Zwielicht 11. Michael Schmidt

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Zwielicht 11 - Michael Schmidt

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Entleins festgelegt und als ich versuchte auszubrechen, musste ich auf den Platz zurückverwiesen werden, wo ich hingehörte. Am Ende des Schultags war ich dasselbe, hässliche Mädchen wie vor Weihnachten: Ein Geist mit bleichem Gesicht und schwarzen, fettigen Haaren, der rasch und unauffällig über die Schulkorridore huschte, um nicht ins Blickfeld seiner Peiniger zu geraten. Die Bücher hielt ich wie eine Art Schutzschild immer dicht an meine Brust gedrückt und starrte zu Boden. Irgendwann nagte auch der Zahn der Zeit an meinen neuen Klamotten. Immerhin hatte sich die Folter irgendwann wieder aufs alte Niveau eingependelt. Ich wollte ausbrechen, wurde niedergestreckt und zurück in mein Verlies geworfen, dann kehrte der Alltag unter den Wärtern und Häschern ein. Wahrscheinlich war der Zorn so groß, weil jeder Angst hatte, wenn ich nicht mehr die Zielscheibe für allen Hass wäre, jeder der Nächste sein könnte.“

      „Lieber Täter als das Opfer sein … warum hast du nicht die Schule gewechselt?“, fragte der Moderator.

      „Habe ich, aber auf der benachbarten Schule gab es genug Schüler, die Freunde auf meiner alten Schule hatten. Da mich dort noch nicht alle kannten, wurde hier mehr denn je mit dem Finger auf mich gezeigt.“

      „Das ist das Hanky Panky-Mädchen, haben sie gesagt?“

      „Und alle wussten Bescheid“, antwortete Selina. „Egal, was ich tat, es war wie eine unsichtbare Wand, die man nicht durchbrechen konnte. Ich war es und sollte es immer bleiben, das Hanky Panky-Mädchen.“ Das Gespräch hatte sich nun vollkommen gedreht, denn nun beherrschte die Anruferin die Sendung, und McMillan schien ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Ein Donnerhall ertönte und hatte sich seinen Weg bis zum Studio des Senders erkämpft. Der Sturm war nun deutlich nähergekommen, viel schneller als die Wettervorhersage es prognostiziert hatte. Aber die Übertragung blieb davon noch unberührt.

      „Woher rührte dieser Name?“, fragte McMillan.

      „Dass alle Kinder mich hassten, hat mich sehr vereinsamt und verbittert. Aber zerstört hat mich etwas anderes und das war es erst, warum man begonnen hatte, mich in der Schule als … als Störfaktor zu empfinden. Allerdings hatte ich es jahrelang verdrängt. Erst als ich erwachsen wurde und eine Therapie machen wollte, wegen der Erfahrungen aus meiner Schulzeit, wurden ganz andere Dämonen in mir geweckt. Düstere Boten aus einer morbiden Odyssee kehrten plötzlich in mein Leben zurück und verkündeten mir eine Wahrheit, der ich jede Lüge vorgezogen hätte. Der Grund, warum sie mich das Hanky Panky-Mädchen genannt hatten, war meine Mutter.“

      „Deine Mutter?“

      „Meine Mutter war ein schlechter Mensch. Mein Vater ließ sie während ihrer Schwangerschaft sitzen und sie hatte keine hohe Schulausbildung oder Berufserfahrung. Später half sie in einer Fischbraterei aus, aber damit wir über die Runden kamen, hat sie viele einsame und auch verheiratete Männer glücklich gemacht.“

      „Ich verstehe …“

      „Viele Frauen mussten es bereits vorher gewittert haben, aber niemand in der Ortschaft wagte es, etwas zu sagen, weil sie alle gemeinsam in ein viel größeres Geheimnis verstrickt waren. Hätte die Ehefrau eines Freiers meiner Mutter den Prozess gemacht, hätte sie damit eine Lawine ausgelöst, die auch sie zur Mittäterin gemacht hätte.“

      „Was war das für ein Geheimnis?“

      „Die Kinder in der Schule kannten bei weitem nicht alle Details, sie waren ja noch Kinder. Aber Kinder sind eben auch sehr sensibel und haben von den anderen Erwachsenen – auch den Lehrern – mitbekommen, dass meine Mutter mit anderen Männern verkehrte … ihren Vätern. So fing es an, und ich war ein gefundenes, da wehrloses Opfer. All dies habe ich meiner Mutter und den Menschen aus dieser Gemeinde zu verdanken, und manchmal wünschte ich mir, ich hätte die Erinnerungen daran nie zurückerlangt.“

