Gerrit aus Neukölln. Manfred Rehor

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Gerrit aus Neukölln - Manfred Rehor

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die offene Tür sah er Gerrits Kleider im Bad auf dem Boden liegen. Er hob sie auf und zeigte sie mit gerümpfter Nase Rosa: „Stinken nach Kneipe. Aber wie!“ Er warf sie zielsicher in den Wäschekorb. Dann nahm er mit einer lässigen Bewegung die Kurzhanteln hoch, als wären sie gewichtslos. Er trug sie hinüber ins Schlafzimmer.

      Das ärgerte Gerrit so, dass er fassungslos im Flur stehenblieb und die offene Schlafzimmertür anstarrte.

      Rosa holte derweil aus dem Arzneischränkchen Jodsalbe und Verbandsmaterial. Sie kniete sich neben Gerrit auf den Boden und begann, ihn wie in kleines Kind mit Pflastern zu bekleben. „Das tut nicht weh“, versicherte sie. „Und jetzt erzähle Mama, was passiert ist.“

      „Nichts!“, entgegnete Gerrit. „Ich gehe jetzt schlafen.“

      „Keine Chance“, rief Mickey aus dem Schlafzimmer. „Es ist schon nach sechs. Wir machen Frühstück und dann gehst du zu deinem Praktikum. Die werden staunen, wenn du mal morgens der Erste bist.“

      „Keine Lust.“

      „Dann erst recht!“ Mickey schloss die Schlafzimmertür. Deshalb hörte er nicht mehr, wie Gerrit ihn einen Scheißbullen nannte.

      Als wäre das noch nicht genug, hatte Gerrit nun auch noch das todtraurige Gesicht seiner Mutter zu ertragen. Sie sah ihn schweigend an und ging dann in die Küche. Es war nicht auszuhalten! Das ganze Leben bestand nur aus Vorwürfen gegen ihn.

      Dabei fiel Gerrit noch jemand ein, der ihn bald sehr böse ansehen würde: Ahmed, dem er den Verlust der Ware und des Geldes erklären musste. Gab es überhaupt etwas, für das es sich zu leben lohnte? Ja, eindeutig: seinen Vater und Janine. Durch diesen Gedanken getröstet ging Gerrit in sein Zimmer und suchte sich saubere Klamotten zusammen.

      Das Frühstück begann wie erwartet ungemütlich. Der Ärger und der Frust wühlten noch in Gerrit. Da er seine Gefühle nicht an seiner Mutter auslassen wollte, lästerte er über Mickeys Appetit. Dann rümpfte er über den spärlich gedeckten Frühstückstisch die Nase. Brot, Margarine und ein fast leeres Marmeladenglas waren das ganze Angebot. „Keine Flakes?“, murrte er, während er sich Kaffee einschenkte. „Das wird jeden Tag weniger. Der Bulle frisst mehr als wir beide zusammen.“

      Mickey setzte zu einer Antwort an, aber ein Blick von Rosa verschloss ihm wieder den Mund.

      „Mickey isst nur wenig, er will fit bleiben“, sagte sie zu Gerrit. Dabei legte sie Mickey beruhigend die Hand auf den Unterarm. „Außerdem meint er es doch gut mit dir. Er hat dir sogar das Praktikum beschafft.“

      „Jeden Tag arbeiten gehen und nichts dabei verdienen. Toll!“ Dieses Thema war seit Wochen ein Grund für Streitereien. Aber Gerrit fand, er könne nicht oft genug darauf hinweisen, was da von ihm erwartet wurde. Wo gab es denn so etwas noch? Und alles nur, weil vielleicht im Herbst eine Lehrstelle dabei herausspringen könnte. Die wollte Gerrit aber gar nicht haben. Lebenslänglich Fahrräder zusammenflicken? Kam gar nicht in Frage!

      Mickey schwollen die Zornesadern, er konnte sich nicht mehr zurückhalten: „Du bist kein Kind mehr. Es wird Zeit, dass du dich entscheidest: Entweder du arbeitest oder du verschwindest. Ganz einfach.“

      Rosa blieb vor Schreck der Mund offen stehen. Aber Gerrit hatte genau auf eine solche Entgleisung gehofft. Gelassen entgegnete er: „Lieber heute als morgen. Wenn ich wüsste, wohin und von welchem Geld.“

      Mickey fand zu Gerrits Bedauern zu seiner üblichen Gelassenheit zurück. Er trank seinen Kaffee aus, stand auf, ging zum Küchenschrank und nahm eine alte Geldbörse aus der Schublade. Die hielt er Gerrit unter die Nase. Es steckten mehrere Fünfzig-Euro-Scheine darin. „Weißt du, von wem das Haushaltsgeld ist? Von mir! Ich zahle meinen Anteil. Im Gegensatz zu dir und deinem feinen Vater.“

      Das gab Gerrit einen Stich, der seine Coolness fast zerbrechen ließ. „Der ist nicht hier“, antwortete er gepresst.

