Sonnig mit heiteren Abschnitten. V. A. Swamp

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Sonnig mit heiteren Abschnitten - V. A. Swamp страница 5

Автор:
Серия:
Издательство:
Sonnig mit heiteren Abschnitten - V. A. Swamp

Скачать книгу

was 1949 wahrscheinlich für die meisten Eltern eine echte Herausforderung darstellte. Meine Mutter zog mir meine etwas speckigen kurzen Lederhosen an. Irgendwo hatte sie nagelneue Träger, vorne mit einem aufgestickten röhrenden Hirsch, aufgetrieben. Auch ein frisch gewaschenes Hemd und nahezu weiße Strickstrümpfe gehörten zu meinem Outfit. Ich war also bestens gerüstet. Der Kindergarten war Teil einer Kirchenanlage, zu der auch ein großer Veranstaltungssaal mit richtiger Bühne gehörte. Ich hatte diesen Saal während meiner gesamten Kindergartenzeit und auch während der Generalprobe nicht zu Gesicht bekommen.

       Wir gingen über den Hof durch den Hintereingang und trafen dort auf die anderen Künstler samt ihren erwachsenen Trainerinnen. Väter waren, glaub ich, nicht dabei. Bis dahin war alles gut gegangen. Wir haben rum gealbert. Wir waren von dem Publikum durch einen großen dunklen Vorhang getrennt. Wir sahen das Publikum nicht, aber wir hörten die Stimmen. Dann schlug irgendwer einen Gong und das Gemurmel verstummte. Eine der Kindergärtnerinnen schob mich durch den Vorhangschlitz auf die Bühne.

       Niemand hatte mich auf diesen Moment vorbereitet. Ich blickte in gefühlt Tausende erwartungsvoll aufgerissene Augen von Eltern, Großeltern, Tanten, Nachbarn und was man sonst so mobilisiert hatte, diesem großen Ereignis beizuwohnen. Die Münder schienen aufgerissen und glichen Raubtieren, die mich jeden Moment zerfleischen würden. Es herrschte eine Grabesstille. Ich stand da, wahrscheinlich mehrere Stunden, es können auch Tage und Wochen gewesen sein, stumm und bewegungslos. Das Einzige, was ich spürte, war die Unruhe hinter dem Vorhang. Man konnte mich zwar von dort nicht sehen, aber mein Angstschweiß war sicher bis in die hintersten Winkel der Bühne zu riechen. Meine Lippen waren verklebt und fest wie Beton. Dann drehte ich mich wortlos um und entkam durch den Vorhangschlitz.

      Strawinsky macht ein Geräusch, das ich nicht identifizieren kann. Aber zumindest weiß ich, dass er noch da ist.

       Was sagte Ihre Mutter zu der Situation?

       Meine Mutter stand da, kalkweiß und mit versteinerter Miene. Ich glaube in diesem Moment wäre sie am liebsten gestorben. Diese Schande war einfach zu viel für sie. Sie versuchte es im Guten, dann unter Androhung schwerster Strafen, mich wieder vor den Vorhang zu bekommen. Aber es war aussichtslos. Selbst das Los der ewigen Verdammnis hätte mich weniger geschreckt, als noch einmal in diese Hölle zu gehen. Meine Mutter zerrte mich schließlich heraus, und sie weinte den ganzen Weg nach Hause ob dieser Blamage.

       Und Ihr Vater, was sagte er dazu?

       Mein Vater hat von dem ganzen Geschehen nichts mitbekommen. Er ging prinzipiell nicht zu solchen Veranstaltungen. Meine Mutter hat ihm auch nie erzählt, was geschehen war. Ich glaube, sie hat sich selbst vor ihm geschämt.

      Ich bin plötzlich furchtbar müde. Außerdem habe ich im Moment ohnehin keine Geschichte mehr …

      Gängelei und Brutalität

      Mir geht es nicht schlecht, ich kann SCHÖNSTE HÄNDE ausgiebig betrachten. Sie sieht toll aus. Sie ist ganz in Blau gekleidet. Das ist ein schöner Kontrast zu ihren blonden Haaren. Ich frage mich, wie sie mit ihrer natürlichen Haarfarbe aussehen mag. Ich bevorzuge brünette oder dunkelblonde Mädchen. Ich mag den Geruch von naturblonden Mädchen nicht. Das erste Mädchen, mit dem ich geschlafen habe, war naturblond. Sie roch und schmeckte nach Baby, ein wenig schleimig und säuerlich.

