Abraham. Martin Renold
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Von der alten Königsburg, in der jetzt Sin-Aschar, der Statthalter Rim-Sins, residierte, bis zur mittleren Treppe des Tempels hatten mit Speeren bewaffnete Soldaten, die ähnlich aussahen wie jene, die bei Abram und seinen Brüdern angeklopft hatten, eine Gasse gebildet, durch die der Vizekönig mit seinen Hofleuten zum Tempel schreiten würde.
Vor den Treppen auf der linken und der rechten Seite standen ebenfalls bewaffnete Soldaten und sorgten für Ordnung. Denn das Volk strömte herbei zu den seitlichen Treppen. Viele brachten eine Opfergabe, die bei den ersten Stufen von den Tempeldienern in Empfang genommen wurden. Auch Terach hatte ein Krüglein mit Öl abgegeben.
Der Platz vor dem Tempel füllte sich immer mehr. Es mussten Zehntausende sein. Man stand dicht nebeneinander. Die zuletzt Gekommenen mussten sich, oft unter Murren und anderen Missfallensäußerungen, durchdrängen, um ihre Opfergabe bei den Treppen abgeben zu können. Die Tempeldiener trugen diese Gaben, Bier, Brote, Honig, Sesamsamen oder Öl, die Treppen hinauf bis zur ersten Terrasse. Dort wurden sie den Priestern übergeben, die sie über die zweite Terrasse bis zur dritten hinauftrugen. Es war ein faszinierendes Schauspiel, das auch Abrams Familie staunend beobachtete, wie die unzähligen Tempeldiener und Priester in ihren festlichen Gewändern mit den Opfergaben in langer Reihe die Treppen hochstiegen, dann wieder herunterkamen, um neue Opfergaben heraufzuholen. Auf der obersten Terrasse wurden die Opfergaben von den Hohepriestern in Empfang genommen und in das Innere des Hochtempels gebracht, wo sie die Speiseopfer auf Tische legten und die Trankopfer in große Gefäße schütteten. Der Erste Hohepriester nahm das Feuer, das zwei andere Priester entfacht hatten, entgegen, ging damit in den Hochtempel hinein und entzündete in einer Schale das Harz einer Zeder, hob die Hände vor der goldenen Statue des Gottes Nanna empor und lud ihn zum Opfermahl, das ihn versöhnlich stimmen sollte, damit er das Unheil von der Stadt und vom ganzen Land abwende.
Diese Zeremonie war natürlich dem gemeinen Volk verborgen. Nur die Hohepriester auf der dritten Terrasse, die vor dem offenen Tor standen, konnten den Ersten Hohepriester bei diesem kultischen Ritual beobachten.
Alle Blicke waren auf den Tempel gerichtet. Von hier unten, wenn man nicht zu nahe stand, was aber durch die Soldaten ohnehin verhindert wurde, sah man bis hinauf zum eigentlichen Tempel, dem Hochtempel, in dem der Mondgott Nanna thronte. Nachdem alle ihre Opfergaben abgegeben hatten, verteilten sich die Priester in ihren weißen Gewändern auf den Terrassen. Die meisten stellten sich auf der ersten Terrasse hinter der Brüstung auf. Einige blieben auf der zweiten und verteilten sich dort hinter der Mauer. Nur ihre Oberkörper ragten über die Brüstung hinaus. Auf der dritten Terrasse stellten sich die Hohepriester auf, mit dem Rücken zum Volk, das Gesicht zum Tor des Hochtempels gewandt.
Nur der Erste Hohepriester des Nanna blieb während der ganzen Zeit im Sakralraum des Heiligtums.
Unten vor dem Tempel wurden nun keine neuen Opfergaben mehr angenommen. Der Weg wurde freigemacht für den Statthalter des Königs.
Sin-Aschar, begleitet von Wächtern und Hofleuten, trat nun unter dumpfem Trommelklang in vollem Ornat und mit der spitzen Haubenkrone auf dem Haupt, die ihn als Stellvertreter des Königs auswies, aus dem Burgtor heraus. Würdevoll schritt er durch die von den spalierstehenden Soldaten gebildete Gasse bis zur mittleren Treppe des Tempels. Die Wächter und Hofleute blieben unten an der Treppe zurück. Sin-Aschar aber schritt majestätisch die Treppe empor, hinter ihm zwei Trommler. Diese blieben auf dem Vorbau bei der ersten Terrasse zurück. Nur der eintönige Trommelklang begleitete ihn bis hinauf zu der obersten Terrasse vor dem Hochtempel. In diesem Augenblick, als Sin-Aschar die Terrasse erreichte und die Hohepriester ihn in ihre Mitte nahmen, verstummten die Trommeln.