      „Abgehauen ist er. Damit er keinen Unterhalt zahlen muss.“

      „Er ist nicht abgehauen!“ Das war für Gerrit eine heilige Wahrheit, die niemand anfechten durfte. „Er ist ins Ausland gegangen. Da geht es ihm besser als in Deutschland.“

      „Logisch. Bei dem Vorstrafenregister, das der Gauner hier hat.“

      Gerrit sprang vom Stuhl auf. Erst durch einen Aufschrei seiner Mutter und Mickeys abwehrbereite Haltung bemerkte er, dass er das Brotmesser stichbereit in der verkrampften Hand hielt. Erschrocken über sich selbst öffnet er die Hand und ließ es fallen. So sehr hatte er noch nie die Beherrschung verloren.

      Rosa holte tief Luft und sagte dann bettelnd zu Mickey: „Du darfst ihn nicht so reizen, Schatz.“

      „Er muss lernen, dass man ohne Arbeit zu nichts kommt im Leben. Höchstens zu einer kriminellen Karriere.“

      Gerrit machte kehrt und ging in sein Zimmer.

      „Gerrit, Liebling“, rief ihm Rosa nach. „Ich mache deine Stullen zurecht. Beeil dich, bitte, sonst kommst du zu spät!“

      Gerrit knallte die Tür seines Zimmers hinter sich zu. Er warf sich aufs Bett und fühlte die ganze Bitterkeit seiner Situation. Er konnte es niemandem recht machen und wurde in seinem Zuhause von einem Fremden erniedrigt. Warum hatte sich seine Mutter nicht mit einem anständigen Kerl eingelassen, einem mit dem man reden konnte? Auf Anhieb fielen Gerrit ein paar Typen in der Nachbarschaft ein, die dafür in Frage kamen. Okay, die hatten alle keinen Job. Aber lieber wenig Geld, als so einen geschleckten Beamten mit spießigen Ansichten im Haus!

      Gerrit riss sich zusammen. Er musste jetzt überlegen, was heute alles zu tun war. An diesem Tag stand ihm noch einiges bevor!

      Kapitel 3

      Von wegen Praktikum! Für Gerrit gab es Wichtigeres. Ahmed musste über den Überfall informiert werden. Ein Angriff auf einen seiner Leute war noch nie vorgekommen. Jedenfalls nicht, seit Gerrit für ihn arbeitete. Deshalb konnte Gerrit auch nicht abschätzen, wie Ahmed reagieren würde. Hoffentlich blieb der Türke so cool wie immer.

      Außerdem hoffte Gerrit, heute wieder einen Brief von seinem Vater zu bekommen. Vielleicht konnte er den Brief diesmal vor Mickeys Zugriff in Sicherheit bringen.

      Pünktlich wie gewünscht ging Gerrit von Zuhause los. Er versprach seiner Mutter, ohne Umwege zu dem Praktikumsbetrieb zu gehen. Aber solche Versprechen unter Zwang galten nichts.

      Seine Mutter stand am Fenster. Sie winkte ihm nach, als wäre er ein sechsjähriger ABC-Schütze auf dem Weg zur Schule. Kaum war sie außer Sicht, bog Gerrit vom rechten Weg ab. Er ging zu seinem Lieblingsplatz, den Treppenstufen vor dem Rathaus Neukölln. Zwar tat ihm praktisch jede Stelle am Körper weh, aber davon wollte er sich den Tag nicht vermiesen lassen.

      Er setzte sich in die Morgensonne, öffnete das Stullenpaket und sah hinein. Margarinebrote, belegt mit Gurkenscheiben. „Gesund und billig“, sagte seine Mutter immer, wenn sie ihm so etwas in die Hand drückte. Gerrit stand auf, spazierte hinunter zum nächsten Papierkorb und warf die Brote hinein.

      „Was ist denn mit dir passiert?“, hörte er Janines Stimme hinter sich. Schnell drehte er sich um. Hoffentlich hatte sie nicht mitbekommen, was er gerade getan hatte!

      Janine trug trotz des warmen Wetters ihren knallbunten Lieblingspulli. Sie hatte auch ihre blöde Plastikhandtasche dabei, grell rosa mit aufgeklebten Herzchen.

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