Die Erbschaft. Elisa Scheer
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„Sie hat also die besseren Gene? Ist es, weil sie jünger ist? Oder aus einer feineren Familie? Oder weil sie ihr Studium abgeschlossen hat? Vielleicht sieht sie auch besser aus?“
„Nein! Doch – ich weiß es nicht. Es ist alles zusammen und noch vieles andere. Sie ist so stilvoll, sie ist die Frau, die zu mir passt. Ich werde sie so bald wie möglich heiraten. Ach, Sarah, es tut mir Leid, aber - “
„Du musst nichts mehr sagen“, unterbrach ich ihn, ganz benommen vor Zorn, stand auf und sah auf die Uhr. „Gib mir nur eine Stunde Zeit, ja? Du kannst sie ja schon mal anrufen.“
„Bitte? Sarah, ich verstehe dich nicht! Wo gehst du hin?“
Ich schritt rasch in die Abstellkammer, wo ich in der Ecke hinter Christians elegantem Kofferset meine drei ineinander gerollten Reisetaschen entdeckte, in einer steckt sogar noch ein muffiges Necessaire. Ich fegte im Badezimmer meine sämtlichen Kosmetika in das Necessaire – außer dem Parfumrest, der war Christians Weihnachtsgeschenk gewesen - und zerrte den Morgenmantel so heftig vom Haken, dass die seidene Schlaufe mit einem hässlichen Geräusch riss. Ein kontrollierender Blick – nein, keine Spuren. Doch! Ich nahm mein Handtuch und warf es in die Schmutzwäsche, nachdem ich einiges von meiner Wäsche dort wieder herausgefischt hatte. Das Bad konnte die stilvolle Charlotte schon mal benutzen, ohne an die proletarische Vergangenheit erinnert zu werden.
Weiter, ins Schlafzimmer. Reisetasche auf! Ein Fach Unterwäsche, fünf Blusen, drei Kostüme, alles wanderte verknüllt in die Reisetasche, darauf einige Jacken und Pullover, Röcke, obendrauf die vier Paar Schuhe, die Stiefel und das zusammengerollte Samtabendkleid. Ein Kostüm ließ ich hängen, das hatte Christian mir geschenkt. Zerstreut kontrollierte ich die Schublade auf meiner – ehemals meiner – Bettseite. Immerhin, meine Nagelfeile und meine Pinzette.
„Du wirst alles verknittern. Reagierst du jetzt nicht ein bisschen überzogen?“
„Dann verknittert es eben. Irgendwo gibt es schon eine Gelegenheit, das Zeug wieder aufzuhängen. Das geht dich ja nun nichts mehr an. Und was heißt hier überzogen? Wie sollte ich denn sonst reagieren? Ich räume das Feld, um der stilvollen Charlotte nicht im Weg zu sein. Ruf sie schon an und sag ihr, in einer halben Stunde kann sie kommen, dann sind alle Spuren von mir beseitigt. Das Bett ist ohnehin frisch bezogen, ihr könnt euch gleich austoben.“
Ich zog das graue Cocktailkleid vom Bügel, überlegte kurz und ließ es verächtlich auf den Boden des Kleiderschranks fallen, dann ging ich zu dem ledernen Schmuckkästchen und wühlte darin herum, bis ich das Aquamarinherz gefunden hatte, das Mutti mir zum Abitur geschenkt hatte. Ich ließ es an der goldenen Kette zwischen meine Schminksachen gleiten und stellte das Kästchen ansonsten wieder beiseite, danach zog ich im Vorbeigehen mein Foto aus Christians Silberrahmen und stopfte es achtlos zwischen die Klamotten.
„So geht es doch kaputt“, zeterte Christian.
Ich fuhr herum. „Na und? Das werfe ich doch sowieso weg. Ich weiß, wie ich aussehe, die stilvolle Charlotte will es bestimmt gar nicht wissen, und du brauchst ja wohl kaum eine Erinnerung an fünf vergeudete Jahre!“
„Die waren doch nicht vergeudet!“, protestierte er matt und dackelte hinter mir her ins Wohnzimmer.