      „Es hat mit diesem Geheimnis zu tun? Stimmt's?“

      „Muss ich es aussprechen und kannst du es dir nicht schon denken, Henry?“, zischte sie ihn an, sodass es McMillan für einen kurzen Augenblick mit der Angst zu tun bekam. Ihm fehlten die Worte, so geschasst war er von der Erzählung dieser Frau. Wollte er da wirklich noch wissen, welches Geheimnis das Dorf barg? Selina ließ ihm nun keine Wahl. Ein Blick aus dem Fenster über die Küstenklippe hätte genügt, um sein Innerstes nach außen zu kehren. Denn das Meer wog, brauste und schäumte. Es war aufgewiegelt von dem Sturm, der nun unablässig über ihnen tobte.

      „Nahezu alle im Dorf wussten es. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemand nicht mitbekommen hätte. Die Kinder behandelten mich schlecht, weil meine Mutter eine Hure war. Später konnten sie sich an den Ursprung dieses Hasses nicht mehr erinnern, was sie aber nicht von Schikanen abhielt. Der Grund, warum kein Lehrer und keiner von den Eltern sie dazu bewegte, aufzuhören, lag aber daran, dass die Erwachsenen mich nur noch mehr hassten. Aber nicht, weil meine Mutter eine Hure war, dafür liebten sie sie im Bett viel zu sehr. Nein, dies hing mit einem Ritual zusammen, in welches auch meine Mutter zutiefst verstrickt war …“

      „Was ist in diesem Dorf passiert?“

      „Wollen Sie das wirklich wissen?“

      „Ich bitte darum …“

      „Da war ein Haus, ein verlassenes Haus. Gar nicht so sehr am Rande der Stadt, sondern eine ganz unscheinbar, anmutende Hütte im Ort. Direkt neben einer alten Mühle. Vorher muss dort eine Arztpraxis gewesen sein, später eine Pension, bin mir aber nicht mehr sicher. Seit dieser Begebenheit steht es jedenfalls bis heute leer und die Fenster sind mit Brettern verrammelt. Ich denke, selbst in so einer gottlosen, katholischen Gemeinde wagte es niemand mehr in dieses Haus einzuziehen.“

      „Was geschah in diesem Haus, Selina?“

      „Es sind lang zurückliegende Erinnerungen, die ich tief in mir vergraben hatte. Aber sie pochen und klopfen in mir, wie ein verschütteter Bergmann, der dort unten lebt. Ich weiß noch, dass es stets beim anbrechenden Abend geschah, wenn es dunkel wurde. Wie ich bereits vorher erzählte, sind es die Schatten der Nacht, aus denen sich die Monster schälen. In diesem Dorf lebten keine Menschen, schon gar nicht welche, die gottesfürchtig waren. Sie sahen wie Menschen aus, benahmen und nannten sich auch … aber in Wahrheit waren es Monster. Aus der Finsternis erwächst eben das Böse, aber die Finsternis selbst ist nicht das Böse. Sie ist nur das Gewand, in welches sich ihre Träger kleiden, um nicht erkannt zu werden, weil sie zu jemand anderem werden … weil sie etwas anderes werden.

      Es sind Zeiten wie diese, wenn die Dunkelheit hereinbricht und in den Häusern die Lichter entzündet werden wie Zeichen der Hoffnung. Auch an diesem Abend brannte nach langer Zeit wieder ein Licht in der Hütte neben der alten Mühle, obgleich doch niemand mehr darin lebte.

      Es war ein später Herbstnachmittag als es das erste Mal passierte. Ein später Herbstnachmittag, wo es schnell dunkel wurde, und wo ich das Böse das erste Mal mit meinen eigenen Augen sah.

      Es verbarg sich nicht in einer Drachenhöhle oder einem gotischen Schloss, wie es uns immer in Märchen vorgegaukelt wurde, sondern in diesem Haus neben der alten Mühle. Dort, wo ich zuvor bereits so oft unbehelligt vorbeispaziert war. Meine Mutter und ich hatten gerade zu Abend gegessen.

      Ich erinnere mich, wie ich mich üblicherweise fertig fürs Bett machen wollte, als sie mich fragte, ob wir noch eine Runde spazieren gehen wollten. Das kam überraschend, aber ich freute mich, da ich nur wenig Zeit mit ihr verbrachte. Allerdings wurde ich bereits zu Beginn stutzig, denn statt spazieren zu gehen, fuhr vor unserem Haus ein Auto vor. An dessen Steuer saß der Vater eines Klassenkameraden.

      Wir stiegen ein und fuhren nur ein kleines Stück bis zu dem Haus, parkten aber weiter weg statt direkt davor. Meine Mutter führte mich

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