Sonnig mit heiteren Abschnitten. V. A. Swamp

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Sonnig mit heiteren Abschnitten - V. A. Swamp

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der zweite Mann meiner ersten Ehefrau, als auch der Mann meiner dritten Ehefrau umgebracht hatten, zeigte er dafür keinerlei Verständnis. Selbstmörder waren für ihn schwache, lebensunfähige Gestalten. Das passte wahrscheinlich nur so in sein nationalsozialistisches Weltbild von den starken, lebenstüchtigen Ariern. Auf einmal war das alles vergessen, und er versuchte sich mehrmals selbst das Leben zu nehmen. Ich habe das einmal beobachtet, als er an den blanken Drähten einer abmontierten Deckenleuchte in der Waschküche rumfummelte. Er war handwerklich eine hundertprozentige Niete und auch in seinen Selbstmordversuchen zeigte sich sein gesamtes Ungeschick. Ich hatte jedenfalls Zweifel, ob man das wirklich ernst nehmen konnte. Er kam dann in ärztliche Behandlung und ich habe ihn kurze Zeit vor seinem Tode noch einmal in den Heilstädten; in denen er letztlich verstarb, besucht. Aus ihm war eine jämmerliche Gestalt geworden, die nichts mehr mit dem hagestolzen, herrischen Mann, der einmal mein Vater war, zu tun hatte.

      Ich mache eine Pause, um Strawinsky Gelegenheit für eine Frage zu geben. Aber er schweigt. Wahrscheinlich ist er eingeschlafen. Ist ja auch keine spannende Geschichte, die ich ihm da erzähle. Nach dem Tod meines Vaters begann das große Reinemachen. Meine Mutter und meine Großmutter entsorgten mithilfe meines Bruders die wissenschaftlichen Unterlagen meines Vaters. Es waren Hunderte von Büchern und Tausende von Zeitschriften aus der Sportwissenschaft. Ich war zu dieser Zeit schon zwei Jahrzehnte in Berlin. Mein Bruder fand im Nachlass meines Vaters die von ihm vor dem Krieg begonnene Doktorarbeit. Er übergab mir die verstaubte, vergammelte Ledermappe und ich hob sie auf, bis ich selbst in Rente ging. Als ich die Mappe dann öffnete, sah ich, dass irgendwer nach dem Krieg seine Manuskripte sauber abgetippt hatte. Die Arbeit war gut lesbar. Er hatte sie immer wie einen besonderen Schatz gehütet. Ich weiß, dass er mehrfach von Wissenschaftlern um Einsicht in die Arbeit gebeten wurde. Er hat sich stets geweigert. Ich weiß nicht, ob er meinem Handeln zugestimmt hätte, wahrscheinlich eher nicht. Ich habe mir die Arbeit vorgenommen, diese überarbeitet, fehlende Texte ergänzt und posthum unter seinem Namen veröffentlicht. Damit ist mein Vater dann doch noch in die Sportgeschichte eingegangen. Das muss ich Strawinsky aber nicht unbedingt erzählen.

       Warum bezeichnen Sie Ihren Vater als Arschloch?

       Weil er von Kindererziehung nichts verstand und Liebe sowie Zuneigung für ihn Fremdworte waren. Weil er mir immer Angst einflößte. Weil er sich immer selbst zum Maßstab aller Dinge erhob und allen anderen, vor allem mir, die Luft zum Leben nahm.

       Die Luft zum Leben?

       Ich bin in einer freudlosen Familie aufgewachsen. Gefeiert wurde so gut wie nie. Feiertage wie Weihnachten waren immer eine Katastrophe, weil der Krach zwischen meinen Eltern meist schon einige Tage vorher begonnen hatte. Die Anlässe waren immer nichtig. Streit über die Auswahl der Geschenke zum Beispiel. Streit über die Art und Größe des Christbaumes, die Farbe der Tischdecke oder, wie meine Mutter zu sagen pflegte, über die Fliege an der Wand. Jeder Anlass war willkommen, um das Fest in einen Ort handfesten Familienkrachs zu verwandeln. Ich wäre gestorben, hätte ich nicht meine Großmutter gehabt.

       Ihre Großmutter?

      Meine Großmutter konnte meinen Vater nicht leiden, und da es ihr Haus war, in dem wir wohnten, konnte sie ihm gegenüber auch ihre Giftzähne ausfahren. Das hat sie oft auf subtile Weise gemacht.

       Was tat sie?

      Strawinsky klingt auf einmal sehr lebendig.

      Indem sie mir zum Beispiel Weihnachtswünsche erfüllte, die mein Vater als unnötig, schädlich oder eben als reine Geldverschwendung betrachtete. Indem sie zum Beispiel mir später in ihren Räumen das Rauchen erlaubte, was mein Vater mir unter Androhung schwerster Strafen immer verboten hatte. Meine Großmutter war mein Refugium und ich verbrachte viele Nachmittage und Abende in ihrem völlig überheizten Wohnzimmer. Ich habe nicht oft in meinem Leben geweint, aber als sie starb, war das für mich einen Moment lang das Ende der Welt.