      Strawinsky fragt mich, ob ich einen Lieblingswitz habe. Mit dieser Frage habe ich nicht gerechnet. Ich überlege und komme zu dem Schluss, dass ein unanständiger Witz vielleicht nicht angebracht ist. Also erzähle ich ihm den jüdischen Witz mit dem Butterbrot. Das fällt runter und landet nicht auf der Butterseite. Das löst große Verwunderung und Verwirrung aus. Auch die philosophischen Betrachtungen des Rabbis können die Sache nicht aufklären. Erst der Ober-Rabbi findet die Lösung: Das Brot wurde auf der falschen Seite geschmiert. Ich weiß, das ist kein Brüller, aber Strawinsky lächelt. Wahrscheinlich aus Höflichkeit. Ich habe den Witz einmal im Kreis von ein paar Mädchen erzählt. Keine von denen hat gelacht. Nicht einmal gelächelt. Ich lege mich auf die Liege.

       Ich würde gerne etwas mehr über Ihren Vater erfahren.

      Das war genau die Frage, die ich hatte vermeiden wollen. Und wo soll ich anfangen?

       Mein Vater war ein Arschloch.

       Können Sie das erläutern?

       Wie viel Zeit haben wir?

       Fangen Sie bitte an.

       Ich weiß wenig von dem, warum mein Vater so war, wie er war. Seine Eltern waren einfache Leute. Die Mutter kam vom Bauernhof irgendwo in Westfalen. Da war es Usus, dass die Mädchen eine anständige Mitgift bekamen, wenn sie den Hof verließen. Davon konnte mein Großvater ein Mietshaus bauen, in dem sie dann alle lebten. Dann bekamen sie diesen Wunderknaben, meinen Vater. Meine Großeltern hatten eine einfache Schulbildung. Ich glaube über die Volksschule sind die nicht hinausgekommen. Ihr Sohn aber erhielt eine Empfehlung fürs Gymnasium. Und dann machte der auch noch das beste Abitur seines Jahrgangs. Auch entpuppte er sich als herausragender Leichtathlet. Auf der Universität gehörte er ebenfalls zu den Besten und seine Professoren sahen in ihm den kommenden führenden Sportwissenschaftler. Dass er damals schon nervenkrank war, passte nicht zum Bild dieses Vorzeigemenschen. Deshalb wurden seine nervliche Probleme einfach unter den Teppich gekehrt und allen anderen, auch meiner Mutter, verheimlicht.

       Nervliche Probleme?

       Ach zum Teufel, ich weiß nicht, welche Krankheit das war. Am Anfang war das wohl nur ein leichter Tremolo, oder die Unfähigkeit, an manchen Tagen seine Hände koordiniert einzusetzen. Das versuchte mein Vater immer, mit festem Willen zu überspielen. Erst die Kriegszeit und vor allem die Gefangenschaft ließen wahrscheinlich die Krankheit voll aufbrechen.

       Haben Sie die nervlichen Probleme beobachtet?

       Ich habe mich schon gewundert, dass ich nie sah, dass er auch nur eine einzige Zeile schrieb. Alles Schriftliche musste meine Mutter erledigen. Seine Unterschrift kritzelte er wie ein Analphabet. Deswegen konnte er auch seine Doktorarbeit nicht zu Ende zu bringen. Auch ans Klavier setzte er sich nie, obwohl es hieß, dass er vor dem Krieg ein exzellenter Klavierspieler gewesen sei. Selbst telefonieren fiel ihm schwer. Er legte den Hörer zur Seite, nahm einen Stift und betätigte damit ungelenk die Wählscheibe. Dann führte er den Hörer unter großen Anstrengungen ans Ohr. Als ich diese Dinge beobachtete, habe ich mir weiter nichts dabei gedacht. Ich bin sowieso meinem Vater, wann immer möglich, aus dem Weg gegangen.

       Konnte Ihr Vater arbeiten?

       Selbstbestimmt schon. Er besaß einen starken Willen und große Überzeugungskraft. Er sah immer sehr gepflegt aus und sprach ein exzellentes Deutsch. Er war damit den meisten Männern deutlich überlegen. Er konnte zwar die Angebote seiner Studien- und Korporationsfreunde, die alle nach dem Krieg Karriere im Schuldienst machten, nicht annehmen. Aber sein enormes Wissen befähigte ihn, Nachhilfe in Schule und Erwachsenenbildung zu geben. Sein Arbeitszimmer und teilweise unser Esszimmer waren jeden Tag proppenvoll mit Schülern, Studenten und anderen Erwachsenen, denen er half, Lücken zu stopfen. Ich glaube, das machte er wirklich gut. Wir wären ja auch sonst verhungert. Meine Mutter hat nach dem Krieg nicht mehr gearbeitet.

       Wie lange hat er sein Arbeitsleben durchgehalten?

       Exakt bis zu seinem 65. Lebensjahr. Dann bekam er Rente und zeitgleich

Скачать книгу