Abraham. Martin Renold

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Abraham - Martin Renold

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sonst so fröhlichen Gesang. Als der letzte kleine Strahl der Sonne verschwunden war, wurde es düster. Es war, als hielte die ganze Welt den Atem an.

      Alle Blicke waren nun zum Himmel gerichtet, dorthin, wo gerade noch der letzte Strahl der Sonne geleuchtet hatte. Jetzt aber war nichts mehr zu sehen. Die Menschen schwiegen, das leiseste Flüstern war verstummt.

      Haran hatte unwillkürlich nach Leas schmaler Hand gegriffen und hielt sie fest. Lea hatte nicht versucht, sie zurückzuziehen.

      Auch Sarai klammerte sich an ihre Mutter. Selbst Terach hatte seine Arme um Abrams und Nahors Schultern gelegt und zog die beiden Söhne an sich heran.

      Doch plötzlich leuchtete wieder ein Strahl auf.

      Die lautlose Stille wurde von dem Gezwitscher der Vögel unterbrochen, die als Erste von dem Fortgang des Lebens Kunde gaben. Klang ihr Gesang so laut, weil sie das Versäumte nachzuholen schienen, oder war es, weil die Menschen ihren Gesang noch nie so bewusst und in dieser jubilierenden Fröhlichkeit wahrgenommen hatten wie in diesem Augenblick?

      Und da ging auch durch die Menge ein hörbares Aufatmen, das allmählich in Jubel überging. Und immer größer und stärker wurde das Licht, so dass man nicht mehr hinschauen konnte, ohne geblendet zu werden.

      Und dann war es wieder so hell wie zuvor, und die Welt war nicht untergegangen. Die Stadt Ur und ihre Bewohner lebten weiter. Wieder reckten sich Hände zum Himmel, diesmal zum Dankgebet für Schamasch, den Sonnengott, der gestorben und wiedergeboren war, und für Nanna, der seinen Sohn nicht vom Firmament hinab in die Unterwelt gestoßen hatte.

      Und nun ertönten wieder die Trommeln, nicht mehr so dumpf wie vorher. Unter ihrem hellen Klang schritt Sin-Aschar die Treppen herab. Bei der untersten Treppe schlossen sich die Trommler an und stiegen fünf Stufen hinter ihm hinunter. Der Statthalter und seine Beamten gingen gemessenen Schrittes durch die spalierstehenden Soldaten über den Platz. Auf einmal ertönte der Ruf:

      »Lang lebe Sin-Aschar!«, und noch einmal: »Lang lebe Sin-Aschar!«

      Zögernd stimmte das Volk mit ein.

      Keiner wollte den Eindruck erwecken, ein Gegner des Vizekönigs zu sein. Man wusste ja nicht, ob der unbekannte Nachbar nicht ein Spitzel war.

      Als sich das Tor der Burg hinter dem Statthalter des Königs verschloss und die Trommeln verstummt waren, verlief sich allmählich die Menge.

      Manche standen noch in kleinen Gruppen beisammen. Was würde nun geschehen? War wirklich alles vorbei und wieder so wie zuvor, oder war dies der Anfang einer neuen, schrecklichen Zeit?

      Haran und Lea hatten sich losgelassen. Freudig stellte Haran fest, dass sein Vater Terach mit Leas Vater redete. Die beiden schienen sich zu kennen. Es stellte sich heraus, dass sie schon geschäftlich miteinander zu tun gehabt hatten. Sanherib, so hieß Leas Vater, hatte bei jeder Geburt seiner vier Kinder bei Terach eine kleine Götterstatue in Auftrag gegeben, die als persönlicher Gott das kleine Kind schützen und ihm später als Mittler zu Marduk, Schamasch oder den anderen höheren Gottheiten dienen sollte.

      Eine kurze Strecke gingen die beiden Familien nebeneinander her, bis sich ihre Wege trennten. Haran hob nur seine Hand zum Abschied und setzte ein Gesicht auf, das seinen ganzen Trennungsschmerz, aber zugleich auch seine Hoffnung auf ein Wiedersehen zum Ausdruck bringen sollte. Und Lea warf ihm einen verliebten Blick zu, der ihm alles Glück verhieß.

      Noch am Abend desselben Tages nahm Haran seinen Vater beiseite.

      »Ich möchte mit dir etwas besprechen«, sagte er geheimnisvoll. Seine Brüder sollten nichts davon hören.

