Abraham. Martin Renold
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Terach sah dies nicht gern. Vor allem vor den Kneipen hatte er seinen Sohn gewarnt. Denn die wurden meist von lasterhaften Frauen geführt, die über der Kneipe ihren Gästen in separaten Kammern junge Frauen gegen Silber in Form von Plättchen oder Ringen anboten, oft aber auch selber zu bezahlten Liebesdiensten bereit waren. Haran, so fürchtete sein Vater, könnte sich leicht verführen lassen. In seinem jugendlichen Ungestüm hatte er noch zu wenig Lebenserfahrung. Für seine beiden älteren Söhne brauchte er sich hingegen keine Sorgen zu machen.
Abram, der älteste der drei Brüder, war ernster, gewissenhafter. Auch wenn einmal kein Auftrag erledigt werden musste, gab es immer etwas zu tun, aufzuräumen, den Boden zu kehren, das in der Gegend so rare und darum auch teure Holz zu besorgen, Sand vom Euphrat zu holen oder einfach sich Neues auszudenken. Terach schätzte seinen Fleiß. Für seine Brüder war er, als sie noch klein waren, ein Vorbild gewesen, doch als sie älter wurden, ärgerten sie sich manchmal über ihn, der glaubte, die Vaterrolle übernehmen und zum Rechten sehen zu müssen, wenn Terach einmal das Haus verließ. Nur Sarai, seine kleine Schwester, schaute immer noch voll Verwunderung zu dem großen Bruder auf, der so viel wusste und immer bereit war, sie vor den andern Brüdern zu beschützen.
»Abram ist mir am ähnlichsten«, dachte Terach oft. Eigentlich hätte er von Haran am ehesten erwartet, dass er sich für das Nomadenleben begeistern ließe, er, der doch so oft aus der engen Werkstatt ausbrechen wollte. Für ihn war die Werkstatt ein Gefängnis, aber in dem äußeren Gefängnis innerhalb der Stadtmauern fühlte er sich offenbar wohl. Abram hingegen, der fast nie ohne guten Grund aus dem Haus ging, hatte sich von den dreien als Einziger enttäuscht gezeigt. Und wenn Abram auch kaum etwas sagte, so fühlte Terach doch, dass sein Ältester, wie er selbst, davon träumte, einmal aus dieser Engnis auszubrechen. Wenn Abram die Werkstatt verließ, dann nicht nur, um wie Haran durch die Stadt zu streifen. Meistens hatte er draußen eine Aufgabe zu erfüllen. Und das tat er besonders gern. Denn jedes Mal ging er mit ähnlichen überströmenden Gefühlen, wie Terach an jenem Tag, hinaus vor die Mauern, schaute über das Land und den Fluss hinweg in die Weite, bis an den flimmernden Horizont und stellte sich die Welt dahinter vor. Sie steckte doch voller Geheimnisse. Wohin floss der Euphrat? Natürlich ins Meer, das er nur vom Hörensagen kannte. Aber was war hinter dem Meer? Was war hinter den Hügeln und den Bergen? Andere Hügel und Berge? Und dahinter? Ein anderes Meer? Und auch hinter jenem Meer, nichts? Und oben der blaue Himmel mit seinen Wolken. Woher kamen sie? War da auch etwas über dem Himmel, an dem die Gestirne hingen? Fragen über Fragen, über die er so oft nachdachte, die aber ohne Antworten blieben. Und dennoch, Abram fühlte in solchen Augenblicken in sich ein großes Staunen über die Welt und ihre Geheimnisse, das ihn glücklich machte.
Wenn er dann in den Auen des Flusses den feinsten Sand, den er finden konnte, in einen Sack gefüllt hatte, kehrte er, beinahe berauscht von der Luft, die er geatmet hatte, von dem Gesang der Vögel und den Bildern, die er mit seinen wachen Augen aufgenommen hatte, zurück, und das Glück, das er in sich trug, dauerte über Tage fort.
Oft, wenn Terach seinen ältesten Sohn heimlich und mit väterlichem Stolz bei der Arbeit beobachtete, sah er in seinem Gesicht dieses Glück aufleuchten.
Nahor, der Mittlere der drei, war anders, nicht wie Abram, aber auch nicht wie Haran. An Fleiß stand er Abram zwar nicht nach. Er arbeitete am liebsten in der Werkstatt. Abram überließ er gerne seine Ausflüge an den Euphrat. Und dass Haran die Botengänge zu den Kunden so gerne übernahm, enthob Nahor von der unangenehmen Pflicht, sich mit ihnen freundlich zu unterhalten, um sie für spätere Aufträge nicht abgeneigt zu machen. Nahor war verschlossen, dem Herzen seines Vaters von all dessen Söhnen am wenigsten nah. Er gab seine Gedanken nicht preis, und Terach verstand sie nicht aus seinem Gesicht, seinen dunklen Augen zu lesen. Das machte den Vater, der alle seine Kinder gleich liebte, manchmal ein wenig traurig. Früher hatte er gedacht, Nahor habe den Tod seiner Mutter nicht verkraftet. Aber das war nun schon so viele Jahre her, und an Sia, seine Stiefmutter hatte er sich doch gewöhnt. Nein, aus ihm wurde er nicht klug.
