Abraham. Martin Renold
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Читать онлайн книгу Abraham - Martin Renold страница 12
»Hat es dir Lea gesagt?«, fragte er.
»Nein, aber ich habe es Lea angesehen. Sie ist heute anders als sonst.«
Haran umarmte Sia, die darob beinahe erschrak. So etwas war sie von ihren Stiefsöhnen nicht gewöhnt.
Sarai stand daneben und wünschte ihm Glück.
»Ich danke dir«, sagte Haran und wollte davoneilen.
Doch Sarai rief:
»Und ich, bekomme ich keinen Kuss?«
Haran kehrte um und küsste sie leicht auf die Wange. Dann eilte er in die Werkstatt.
»Ich werde Vater«, rief er schon unter der Tür.
»Ach so, das war’s«, sagte Terach, eher enttäuscht, dass er Sia nicht durchschaut hatte, als mit Freude über die Nachricht seines Sohnes.
Abram und Nahor, die ihre Arbeit auch schon wieder aufgenommen hatten, freuten sich über die Neuigkeit. Sie legten ihr Werkzeug weg und schauten von Haran zu Terach. Sie verstanden nicht, was ihr Vater meinte.
»Was war?«, fragten beide zugleich.
»Nun, Mutter wusste es doch schon«, sagte Terach, »habt ihr denn nicht gesehen, wie sie darauf wartete, dass Lea es erzähle.«
»Nein, sie hat es nicht sicher gewusst«, widersprach Haran, gekränkt, weil er Sia nicht hatte überraschen können, »Lea wollte es zuerst mir sagen.«
Haran stand in der Mitte der Werkstatt und strahlte über das ganze Gesicht wie an dem Tag, als er Lea zur Frau bekam und sie ihm sagte, wie glücklich sie darüber sei. Er schaute herausfordernd zu seinen Brüdern.
»Nun, was sagt ihr?«
»Wir wünschen dir Glück zu deinem Nachkommen«, sagte Abram.
»Was sollen wir sonst sagen?«, fügte Nahor bei.
»Wollt ihr es mir nicht bald nachmachen?«, fragte Haran.
»Lass doch deine Brüder in Ruhe!«, rief Terach aus seiner Ecke, »und mach dich endlich an die Arbeit! Zum Feiern ist am Abend noch genug Zeit.«
Haran setzte sich. Aber er hatte keine große Lust zu arbeiten. Zum Glück war die kleine Statue schon so weit fertig, dass sie nur noch poliert werden musste.
Immer wieder schaute Haran beinahe triumphierend zu seinen Brüdern.
»Grins doch nicht so!«, herrschte ihn Nahor an. »Wir werden es dir schon noch zeigen.«
»Dann sputet euch endlich«, hänselte Haran, »bevor ihr alt und dürr werdet.«
Und er zog den Kopf ein, machte einen Buckel und drückte seine Ellbogen an den Körper, streckte die Unterarme nach vorn und ließ die Hände zitternd wie ein Greis hin und her pendeln.
So ging es noch eine Weile weiter, halb im Spaß, aber doch auch halb im Ernst.
»Er hat ja recht, mein kleiner Bruder«, dachte Abram. »Ich bin der Älteste, schon bald dreißig Jahre alt. Ich glaube, es wird Zeit, etwas zu unternehmen und für meine Nachkommenschaft zu sorgen.«
Nun, Abram übertrieb in seinen Gedanken ein wenig mit seinem Alter. Er war gerade erst siebenundzwanzig Jahre alt geworden.
