Diamanten aus Afrika. Manfred Rehor

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Diamanten aus Afrika - Manfred Rehor

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in Begleitung mehrerer Männer, die weit unter seinem Stand waren; Typen, die Benjamin dank seiner Erfahrung auf dem Rummel als Schläger und Ganoven eingestuft hatte. War der Graf damals auch gerade von seiner Reise zurückgekehrt?

      Benjamin blätterte weiter und fand den Teil mit den Veranstaltungshinweisen. Mit dem Finger auf der Seite ging er die vielen kleinen Einträge durch, bis er einen interessanten fand: Ein Kinderjahrmarkt fand statt, mit Zwergen, Tieren und starken Männern. Die Anschrift kannte Benjamin noch aus seinem letzten Aufenthalt in Berlin: ein Eckgrundstück in einem der ärmeren Bezirke der Stadt. Damals waren sein Freund Muck und dessen Mutter dort aufgetreten. Der kleine Muck, der eigentlich Burkhard hieß, und seine Mutter Jedah kannte Benjamin seit seinen Kindertagen.

      Mit der Zeitung in der Hand ging Benjamin zurück zum Empfangschef. „Kann ich die behalten?“

      „Selbstverständlich! Falls Sie es wünschen, abonnieren wir für Sie das Blatt für die Zeit Ihres Aufenthalts, so dass Sie es täglich während des Frühstücks lesen können. Oder wäre Ihnen die Abendausgabe lieber? Oder beide?“

      „Nein, danke. Haben Sie eigentlich schon von Graf von Wolfer gehört, über den in diesem Artikel geschrieben wird?“ Benjamin zeigte ihm den Text und das Bild.

      „Er war nie Gast unseres Hauses. Aber sein Name ist mir selbstverständlich bekannt. War er nicht einige Jahre lang Bismarcks Berater in Fragen der Kolonialpolitik? Ich bin mir nicht sicher, kann aber gerne Erkundigungen einziehen, falls Sie dies wünschen.“

      „Nicht nötig. Ich gehe gleich weg, ich bringe nur die Zeitung hoch.“

      „Aber nicht doch!“, hielt ihn der Empfangschef auf. Er winkte einen Pagen heran und wies ihn an, die Zeitung in die Suite des Herrn Liersch zu bringen. Benjamin gab ihm noch einmal ein Trinkgeld, bevor er das Hotel verließ. Er fühlte sich, als wäre er einer Falle entronnen.

      Es regnete nur noch leicht, als er sich auf die Suche nach der richtigen Pferdetram machte. Den Empfangschef danach zu fragen, scheute er sich. In dem Dreiviertel Jahr, das er nicht in Berlin gewesen war, hatte sich nicht viel geändert. Er fand die Tram, die ihn in die Nähe des Rummelgeländes brachte. Dort stieg er um in einen Pferdeomnibus. Die letzten paar hundert Meter ging er zu Fuß, bis er das Gelände vor sich sah. Mit fachmännischem Blick musterte er den Rummelplatz.

      Das Gelände bestand nach wie vor nur aus einer lehmigen Fläche, die nach dem starken Regen nichts als Matsch war. Man hatte deshalb alte Bretter als Fußwege zwischen die Buden gelegt, aber kaum ein Besucher war auf dem Platz. An Attraktionen gab es die üblichen Fahrgeschäfte und Imbissstände, einen Zauberer, ein Puppentheater, einen ‚stärksten Mann der Welt‘ und ‚die lustigen Zwerge aus den Höhlen Norwegens‘. Das waren Muck und seine Mutter! Benjamin jauchzte laut auf vor Freude.

      Doch auf den zweiten Blick bemerkte er, dass auch einiges fehlte. Die Monstrositätenschau mit den dicken Frauen, zum Beispiel. Bei so einer hatte Benjamins beste Freundin während seiner Rummelzeit gearbeitet, die dicke Rosalinde. Vielleicht hatte sie den Absprung geschafft und war nun dabei, abzunehmen; hoffentlich unter der Aufsicht eines Arztes, denn Rosalinde war wirklich sehr, sehr dick gewesen.

      Ein kleines Zelt schließlich, das am Rand des Platzes stand, dort, wo es zu den abgestellten Wohnwagen und den Ställen für die Pferde ging, erinnerte Benjamin an seine eigene Vergangenheit. Er hatte den Sohn eines afrikanischen Stammeshäuptlings dargestellt. Als solcher hatte er für die Besucher Kriegstänze aufgeführt und den Kindern erfundene Geschichten aus der afrikanischen Steppe und den unendlichen Dschungeln erzählt. Deshalb war das Zelt, das er damals mit dem Gauner Grabow betrieben hatte, entsprechend auf exotisch dekoriert gewesen. So wie dasjenige, das dort stand, nur viel größer. Allerdings war vor diesem Zelt ein weithin sichtbares Schild ‚Geschlossen!‘ angebracht.