       Viele Menschen haben ein Problem mit Weihnachten. Vielleicht wollte Ihr Vater lieber die Geburtstage feiern.

      Ich muss mich zusammenreißen. Am liebsten würde ich laut losbrüllen, vor Lachen.

       Mein Vater mochte weder Weihnachten noch Geburtstage. Die Geburtstage meiner Eltern wurden nie gefeiert, die von uns Kindern nur marginal. Deshalb war es für mich auch keine Überraschung, dass ich zu meinem zehnten Geburtstag außer dem obligatorischen Kuchen und ein paar Süßigkeiten nichts bekam. Das war für mich ohnehin angenehm, da musste ich mich nicht bedanken. Mein Vater war an diesem Tag wie üblich spät aufgestanden. 11 Uhr morgens war so seine normale Zeit. Danach hielt er sich mindestens zwei Stunden im Bad auf. Ich wusste nie den Grund für diesen ungewöhnlichen Tagesanfang, es war mir auch egal. Erst als Erwachsener erfuhr ich von meiner Mutter, dass das auch mit seiner Krankheit und mit seinen Händen zu tun hatte. Er konnte sie nur unter großen Mühen zur Pflege seines Körpers einsetzen.

       Nachdem er an jenem Tag mit dem Bad fertig war, wies er mich an, mir ein Einkaufsnetz zu schnappen und ihm zu folgen. Das fand ich ungewöhnlich. Ich war bis dahin nie mit meinem Vater einkaufen gegangen. Er kaufte auch selbst niemals Lebensmittel ein. Dafür hatte er meine Mutter und später dann auch mich. Mein Bruder verstand es schon von klein auf, sich aus allem Familiären rauszuhalten. Ich konnte mir zunächst keinen Reim auf das Ganze machen. Ich stellte aber meinem Vater grundsätzlich keine Fragen. Entweder er dozierte oder er belehrte mich. Präzise Antworten auf meine Fragen hätte ich ohnehin nicht bekommen. Wir marschierten jedenfalls in die Stadt und ich fragte mich, was ich in das Einkaufsnetz hinein packen würde. Dann fand ich mich plötzlich in einem Fahrradladen wieder. Das Fahrrad war bereits fertig montiert und bezahlt und wartete nur noch auf das Geburtstagskind. Das war das einzige Mal, wo mein Vater sich Mühe gab, mich zu meinem Geburtstag zu überraschen.

       Dafür hassten Sie Ihren Vater?

       Dafür sicher nicht. Aber für seinen Absolutheitsanspruch, den er ständig versuchte, bei mir durchzusetzen.

       Absolutheitsanspruch?

       Mein Vater legte stets großen Wert auf sein Äußeres. Aber jedwede Modetrends gingen an ihm spurlos vorbei, und er dachte auch nicht daran, diese bei uns Kindern zuzulassen. Er hatte, was Art und Farbe seiner Klamotten anging, ganz spezielle Kriterien, die allerdings niemand außer ihm kannte. Einzig sein Markenzeichen am Strand war relativ leicht zu entschlüsseln. Seine Badehose kannte nur eine Farbe, gelb. Er besaß mehrere davon, sodass er nicht Gefahr lief, einmal auf eine andere Farbe ausweichen zu müssen. Ansonsten zeichnete er sich dadurch aus, dass er grundsätzlich den Geschmack anderer Leute, also auch unseren und jedweden Zeitgeschmack, kritisierte und ablehnte. Er bestritt, dass überhaupt jemand außer ihm über Geschmack verfügte. Er hat auch niemals ein Geschenk behalten, sondern immer zeitnah umgetauscht. Meistens bekam er nicht das Geld zurück, sondern einen Gutschein. Ich glaube er hatte eine ganze Sammlung davon, weil es meistens vergaß, die Gutscheine einzulösen.

       Ihr Vater bestimmte demnach, wie Sie sich anzuziehen hatten?

       Als bereits unsere halbe Klasse Jeans trugen, war mir das nicht gestattet, weil nach Meinung meines Vaters Jeans kein geeignetes Beinkleid für mich waren, sondern ausschließlich irgendwelchen Proleten vorbehalten waren. Das war keine ihm ebenbürtige Klasse. Ich schaffte es natürlich, mir eine Jeans zu besorgen und diese im Keller in der Waschküche zu verstecken. Aber die Nutzung dieser Jeans war ganz schön kompliziert. Ich verließ zunächst die Wohnung im oberen Stockwerk des Hauses in meiner unmodischen Hose, ließ unten zum Schein die Haustüre laut zufallen und schlich mich anschließend in den Keller. Dort tauschte ich die Hosen und verließ konspirativ das Haus über die äußere Kellertreppe. Danach bestand immer noch die Gefahr,

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