Gerrit aus Neukölln. Manfred Rehor

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Gerrit aus Neukölln - Manfred Rehor

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Joe“, schwindelte Gerrit. „Ich wollte nur Janine diesen Brief von meinem Vater zeigen.“

      „Na, dann kommt doch mit in die Kiezmäuse, ich muss sowieso mit euch reden.“

      Da gab es keine Widerrede. Joe Kürer war das bewunderte Vorbild von Gerrit. Joe war groß, hatte lange, gewellte Haare und den dazu passenden Rauschebart. Wie es sich gehörte, wölbte sich auch ein ziemlicher Bierbauch unter seinem T-Shirt. Er trug eine Lederjacke, die Jahrzehnte alt sein musste. Dazu eine amerikanische Sonnenbrille mit dicken Gläsern und Cowboy-Boots. Joe war nämlich, wie er tausend Mal am Tag erzählte, ein Biker. Oder jedenfalls einer gewesen. Bis die verdammten Kurpfuscher von Ärzten seine Wirbelsäule nach einem Unfall ruiniert hatten. Seitdem musste er das Motorradfahren bleibenlassen.

      Leider war Joe außerdem Sozialarbeiter und von daher eine ziemliche Nervensäge. Sonst hätte Gerrit nichts dagegen gehabt, den ganzen Tag bei Joe im Jugendtreff Kiezmäuse zu verbringen.

      Gerrit und Janine waren oft dort, weil es beide - aus unterschiedlichen Gründen - zu Hause nie lange aushielten. Seit sich Rosa mit Mickey eingelassen hatte, waren die Kiezmäuse zu Gerrits zweiter Heimat geworden.

      Der Namen Kiezmäuse klang entschieden zu niedlich für ein Jugendcafé. Aber da Joe ihn sich ausgedacht hatte, protestierte keiner der Jugendlichen dagegen. Zur Straße hin war es ein Café mit ein paar Automaten mit Cola und heißen Getränken. Weiter hinten befanden sich die großen Tische. An denen konnten Schulkinder nach dem Unterricht ihre Hausaufgaben machen oder spielen. Das war ein Bereich, der überwiegend von türkischen Mädchen beherrscht wurde, während vorne die Jungs dominierten.

      Joe ließ die Jugendlichen frei gewähren, solange sie keinen Ärger verursachten. Und zwar weder im Café noch in dessen Umgebung. Er hatte ihnen mehr als einmal klar gemacht, dass die Existenz der Kiezmäuse auch von der Toleranz der Nachbarn abhing.

      Natürlich gab es noch mehr Sozialarbeiter in den Kiezmäusen, auch Frauen, die den Betrieb aufrecht hielten. Aber die spielten eigentlich keine Rolle. Für Gerrit nicht und auch für die anderen Besucher des Jugendcafés nicht. Für sie waren die Kiezmäuse und Joe ein und dasselbe.

      In den Kiezmäusen setzten sich die drei um einen Tisch im vorderen Teil. Joe zeigte auf Gerrit: „Was ist denn mit deinem Gesicht passiert?“

      „Ich bin gestolpert.“

      „Erzähl!“, forderte Joe und sah ihn erwartungsvoll an.

      „Es gibt nichts zu erzählen.“ Gerrit saß da und wusste, dass er wie ein trotziges Kind wirkte, aber er konnte nichts dagegen tun. Es war schwer genug, Joe etwas zu verheimlichen. Aber dann auch noch so tun, als wäre nichts, dazu reichten seine Verstellungskünste nicht.

      „Dann erzähle ich euch etwas. Wird euch interessieren. Einverstanden?“ Das war der typische Sozialarbeiter-Tonfall.

      Bei Joe sagte man nicht nein. Also nickte Gerrit ergeben, auch wenn ihm der Brief seines Vaters in der Tasche brannte.

      „Man kann es nicht leugnen“, fuhr Joe fort, „Neukölln ist nicht gerade ein vornehmer Bezirk. Aber das wisst ihr besser als ich. Wo Menschen wenig haben, sind sie besonders anfällig für Versuchungen. Zum Beispiel, um auf nicht ganz legalem Weg an etwas Wohlstand zu kommen. Ist auch verständlich, aber eben nicht in Ordnung. Und dann sind da diejenigen, die das ausnutzen. Es gibt hier in der Gegend miese Typen, die sich für die Größten halten und andere die Schmutzarbeit machen lassen. Kennt ihr bestimmt auch welche.“

      Gerrit schüttelte möglichst überzeugend den Kopf. Janine nickte schüchtern.

