Abraham. Martin Renold

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Abraham - Martin Renold

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Gässchen ein.

      Die Gasse mündete in einen kleinen Hinterhof, der kaum mehr als doppelt so breit wie die Gasse war. Dort schreckten sie zwei Hunde auf, die sich um den Abfall stritten, der von den Bewohnern auf den Hof geschüttet worden war. Sie erschraken selbst, wollten sich zurückziehen, hörten aber hinter einer verschlossenen Tür auf einmal laute Stimmen. Sie konnten jedoch nichts verstehen.

      Sie gingen an den Hunden, die den beiden Soldaten weiter keine Beachtung schenkten, vorbei und traten auf das Haus zu, aus dem die Stimmen kamen.

      »Was meinst du«, fragte der eine Soldat den andern, »sollen wir eingreifen? Vielleicht braut sich eine Verschwörung zusammen. «

      »Die würden nicht so laut reden, wenn sie etwas Schlimmes im Schilde führten«, meinte der andere, der lieber einer unnötigen Auseinandersetzung aus dem Weg ging.

      »Wir sollten doch ... Ich will dann nicht meinen Kopf hinhalten ...«, sagte der erste und hob seine Hand zu einer abweisenden Bewegung, die sein Kamerad wegen der Dunkelheit dieser mondlosen Nacht aber kaum wahrnehmen konnte.

      Es war ein Haus wie jedes andere in diesem Viertel. Sie standen eng zusammengebaut, zwei- und dreistöckig. Sie hatten Türen, aber keine Fenster auf die Straße hinaus. Das Tageslicht gelangte über kleine Innenhöfe in die Gebäude. Die Bewohner waren zumeist Handwerker, die im Erdgeschoss neben einem Wohnraum ihre Werkstatt hatten. In den oberen Geschossen befanden sich die Schlafgemächer des Hausherrn und seiner Gattin und jene ihrer Kinder. Hier in diesem Viertel der Stadt hatten die Männer meistens nur eine Frau. Nur Adelige und reiche Bürger, die in einem vornehmeren Stadtteil wohnten, leisteten sich manchmal eine Nebenfrau oder eine Geliebte und Gesinde, das für die Hilfe in Küche und Haushalt benötigt wurde.

      Im Haus von Terach ging es an diesem Abend ungewöhnlich laut zu und her, genauer gesagt, in der Werkstatt, die einen eigenen Eingang besaß. Terach hatte seine drei Söhne Abram, Nahor und Haran, die zusammen mit ihrer Stiefmutter Sia und deren Tochter Sarai im Wohnzimmer gesessen hatten, gebeten, mit ihm in die Werkstatt zu gehen. Er wollte mit ihnen allein reden. Da er schon am Tag vorher angedeutet hatte, worum es gehe, hatte er guten Grund anzunehmen, dass es eine hitzige Diskussion geben könnte. Deshalb wollte er seine Frau nicht dabei haben. Sie würde sich doch nur aufregen.

      Sie hatten schon eine geraume Weile gestritten, und es war immer lauter geworden. Besonders Haran, der Jüngste, hatte sich kaum mehr beherrschen können.

      »Könnt ihr das denn wirklich nicht verstehen?«, fragte Terach. »Mein Vater war ein Nomade. Er hatte Schafe und Ziegen und zog durch das Land, stellte sein Zelt einmal da auf und einmal dort, unter dem freien Himmel, im Schatten einer Tamariske oder unter Dattelpalmen. Am Tag sah man über die grünen Weiden, über die gelben Getreidefelder, sah den Euphrat, hörte sein Rauschen, und des Nachts leuchteten der Mond und die Sterne, und man hörte das Heulen der Wölfe, und am Morgen weckte einen der Gesang der Vögel. Und was sieht man hier? Am Tag nur die Mauern der Häuser rund um einen herum und des Nachts gar nichts. Ein kleines Stück Himmel, wenn’s hoch kommt zwei, drei Sterne und nur eine Ahnung vom Licht des Mondes. Wann habt ihr zum letzten Mal den Mond gesehen? «

      »Was brauch ich den Mond zu sehen?«, antwortete Nahor. »Hier in der Stadt sehe ich Menschen, Freunde, da brauch ich den Mond nicht.«

      Er schüttelte den Kopf. Wie konnte sein Vater nur auf eine solche Idee kommen. Er hielt ihn für einen Träumer. Warum sollten er und sie, seine Söhne, alles aufgeben, ihr Handwerk, die Sicherheit, die ihnen das Haus und die Stadt boten, tauschen gegen eine ungewisse Zukunft in Zelten, die keinen sicheren Schutz boten vor Unwettern, vor wilden Tieren oder Räubern und Dieben?