„Ach nein? Na gut, irgendwie musstest du dir beim Warten auf die Richtige ja die Zeit vertreiben, was?“
„So war es doch gar nicht! Sarah, warum bist du so bösartig?“
„Ich hab´s nicht so gerne, wenn ich nach fünf Jahren schlagartig durch ein komfortableres Modell ersetzt werde. Da wird man eben etwas ungehalten. Ich bin ja gleich aus deinem Leben verschwunden, beruhige dich wieder.“
Ich räumte meine Bücher in die nächste Reisetasche und fischte drei CDs, die eindeutig mir gehörten und immer schon gehört hatten, aus dem eleganten Chromgestell. Dann zog ich mein Fotoalbum aus dem Regal. Christian hielt es fest. „Da sind auch Bilder von mir drin!“
Ich nahm es ihm aus der Hand und legte es auf den Tisch, dann riss ich sorgfältig die Seiten mit seinen Fotos hinten heraus und reichte sie ihm. „Die Erinnerungen an meine stillose Kindheit werde ich ja wohl behalten dürfen.“
Das Album fiel in die Reisetasche. Gehörte mir hier sonst noch etwas? Nein, alles war Christians oder gehörte uns zusammen, es hatte keinen Zweck, es auseinander zu reißen. In der Küche schnappte ich mir meinen Laptop und schob ihn in die dritte Reisetasche. Ach ja, meine paar Disketten und CDs! Und den Ordner mit meinen persönlichen Papieren. Da war auch mein lächerliches Sparbuch drin. Die Lebensmittel hatte ich zwar bezahlt, aber deshalb konnte ich sie ja kaum alle mitnehmen. Na gut, die Schokolade.
„Warum nimmst du die denn mit?“
„Weil ich sie heute gekauft habe“, antwortete ich mechanisch und ließ die drei Tafeln in meine Reisetasche fallen.
„Soviel Schokolade ist nicht gut für dich.“
„Sag bloß? Charlotte hat wohl eine elegante, adelig schmale Figur, ja? Abgesehen vom Babybauch natürlich. Geh mir aus dem Weg.“
Keine Tasche war richtig voll – dass ich so wenig besaß, hätte ich auch nicht gedacht. Den Blick nach innen gerichtet, stand ich im Hausflur. Hatte ich noch etwas vergessen? Was gab es hier noch? Etwas Schrott im Keller, den konnte er ja wohl selbst in den Müll werfen. Christian folgte mir aus der Küche. „Sarah, was soll das denn? Ich hab doch mit keinem Wort gesagt, dass du so Knall auf Fall gehen sollst!“
„Nein, stimmt. Und was hast du dir so gedacht? Soll ich ins Gästezimmer ziehen und für das junge Glück den Haushalt machen? Und die Buchführung? Die Billys im Keller kannst du behalten. Ach ja – und die Sache mit den Holzeiern kann die stilvolle Charlotte selbst erledigen.“
„Was soll das heißen?“
„Ich fasse deine Eröffnung nicht nur privat als fristlose Kündigung auf. Oder hast du gedacht, ich mache morgen wie immer die Buchhaltung und rede dich jetzt mit Sie an? Christian, du bist wirklich ein Idiot, du kannst doch nicht alles haben. Die stilvolle Charlotte hat sicher auch keine Lust, deinen Exbetthasen im Vorzimmer sitzen zu haben.“
„Du warst nicht mein Betthase!“
„Nein, so wild was das alles nicht, du hast Recht. Eher die Haushälterin und die Mindestlohnangestellte. Aber was du an meinem Gehalt gespart hast, kannst du jetzt ja verwenden, um Charlotte ein stilvolles Leben zu bieten. Vielleicht passt ihr sogar das Cocktailkleid, wenn sie erstmal deinem stilvollen Erben das Leben geschenkt hat.“
Ich stellte die Reisetaschen ab, zog meinen Mantel an, hängte mir den Schal lose um den Hals und zog meinen Schlüsselbund aus der Handtasche. Als ich den schweren Ring aufgehakt hatte, löste ich einige Schlüssel ab. „Hier – Schreibtisch im Büro – Bürotür – Wohnung – Keller. Schick meine Lohnsteuerkarte und sonstige Unterlagen an Coras Adresse, sie wird es mir zukommen lassen.“
Christian blinzelte etwas dümmlich auf die losen Schlüssel in seiner Hand. Ich nahm meine Taschen auf und öffnete die Wohnungstür. Mit der freien Hand riss ich die Visitenkarte von dem hochglanzpolierten Messingschild und wandte mich noch einmal um. „Sollte Post kommen, was ich nicht glaube, dann schick sie bitte auch an Cora. Leb wohl.“
„Sarah, warte! Können wir uns nicht im Guten trennen?“ Er stand in der offenen Wohnungstür, ich war schon einige Stufen tiefer. „Hast du das im Ernst geglaubt? Ich finde, ich habe sehr verständnisvoll reagiert, widerspruchslos