      „Ach, nie gesehen?“ Joes Tonfall machte klar, was er von Gerrits Verstocktheit hielt: Nichts. „So Angeber mit Goldkettchen und dickem Auto? Gerrit, man könnte glauben, du läufst blind durch die Gegend. Diese Typen machen alles, was Geld bringt. Hehlerei, Drogen, solche Sachen.“

      „Na, und?“, fragte Gerrit scheinbar unbeteiligt.

      „Wer da mitmacht, ist immer der Dumme. Denk mal drüber nach.“ Joe runzelte die Stirn und sah Gerrit streng an. „Mitläufer sind die Dümmsten von allen!“ Er stand auf und ging nach hinten zu den Schulkindern.

      „Machst du so etwas?“, fragte Janine leise.

      „Nerv jetzt nicht“, lenkte Gerrit ab. Triumphierend zeigte er ihr den Brief: „Diesmal hat es geklappt.“

      „Was ist das?“

      „Ein Brief von meinem Vater, was sonst. An mich. Meistens zerreißen Mama oder der Bulle die Briefe. Nur ab und zu kann ich einen in Sicherheit bringen.“

      „Was schreibt er denn?“

      „Warte.“ Gerrit riss den Umschlag auf, wobei er darauf achtete, die bunte Briefmarke nicht zu beschädigen. Er überflog das Schreiben und jubelte: „Geil! Spitze!“

      „Was ist g..., ich meine, Spitze?“ Janine hatte wegen ihrer Erziehung Probleme mit manchen Worten.

      „Mein Vater fragt, ob ich Teilhaber in seiner Firma werden will. Wenn ich das nötige Geld habe, darf ich zu ihm nach Thailand kommen. Ich habe ihm ja schon seit Monaten Geld geschickt, aber nicht viel.“

      „Geld? Davon hast du mir nie etwas erzählt.“ Janine setzte ihr erwachsenes Gesicht auf und fragte: „Woher hast du das?“

      „Nein, so ist das nicht, ich meine es doch ganz anders“, behauptete Gerrit. Schnell kehrte er zum eigentlichen Thema zurück: „Jetzt hat er eine Firma gegründet und braucht einen Partner. Toll, was?“

      „Was ist denn das für eine Firma? Wie viel Geld will er denn haben?“

      „Zwanzigtausend.“

      „Da stimmt doch etwas nicht. Wer verlangt schon so viel Geld von seinem Sohn, nur damit der zu einem darf. Als Vater, meine ich. Es würde Jahre dauern, um so viel zusammenzubekommen. Selbst wenn du eine Arbeit hättest. Das muss er doch wissen.“

      „Ach, was. Das schaffe ich. Glaubst du nicht? Das schaffe ich! Hier, das ist er.“

      Er gab Janine ein Foto, das dem Brief beigelegt war. Es zeigte einen schmächtigen Mann Mitte vierzig, der eine sehr junge Thailänderin im Arm hielt. Sie standen an einem Straßeneck vor einem Imbiss. Der sah aus wie einer dieser „Glasnudeln mit Sprossen“-Verkaufsstände auf den Berliner Straßenfesten. Nur der Text der Schilder war nicht in Deutsch. Gerrit fand das faszinierend, merkte aber gleich, dass Janines Aufmerksamkeit etwas Anderem galt: dem Mädchen.

      Es war etwa so alt wie sie. Höchstens. Und es sah nicht besonders glücklich aus, wie es da so von dem Mann an sich gedrückt wurde, als wäre es sein Schatz. Janine starrte das Bild an und fragte: „Wer ist das?“

      Gerrit nahm es ihr wieder weg. „Keine Ahnung. Von der schreibt er nichts.“

      „Also ich weiß nicht ...“

      Gerrit sah durch das Fenster von der Straße her zwei seiner Freunde kommen. Sie hatten genau solche Sporttaschen bei sich, wie sie ihm in der vergangenen Nacht gestohlen worden war. Jetzt galt es, Janine loszuwerden, damit er mit seinen Freunden offen reden konnte.

      „Was weißt du nicht?“, fragte er sie genervt. „Es ist übrigens Mittag. Musst du nicht gehen?“

      „Ach,

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