Eines Tages kam Haran aufgeregt nach Hause und erzählte, was er erlebt hatte. Er hatte, nachdem er einem Kunden ein kleines Möbelstück abgeliefert hatte – die Götterstatuetten brachte Terach selber den Auftraggebern –, einen Freund getroffen und hatte ihn auf einigen Umwegen begleitet.
»Sin-Aschar hat Herolde ausgesandt«, berichtete er. »Sie sind durch alle Straßen und Gassen gegangen und haben verkündet, dass morgen Mittag die Sonne vom Himmel verschwinden wird. Alles Volk soll sich vor Mittag beim Tempel des Mondgottes Nanna versammeln.«
Nein, Terach und die Brüder hatten noch nichts vernommen, auch Sia und Sarai nicht. Sie alle waren überrascht und wussten nicht, was das zu bedeuten hatte.
Die Erste, die etwas sagte, war Sarai:
»Wird es dann immer Nacht sein, wenn die Sonne verschwindet?«
»Eigentlich verschwindet die Sonne gar nicht. Es ist nur so, dass sich Mond und Sonne am Himmel begegnen«, erklärte Haran, ein wenig stolz, dass er Bescheid wisse, denn er hatte dies auf seinem Streifzug durch die Straßen vernommen. Eine kleine Gruppe von Neugierigen hatte sich um einen alten weisen Mann geschart, der angeblich einen Astrologen kannte und nun seine Kenntnisse vor den Unwissenden ausbreitete. Auch Haran und sein Freund hatten sich unter diese Wissbegierigen gemischt. Aber was bei der Begegnung von Sonne und Mond geschehen würde, wusste der Alte auch nicht.
»Die Astrologen im Tempel haben es vorausgesagt«, fuhr Haran fort, »dass sich morgen die Sonne verfinstert. Ist das nicht großartig, dass sie es vorhersehen können? Wie machen sie das nur? Wären wir nun draußen auf den Feldern, würden wir das nicht erfahren.«
Abram warf ihm einen vorwurfsschweren Blick zu. Das hätte er nun nicht sagen sollen. Doch Terach fühlte sich nicht gekränkt. Ein Lächeln flog über sein Gesicht.
»Die Astrologen sind Priester«, erklärte Terach, »die Götter werden es ihnen im Traum eingegeben haben.«
Haran erzählte weiter, was er auf der Straße gehört hatte. Es gefiel ihm, so im Mittelpunkt zu stehen und mehr zu wissen als seine Brüder.
»Die Priester fordern das Volk auf, morgen zum Tempel des Mondgottes Nanna zu gehen und ihn zu bitten, dass er seinen Sohn, den Sonnengott Schamasch, nicht vom Himmel stürze«, sagte er. »Ich habe mit den Leuten geredet. Sie fürchten sich. Sie meinen, das sei der Weltuntergang. Andere sagen, auch wenn Nanna den Schamasch nicht vom Himmel stoße, so sei sein Zorn auf ihn doch so groß, dass er das Land mit Kriegen und Überschwemmungen oder einer Hungersnot überziehe.«
»Was glaubst du«, fragte Nahor seinen Vater, »haben wir Grund, uns zu fürchten?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Terach. »Ich habe noch nie erlebt, dass die Sonne verschwindet. Aber mein Vater hat erzählt, dass das früher schon geschehen ist und dass dann immer etwas Schlimmes passierte, ein Krieg oder eine Seuche oder Hungersnot.«
»Warum sollten die Götter uns Menschen strafen, wenn sie Streit unter sich selbst haben. Und Krieg hat es schon zu allen Zeiten gegeben«, sagte Abram, »auch ohne dass die Sonne vom Himmel verschwunden ist. Vor sieben Jahren hat Rim-Sin, wie er behauptet, mit der Hilfe der Götter Anu und Enlil die Königsstadt Isin erobert. Da hat sich die Sonne auch nicht verfinstert, obwohl Schamasch allen Grund gehabt hätte, sein Gesicht zu verhüllen. Und erleben wir nicht alle paar Jahre, dass der Euphrat das Land überschwemmt?«
»Aber unheimlich ist es doch. Vielleicht wollen Schamasch und der Mondgott Nanna uns damit etwas kundtun«, meinte Nahor. Doch was Abram gesagt hatte, leuchtete ihm ein. Abram wusste doch immer eine Erklärung oder einen Rat, was zu tun sei, wenn die andern nicht weiter wussten. Er bewunderte deshalb seinen großen Bruder.
Haran hingegen