      Sie gingen hinüber in die Werkstatt.

      Haran wusste nicht, wie er beginnen sollte.

      »Was hast du auf dem Herzen?«, fragte Terach seinen Sohn, als er sah, dass dieser sich herumdrückte und keine Worte fand.

      »Ich möchte mir eine Frau nehmen«, begann Haran. »Ich bin nun alt genug.«

      »Aber deine beiden Brüder sind älter als du und haben noch keine Frau«, erwiderte Terach.

      »Das ist ihre eigene Schuld«, sagte Haran. »Sie kennen ja kaum jemand. Wenn sie mehr in die Stadt gehen würden, hätten sie auch mehr Gelegenheit, eine Frau zu finden.«

      »Hast du denn deine schon gefunden?«, fragte Terach.

      »Ich glaube schon«, antwortete Haran. »Es ist Lea, die Tochter deines Bekannten, den du heute auf dem Tempelplatz getroffen hast.«

      Vielleicht wäre es gut, wenn sein Sohn sich eine Frau nähme, dachte Terach. Es könnte sein, dass er dann ein wenig ruhiger und verantwortungsvoller wird und nicht mehr so viel mit seinen Kumpeln in der Stadt herumstreicht.

      Ein wenig fühlte sich Terach beschämt, weil er sich nicht selber schon für seine Söhne nach Frauen umgesehen hatte, wie das viele andere Väter üblicherweise taten. Doch er meinte, sie wären alt genug, um sich eine Frau zu suchen, wenn sie die Zeit dazu für gekommen hielten.

      »Gut, ich werde mit Leas Vater verhandeln«, sagte er. »Wenn er bereit ist, sie dir zu geben, so soll es sein.«

      Haran fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Das hatte er, seit er ein Kind war, nie mehr getan.

      Ein paar Tage später war Terach ausgegangen, ohne jemandem zu sagen, wohin. Er blieb länger weg als gewöhnlich, wenn er eine Götterstatue einem Kunden brachte. Als er endlich zurückkehrte, teilte er seinem Sohn mit, er sei bei Sanherib gewesen. Der erwarte, dass er am nächsten Tag noch einmal mit seinem Sohn vorbeikomme, damit man auch ihn kennen lerne und man, wenn er, Sanherib, ihn für würdig befinde und Lea auch einverstanden sei, einen Ehevertrag aushandeln könne.

      Haran ging am Nachmittag des nächsten Tages mit seinem Vater zu Sanheribs Haus. Das Klopfen seines Herzens war fast so laut wie Terachs Klopfen an der Tür.

      Ein Diener öffnete, bat die beiden Männer mit einer untertänigen Handbewegung herein und führte sie in den Wohnraum, wo Leas Eltern auf sie warteten.

      »Du möchtest also meine Tochter Lea zur Frau nehmen«, begann Sanherib, nachdem sie sich ausgiebig begrüßt und sich dann in einer Ecke auf den Boden gesetzt hatten. »Ich kenne deinen Vater als einen ehrbaren Mann. Er hat mir gesagt, dass du in seiner Werkstatt arbeitest und in der Lage bist, eine Frau zu ernähren.«

      »Ich kann dir, ehrenwerter Sanherib, versprechen, deiner Tochter Lea ein guter Ehemann zu sein. Ich werde sie lieben und beschützen.«

      »Nach dem Besuch deines Vaters hat auch Lea mir versichert, dass sie deine Frau werden möchte.« Und zu seiner Frau sagte er, sie möchte jetzt Lea hereinholen, damit Haran und Lea ihr Eheversprechen vor beiden Vätern bestätigen sollten.

      Lea trat mit gesenktem Blick vor ihren und Harans Vater, die sich beide, wie auch Haran, erhoben hatten. Heimlich warf sie Haran mit einem zwinkernden Auge einen Blick zu, ohne den Kopf zu heben.

      Nachdem sie bekräftigt hatten, einander zu lieben und treu zu sein und Lea wieder in ihr Zimmer geschickt worden war, setzten sich die Männer wieder, und die beiden Väter begannen über die Mitgift zu verhandeln, während Leas Mutter hinausging, um Früchte zu holen, die sie in einer Schale neben den Männern auf den Boden stellte. Dann zog auch sie sich zurück.

      Alles, was die beiden Väter vereinbart

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