      Langsam ging Benjamin weiter. Er freute sich auf Muck, und vielleicht war der ‚stärkste Mann der Welt‘ sein alter Freund Herkules. Aber gleichzeitig fühlte er Angst davor, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Viel war seither geschehen. Bei seinem Vater und ihm in London, aber sicherlich auch bei seinen Freunden vom Rummel.

      Hinter sich hörte er eine Frauenstimme, die laut seinen Namen rief. Er drehte sich um und sah Mucks Mutter, eine kleinwüchsige Artistin, die vom Einkaufen kam. Sie ließ ihre Einkaufstasche fallen und lief auf ihren kurzen Beinen auf ihn zu, die Arme ausgebreitet zur Begrüßung.

      Benjamin auf dem Rummelplatz

      Benjamin sah sich das Zelt an, in dem Saban einige Tage lang aufgetreten war, und es kamen ihm beinahe die Tränen. Seine Kindheit fiel ihm wieder ein, die vielen Auftritte gemeinsam mit seinem Ziehvater, dem Gauner Friedrich Grabow. Jeden Tag Vorstellungen, fast jeden Tag Prügel, und das Jahr für Jahr.

      Benjamin musste sich zwingen, daran zu denken, dass Grabow tot war und ihm nichts mehr tun konnte. Nun lebte Benjamin bei seinem wahren Vater, dem Legationsrat Liersch, in London und war nur zu Besuch in Berlin. Er war zu Besuch auf dem Rummel, aber er war kein Besucher wie jeder andere: Alle hier kannten ihn! Auf jedem Schritt wurde er begrüßt, bekam anerkennende Klapse auf die Schulter und Komplimente zugerufen wie: „Du siehst viel erwachsener aus, wie ein echter englischer Gentleman!“

      Muck führte ihn herum und erzählte, was in dem Jahr seit Benjamins Weggang geschehen war, bevor er auf Saban zu sprechen kam. „Er ist ohne ein Wort zu sagen verschwunden“, berichtete Muck. „Ich hatte ihn anders eingeschätzt, besonders, weil er ein Freund von dir ist.“

      „Eigentlich befreundet sind wir nicht“, schränkte Benjamin ein. „Wir sind uns nur einmal in Hamburg begegnet. Vielleicht hat ihm das Schaustellergewerbe nicht zugesagt. Die Zuschauer können ziemlich gemein sein.“

      „Glaube ich nicht, er hat nur Kindervorstellungen gegeben. Ein richtiges Programm wollten wir erst erarbeiten.“ Muck druckste eine Weile herum, bevor er weitersprach. „Wir haben jetzt ein klitzekleines Problem“, brach es schließlich aus ihm heraus.

      „Bei dessen Lösung ich dir helfen soll“, vermutete Benjamin.

      „So ist es. Breitmann hat nämlich Sabans Veranstaltung auf unsere neuen Plakate drucken und an Litfaßsäulen kleben lassen. Als zusätzliche Attraktion, um mehr Besucher anzulocken. So toll läuft es nämlich im Moment nicht, es ist nicht die Jahreszeit dafür, nach den Frühlingsfesten und vor den großen Sommerveranstaltungen.“

      „Weiß ich. Du meinst, ich soll Sabans Rolle übernehmen und wieder auftreten?“ Benjamin schüttelte sich bei dem Gedanken. „Nein. Wirklich, ich würde dir gerne helfen, aber das kannst du nicht erwarten.“

      „Schade“, sagte Muck leise. „Hätte ja sein können.“

      Schweigend gingen sie weiter. Es fiel Benjamin auf, dass Muck einen Weg wählte, bei dem sie zunächst an dem nun leeren Afrikazelt und dann erst am Zelt der Zwerge und dem des stärksten Mannes der Welt vorbeikamen. Herkules stand in seiner Verkleidung – Lendenschürze, falsches Löwenfell über der Schulter und eine riesige Keule in der Hand – vor dem Zelt. Er ließ die Keule fallen, als er Benjamin sah, stürzte auf ihn zu, umarmte ihn und hob ihn mühelos in die Höhe. „Du bist wieder da!“, rief er. „Jetzt wird alles gut.“

      „Ich freue mich auch, Herkules“, keuchte Benjamin, dem der starke Mann in seiner Freude fast die Luft ausquetschte. „Bitte lass mich wieder herunter.“

      Herkules war stark, aber nicht der Hellste. Er war Benjamin immer ein treuer Freund gewesen und hörte auf ihn.

      „Was wird alles gut?“, fragte Benjamin nach, als er wieder auf eigenen

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