An diesem Abend sah Abram seine Schwester mit ganz andern Augen an. Als sie ihm beim Nachtmahl gegenübersaß, erschien sie ihm wie eine Fremde. Bisher hatte sie sich wenig von seinen Brüdern unterschieden. Ja, sie war ein Mädchen. Und er war ihr Bruder, genau so, wie er auch der Bruder von Haran und Nahor war. Ihre Schönheit war bisher für ihn nie etwas Besonderes. Sie war ein schönes Kind gewesen, als er sie zum ersten Mal hatte auf ihren Füßen stehen sehen, als sie ihre ersten Schritte machte. Sie war die Schönste gewesen, wenn sie mit den Nachbarsmädchen spielte. Ihre Schönheit hatte sein Leben begleitet seit der Zeit, da sie ein Kind war bis jetzt, da er sie zum ersten Mal wirklich als Frau betrachtete. Ihr Körper hatte sich gewandelt, ohne dass er es bemerkt hatte. Man sieht nicht den Wandel von einem Tag zum nächsten und von diesem wieder zum nächsten und so fort von einem Tag zum andern. Dass sie einen Busen entwickelt hatte, der nun schöner und straffer war als jener ihrer Mutter, hatte er kaum beachtet. Doch jetzt war ihm, als sähe er sie zum ersten Mal. Und da sah er sie nun wie eine Frau, von der er dachte, die könnte er lieben. Nie zuvor war ihm ein solcher Gedanke gekommen. Es war beinahe ein Erschrecken, als er sich dessen gewahr wurde.
Sarai bemerkte, dass sein Blick auf ihr ruhte.
»Was siehst du mich an?«, fragte sie.
Abram fühlte sich ertappt und wurde verlegen.
»Ich habe dich nicht angeschaut«, antwortete er.
»Doch du hast«, ereiferte sie sich.
»Und wenn ich’s getan habe, was soll’s dann?«, gab er ihr zurück.
Sarai gab’s auf. Doch nach dem Essen, als alle aufgestanden waren, ging sie zu Abram, fasste ihn am Arm und fragte:
»Was ist mit dir los? Du bist heute so seltsam.«
»Fass mich nicht an!«, sagte er und wich zurück.
»Du hast doch etwas«, drängte Sarai erneut in ihn.
»Was soll schon sein?«, erwiderte er und ging in seine und Nahors Kammer. Er war froh, dass Nahor bereits in die Werkstatt gegangen war.
Abram setzte sich auf sein Lager und dachte über sich selbst und über Sarai nach.
Seine Schwester war zehn Jahre jünger als er. Aber sie war im heiratsfähigen Alter. Als er daran dachte, dass eines Tages ein Mann kommen könnte und sie begehren würde, wurde ihm ganz mulmig zumute. Er hatte ein ganz seltsames Gefühl im Bauch, das er so noch nicht kannte.
In der folgenden Zeit getraute sich Abram nicht mehr, Sarai zu berühren oder mit ihr über nicht alltägliche Dinge zu reden. Er beobachtete sie unauffällig, so, dass sie es nicht merken sollte. Doch sie stellte fest, dass er ihr nicht mehr so nahe kam wie früher.
Da er auf ihre Fragen nicht einging, schüttelte sie nur verständnislos den Kopf.
Abram aber ging seine Schwester nicht aus dem Sinn. Er musste während der Arbeit oft an sie denken. Und abends auf seinem Lager verfolgte ihn das Bild ihrer anziehenden Gestalt. Er sah ihr Gesicht vor sich mit den unter den schön gewölbten Brauen dunklen, großen Augen, die ihn so eindringlich anschauen konnten. Besonders seit er ihr aus dem Weg ging, hatten diese Augen einen fragenden und leicht melancholischen Ausdruck angenommen. Er wünschte sich, sie würde ihm im Traum erscheinen und sie würden sich nahe kommen und er würde sie umarmen und auf ihren Mund mit den vollen Lippen küssen, so wie er es tagsüber nicht wagte zu tun. Doch wie es oft so ist, je mehr man sich einen Traum herbeisehnt, umso weniger kommt er zu einem, und am Morgen wacht man enttäuscht auf.
Schließlich musste er sich eingestehen, dass er sich in seine eigene Schwester verliebt hatte. Durfte das sein? Aber sie war ja nur seine Halbschwester. Sie hatte nicht die gleiche Mutter wie er.