhefte, werfen was in die Mikrowelle, knallen sich vor den Fernseher, ignorieren die Schreie und versuchen zu vergessen, wer die Nacht dort draußen kontrolliert …“

      Selinas Sprachduktus wandelte sich langsam, sie hörte sich nun bestimmter und knarrender an.

      „Was hast du genau getan?“, fragte McMillan.

      „Das werde ich hier sicher auch wortwörtlich mitteilen“, lautete ihre ironische Antwort. Okay, Fräulein, dachte sich der Moderator. Du willst spielen? Dann lass uns spielen.

      „Aber Wölfe gehen nachts auf die Jagd. Hast du das auch getan?“, fragte er.

      „Ja“, sagte sie lakonisch.

      „Du bist also in der Nacht durch die Stadt geirrt und hast Ausschau nach einem … Opfer gehalten?“

      „Ja …“ Wieder folgte keine Ausführung, was McMillans Ärger nur anheizte, aber er versuchte, es nicht durchscheinen zu lassen, wusste er doch, dass er dieser Göre heute Abend noch verbal einen über den Schädel ziehen würde. Das sollte ihr recht geschehen mit ihrer pseudo-nebulösen Art.

      „Hast du eines gefunden?“, fragte er daher weiter.

      „Sehr selten …“

      „Aber du bist schon mal fündig geworden?“

      „… ja.“

      „Hast du es mehrmals … naja, getan?“

      „Bisher nur zweimal …“

      „Tss, willst du mir etwa ernsthaft sagen, dass du zwei Menschen umgebracht hast?“, fragte er sarkastisch.

      „Glauben Sie das etwa?“, erwiderte Selina unbeeindruckt zurück. Nun wollte McMillan sie mehr aus dem Konzept bringen als zuvor.

      „Du willst mir also erzählen, dass du ein Werwolf bist? Weißt du, ich glaube einfach, dass du zu viel von diesem Twilight-Scheiß geguckt hast. Stimmt es oder habe ich recht?“

      Eine kurze Pause trat ein, doch sie

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