      »Auch ich habe meine Freunde«, sagte Haran. »Draußen vor der Stadt kennst du niemand. Da bist du allein. Und wenn es regnet und stürmt, soll ich dann tagelang im Zelt sitzen und lauschen, wie der Regen auf das Zeltdach prasselt oder warten, bis das Wasser hereinströmt? Das ist nichts für mich.«

      »Doch, Vater, ich verstehe dich«, sagte Abram. »Ich glaube, auch ich habe Nomadenblut in den Adern. Manchmal, wenn ich vor die Stadt hinaus gehe und Schafherden sehe oder die Vögel singen höre, dann wird mir das Leben in der Stadt auch zu eng. Höre ich hier etwa das Gezwitscher der Rohrsänger im Schilf oder gar das Jubilieren einer Nachtigall? Nein, nur ab und zu das gurgelnde Gurren einer Taube. Oder sehe ich frei lebende Tiere außer Ratten und streunenden Hunden? Nein, nur durch die Gassen getriebene Esel mit ihren Lasten oder die Schafe, die auf den Markt zum Schlachten geführt werden. Und vom Mond und den Sternen will ich gar nichts sagen. Noch weniger von der würzigen Luft. Wird euch nicht manchmal übel von dem Gestank in den Gassen?«

      Abram war ja noch der größere Träumer als der Vater. Woher nur kannte er die Namen dieser Vögel? Was haben wir denn von ihrem Gezwitscher!? Abram, das mussten seine Brüder zugeben, war der Klügste von ihnen. Er wusste viel. Doch was würde ihm all sein Wissen nützen als nomadisierender Schafhirte? Gegen seine Argumente kamen sie ohnehin nicht auf. Also schwiegen sie lieber.

      »Aber sag«, fuhr Abram, als keiner seiner Brüder eine Antwort gab, nach einer kurzen Atempause weiter, »warum hat denn unser Großvater die Zelte verlassen und ist in die Stadt gezogen?«

      »Er war alt und des Umherziehens müde. Er kannte einen, der diese Werkstatt besaß. Aber der hatte keinen Sohn, dem er sie hätte übergeben können. Bei ihm lernte ich sein Handwerk. Ich sollte es lernen, damit ich später meinen alten Vater und die Familie ernähren konnte. Als es so weit war und der Besitzer gestorben, zogen wir in das Haus. Ich tat mich schwer. All die Jahre musste ich an die Zeit draußen zurückdenken, an die Freiheit, die Ungebundenheit.«

      »Aber warum willst du gerade jetzt dies alles aufgeben und wieder als Nomade herumziehen?«, fragte Haran. »Ich fühle mich wohl in der Stadt.«

      Und er schaute Nahor hilfesuchend an mit einem fragenden Blick, der besagen sollte: »Sag doch auch, dass du das nicht willst.«

      Nahor verstand ihn. »Auch ich möchte nicht hinaus aus der Stadt«, unterstützte er seinen jüngeren Bruder. Dann wandte er sich an den ältern: »Und du, Abram?«

      »Wie ich schon sagte, ich glaube, ich könnte auch draußen leben«, antwortete er. »Die Stadt ist zwar groß, es leben viele Menschen in ihr. Aber manchmal ist sie mir doch auch zu eng. Es müsste schön sein auf den Feldern, mit den Tieren herumzuziehen«, und im fahlen Licht des Öllämpchens nahm Terach einen hellen Glanz in Abrams Augen wahr, wie das Leuchten in den Augen eines Verliebten. Wenigstens einer, der ihn in seinem Plan unterstützte.

      »Ich kenne einen, der die Werkstatt übernehmen würde. Er hat eine Herde Schafe und Ziegen und Zelte, die er gegen das Haus tauschen würde«, erklärte Terach und erwartete von seinen Söhnen Zeichen der Zustimmung.

      Doch Nahor und Haran, die merkten, dass es ihrem Vater ernst war, wagten nicht mehr, ihm zu widersprechen.

      »Wir reden morgen weiter darüber«, sagte Terach, wünschte eine gute Nacht und stieg in den oberen Stock hinauf, wo seine Frau auf ihn wartete.

      Die Söhne aber stritten sich noch eine Weile.

      Abram war nicht nur der Älteste. In den Augen der Brüder war er auch der Liebling des Vaters. Auch wenn Abram selbst dies nicht so sah. Doch Söhne empfinden es meistens so, während unter Töchtern eher die jüngste als Liebling der Mutter gilt. In Terachs Haus war dies allerdings kein Problem, denn Sarai war die einzige Tochter. Und weil Sia, ihre Mutter, nur die Stiefmutter der Brüder war, akzeptierten diese stillschweigend, dass Sarai von ihr mehr als sie mit Liebe und Zuneigung bedacht wurde.

      »Du stehst nie auf unserer Seite«, warf Haran Abram vor. »Du willst dich doch nur bei unserm Vater

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