Sonnig mit heiteren Abschnitten. V. A. Swamp

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Sonnig mit heiteren Abschnitten - V. A. Swamp

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abhielt, zur Straße, und er liebte es im Stehen zu dozieren und dabei gelegentlich nach draußen auf die Straße zu schauen. Ich musste deshalb zunächst über den Zaun des Nachbargrundstückes steigen und mich dann seitlich an den Häuserwänden vorbeidrücken, bis ich sicheres Terrain erreichte. Bei diesen Kletterstücken waren natürlich Jeans von Vorteil.

       Ihr Vater kannte demnach bei Ihrer Kleidung kein Pardon?

       Nicht nur bei der Kleidung. Haare gehörten zum Beispiel auch dazu.

      Ich fühle förmlich, wie Strawinsky sich Mühe gibt, meinen etwas wirr erscheinenden Ausführungen zu folgen. Aber er sagt nichts.

       Mein Vater liebte es, seine Haare straff nach hinten und ziemlich gerade bis in den Nacken zu ziehen, sodass seine sich stetig vergrößernden Geheimratsecken und seine hohe Stirn gut sichtbar waren. Diese in seinen Augen akademische Frisur versuchte er auch bei mir durchzusetzen. Sie verstehen vielleicht, dass es unmöglich ist, den Haaren eines Teenagers beizubringen, dass sie sich exakt alle in die gleiche Richtung legen. Nachdem mein Vater gemerkt hatte, dass er nicht über genügend Spucke verfügte, um meine Haare in die gewünschte Richtung zu biegen, kaufte er Pomade. Ich erinnere mich gut. BRYLCREEM hieß das klebrige Zeug. Das roch zwar besser als seine Spucke, aber eklig war es trotzdem. Ich war immer froh, wenn Badetag war und ich das Zeug wieder aus den Haaren rauskriegte.

      Irgendwann, ich glaube, ich war so um die vierzehn, hatte ich die Schnauze voll und war standhaft genug, um mich gegen diesen Brylcreem-Terror zu wehren. Seitdem habe ich mir nie mehr etwas ins Haar schmieren lassen. Ich benutze auch keinerlei Kämme oder Bürsten. Meine Haare lieben diese Freiheit. Deshalb sind die meisten bis heute bei mir geblieben.

       Bitte erzählen Sie mir etwas Gutes über ihren Vater.

      Oh, Strawinsky, das ist schwer, denke ich. Ist es das wirklich? Seine Liebe zur Sprache hat mich geprägt. Sie war mir eine große Hilfe bei meiner Entwicklung. Schlampigkeit war meinem Vater ohnehin ein Gräuel, aber bei der Sprache kannte er kein Pardon. So lernte ich schon früh den richtigen Gebrauch von Grammatik und Wortwahl. Fremdworte setzte mein Vater nur spärlich, dann aber immer zielgenau ein. Aber das interessiert Strawinsky bestimmt nicht.

       Mein Vater war ein großer Liebhaber der Kunst des 20. Jahrhunderts. Ich glaube das einzige Mal, wo er sich gegenüber seinen Nazifreunden den Mund verbrannte war, als er denen seine Meinung über die Naziaktion ENTARTETE KUNST geigte. Er war damals nach München gereist und kehrte empört über dieses Fanal faschistischer Dummheit zurück. Eines Tages zeigte er mir den Katalog zu der Ausstellung, sein Ärger war auch Jahrzehnte nach seinem Ausstellungsbesuch noch nicht verflogen.

       Schon früh schleppte er mich in das Wuppertaler VON DER HEYDT-MUSEUM. Das ist für mich auch heute noch eines der schönsten Kunstmuseen der Welt. Natürlich finden sich in Berlin, Paris, London, New York und so weiter viel bedeutendere Sammlungen. Ich habe sie fast alle gesehen. Aber nirgendwo findet man so viel Übersichtlichkeit und pädagogisch sowie künstlerisch gestaltete Harmonie. Mein Vater zeigte mir die Meisterwerke des Impressionismus, des Expressionismus und der klassischen Moderne. Der Mann kam regelrecht ins Schwärmen, wenn er versuchte, mir Bildaufbau oder Farbwahl oder andere Details nahe zu bringen. Wenn mein Vater mir ein Bild erklärte oder mir etwas über den Künstler erzählte, war er ein anderer Mensch. Dann war er nicht der strenge Pädagoge, der von seinen Schülern Höchstleistungen verlangte, sondern ein sanfter Vermittler, der die Leistungen von Künstlern gar nicht hoch genug einschätzen konnte.

      Ich muss daran denken, wie mein Vater mich als Zehnjährigen mit nach Düsseldorf zur Messe „ALLE SOLLEN BESSER LEBEN“ mitnahm. Das war, glaube ich, die erste große bedeutende Wirtschaftsmesse, die nach dem Krieg in Deutschland stattfand. Ich erinnere mich an den GLÄSERNEN MENSCHEN im Eingangsbereich. Da konnte ich zum ersten Mal in meinen Körper schauen. Das fand ich ungemein faszinierend.