Sin-Aschar schaute hinunter auf das Volk. Als er die Menge mit erhobenen Händen grüßte, gingen alle auf Knie, bis er seine Arme senkte. Dann drehte er sich um und wandte wie die Hohepriester sein Gesicht dem Hochtempel zu.
Haran hatte in der Menge eine junge Frau bemerkt, die er schon öfter gesehen hatte und die ihn mit ihrer Schönheit bezauberte. Beinahe vergaß er, warum er hier vor dem Tempel stand, als er sah, dass die junge Frau mit ihrer Familie, nachdem auch sie ihre Opfergaben abgegeben hatten, in seine Nähe kam. Jetzt stand sie neben ihm. Sein Herz klopfte nun noch heftiger, als es schon wegen des bevorstehenden Ereignisses tat. Er glaubte es zu hören, so stark war seine Erregung. Wenn sie mit ihren Leuten nur nicht weiterging, wünschte er sich.
Haran schaute sie an, und als sie bemerkte, dass sein Blick auf ihr ruhte, lächelte sie. Er grüßte sie und war glücklich, als er sah, dass sie ihren Vater am Arm fasste und ihn zurückhielt, als er weitergehen wollte. Nun stand sie ganz nahe bei ihm. Die Götter hatten seinen Wunsch erfüllt. Er tat einen Schritt zur Seite und flüsterte ihr zu:
»Ich hab dich schon oft gesehen. Du bist schön. Wie heißt du?«
»Mein Name ist Lea«, antwortete sie und errötete.
»Ich heiße Haran.«
»Ein schöner Name«, erwiderte Lea.
Sie hatte eine weiche, fast singende Stimme. Hätte er sich nicht schon wegen ihrer schönen Gestalt und ihres hübschen Gesichts in sie verliebt, so würde ganz sicher diese süße, verführerische Stimme ihn dazu bewegen.
Haran und Leas Angehörige standen stumm und starrten auf den Tempel und bemerkten nicht, dass die beiden einen Schritt zurückgewichen waren und andere Neugierige und Fromme, die zum Gott beten wollten, sich zwischen sie und ihre Eltern und Geschwister gedrängt hatten.
Niemand wagte laut zu reden. Die Stimmen der vielen tausend Menschen vermischten sich zu einem Summen und Brummen, das wie ein andauerndes fernes Donnergrollen hinauf zu den Priestern auf den Zinnen drang.
Endlich gab ein Priester auf der obersten Terrasse ein Zeichen. Daraufhin ertönten wieder dumpfe Trommelschläge von der kleinen vorgelagerten Terrasse herab. Die Menge wurde still. Auch Haran schwieg. Er hatte bereits herausbekommen, wo Lea wohnte und wer ihre Eltern waren. Und mit Befriedigung hatte er festgestellt, dass Lea selbst nicht abgeneigt schien, ihn näher kennen zu lernen.
Die Trommelklänge schwollen an und wurden wieder leiser. Eine unheimliche Beklemmung bemächtigte sich der Menschen.
Plötzlich verstummten die Trommeln.
Die Priester auf allen drei Terrassen, dicht nebeneinanderstehend, erhoben die Hände betend zum Himmel. Das Volk sah nur ihre Rücken. Auch in der Menge begannen nun einige, dann immer mehr, am Ende alle, ihre Hände zu erheben. Ein Murmeln ging durch die Menge, das wie das Brausen des Meeres anschwoll und wieder verebbte und wieder anschwoll, unaufhörlich, bis irgendwo in der Menge der Ruf erschallte: »Die Sonne verschwindet.«
Alle Blicke waren zum Himmel gerichtet. Doch wegen des blendenden Lichts konnte niemand genau sehen, was vor sich ging. Einige hielten sich Tücher vor die Augen und konnten so erkennen, dass ein Schatten über die Sonnenscheibe heraufzog.
Es war auf einmal totenstill geworden in der Menge. Es war, als breche bereits um diese Mittagsstunde die Abenddämmerung herein. Selbst die Vögel, die gerade noch herumgeflattert waren, hatten