       Ihr Vater hatte demnach auch positive Seiten?

       Warten Sie ab, ich erzähle Ihnen noch eine andere Geschichte. Mein Vater war der unpünktlichste Mensch, den ich mir vorstellen konnte. Er hat es zum Beispiel nie rechtzeitig zum Zug, mit dem wir jedes Jahr in die Ferien fuhren, geschafft. Meist kam er erst am nächsten Tag, manchmal auch Tage, einmal sogar zwei Wochen später. Seine Rentenmarken, die er eigentlich monatlich hätte kaufen müssen, kaufte er grundsätzlich en bloc erst am letzten Wochentag des Jahres und dann knapp vor Schalterschluss. Das geschah so jedes Jahr. Zu keiner Verabredung erschien er pünktlich. Ich weiß nicht, ob das etwas mit seiner Krankheit zu tun hatte. Es hat uns jedenfalls alle furchtbar genervt.

       Als ich zwölf war, nahm mein Vater mich mit zu einer Messe in Essen. Es war der letzte Ausstellungstag und wir waren, wie üblich, viel zu spät mit dem Bus gestartet. Als wir endlich die Ausstellungshallen erreichten, hatten wir gerade noch anderthalb Stunden für den Messebesuch. Das sparte meinem Vater die Eintrittskosten, und immer, wenn er etwas sparen konnte, freute ihn das unbändig. Wir hetzten durch die Hallen wie die Blöden. Etwa eine halbe Stunde nach Ausstellungsschluss wurden wir per Lautsprecher letztmalig aufgefordert, die Messe zu verlassen. Mein Vater brachte mich zu einem der Ausgänge, befahl mir zu warten und versprach gleich wiederzukommen. Er wollte sich unbedingt noch etwas anschauen. Ich weiß nicht, was es war, aber es muss etwas sehr Bedeutendes gewesen sein.

       Ich stand mir die Beine in den Bauch. Ich sah die Aussteller und ihre Gehilfen Exponate raus schleppen, es wurde dunkel. Wer nicht kam, war mein Vater. Ich wusste zwar meine Wohnadresse, hatte aber keinen Pfennig in der Tasche, weil mein Vater mich stets finanziell kurz hielt. Nach etwa zwei Stunden kam eine Frau vom Roten Kreuz und nahm mich mit in das Rote Kreuz Zelt, welches noch nicht abgebaut war. Ich hoffte, irgendwie nach Hause zu kommen. Kurz vor Mitternacht kam mein Vater. Er bedankte sich bei den „Rote Kreuz Leuten“ ohne diesen oder mir eine Erklärung für sein Verhalten anzubieten und wir fuhren mit dem letzten Bus nach Hause.

       Meine Mutter war in heller Aufregung. Wenn wir damals ein Telefon gehabt hätten, sie hätte mit Sicherheit die Polizei verständigt. Aber mein Vater schwieg. Er glaubte immer, meiner Mutter keinerlei Rechenschaft schuldig zu sein. Er hat übrigens meines Wissens nie seine Frau oder meinen Bruder in Museen oder zu anderen Ausstellungen mitgenommen. Ich weiß nicht, warum ich es war, der unter seiner ständigen Beobachtung stand und den er meinte, besonders fördern zu müssen.

      Ich bin ziemlich müde, aber eine Geschichte fällt mir noch ein.

       Ich möchte Ihnen noch eine Geschichte erzählen, die mir gerade einfällt. Mein Vater hatte mich zu einem Spaziergang mitgenommen, um mit einem befreundeten Sportwissenschaftler irgendein Problem zu diskutieren. Ich wusste nicht, über was die beiden redeten, es war mir auch egal und ich trottete lustlos nebenher. Dann stockte das Gespräch der beiden. Mein Vater suchte krampfhaft nach dem Namen eines Wissenschaftlers, über den er sprechen wollte. Ich spuckte den Namen aus. Beiläufig und ohne nachzudenken. Ich hatte den Namen vorher noch nie bewusst gehört oder gelesen. Ich weiß nicht, wie ich in diesem Moment darauf kam. Mein Vater war ganz aus dem Häuschen. Er schwadronierte, dass sein Sohn eben sein Sohn sei und sich jetzt schon für seine Themen interessiere. Er glaubte tatsächlich, dass ich sein Medium sei. Wir hatten schon eine sehr merkwürdige Beziehung.

      Ich fühle mich sehr schlapp und kraftlos. Wahrscheinlich liegt das an Strawinskys Liege oder an seinen Fragen …

      Mein Bruder, die Nervensäge

      Ich blicke auf SCHÖNSTE HÄNDE. Ich versuche herauszufinden, ob sie verheiratet ist oder zumindest einen Freund hat. Aber sie geht auf meine Fragen nicht ein und tut so, als wenn sie mich nicht verstehen

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