Gerrit aus Neukölln. Manfred Rehor

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Gerrit aus Neukölln - Manfred Rehor

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Wange. Das Küssen in der Öffentlichkeit war für Janine ein Problem, deshalb musste er sich da zurückhalten. Wie bei so vielem, was sie betraf. Wobei es andererseits einer der Vorteile von Janine war, ihn nicht mit heftigen Gefühlsausbrüchen zu belästigen. Nichts wirkte lächerlicher als Jungs, die von ihren Freundinnen ständig bedrängt und abgeknutscht wurden.

      „Was ist passiert?“, fragte sie noch einmal. Sie strich mit dem Finger an einer Schürfwunde entlang, die sich von Gerrits Backe den Hals nach hinten zog.

      „Nichts. Ich bin hingefallen“, redete er sich heraus. Natürlich durfte Janine nie erfahren, was er nachts so alles trieb. Sie hatte da ganz eigene Ansichten und hätte sofort mit ihm Schluss gemacht.

      Janine ging zu dem lebensgroßen, bunt bemalten Plastikbären, der vor dem Rathaus aufgestellt war. Auch dem wünschte sie einen „Guten Morgen!“

      Das war eines der Rätsel, die Gerrit manchmal beschäftigten, wenn er an seine Freundin dachte: Wie konnte sie zu Gegenständen so nett sein, als wären es ihre liebsten Freunde?

      Die Gehsteige der Einkaufsstraße wurde allmählich belebter, während der Berufsverkehr nachließ. Die ersten Typen mit Bierflaschen in der Hand sammelten sich vor der Bäckerei gegenüber. Einige kamen auch zu der großen Freitreppe vor dem Rathaus. Sie setzten sich nicht weit von Gerrit entfernt in die Sonne. Janine fürchtete sich vor deren großen Hunden, wie Gerrit sehr wohl wusste. Aber heute jammerte sie nicht deswegen, es war also ein guter Tag.

      Doch Gerrits gute Laune hielt nicht lange an. Ausgerechnet jetzt kam eine Nachbarin vorbei: Frau Schmitz, die redseligste alte Schachtel in Berlin und Umgebung. Sie war mindestens sechzig, hager und hatte Krallenhände. In ihr faltiges Gesicht war ihre ganze Gehässigkeit eingeprägt. Aber sie hielt sich noch für jung. Deshalb färbte sie sich Strähnchen ins Haar und fuhr Fahrrad, um fit zu bleiben.

      Gerrit betrachtete sich als im Krieg befindlich mit ihr, was Frau Schmitz aber gar nicht auffiel. Sie hielt ihn für einen ganz normalen Rüpel, wie sie seiner Mutter regelmäßig im Treppenhaus erklärte. Rosa ging sogar manchmal zu Frau Schmitz zum Kaffeetrinken. Das war eines der Dinge, die Gerrit sofort abstellen würde, wenn er etwas zu sagen hätte. Aber es gab ja niemand etwas auf seine Ansichten.

      Frau Schmitz war auch eine große Petze, die jeden anschmierte, wo sie nur konnte. Gerrit hatte keine Möglichkeit, sich zu verstecken oder abzuhauen. Blieb nur, so zu tun, als würde er sie nicht sehen.

      Das nützte natürlich nichts.

      „Hallo, Gerrit!“, jubelte Frau Schmitz. Sie war immer begeistert, wenn sie jemanden traf, mit dem sie schwatzen konnte.

      Gerrit zog ein saures Gesicht. In spätestens einer Stunde würde Rosa wissen, dass er sein Praktikum schwänzte.

      „Ich habe deine Mutter schon lange nicht mehr auf dem Sozialamt und im Jobcenter gesehen“, plapperte die Schmitz weiter.

      „Wir bekommen keine Stütze mehr, seit sie diesen Bullen hat.“

      „Wen?“

      „Den Polizisten. Weil der bei uns wohnt, sind wir kein Sozialfall mehr.“

      „Ach, Herrn Schmidt meinst du. Ein netter junger Mann! Das ist ja schön für euch. Beamte verdienen ziemlich gut.“

      „Von wegen. Wir haben genauso wenig Geld wie vorher. Wenn die Alte sich schon jemanden ins Bett holt, dann hätte sie sich einen suchen können, der richtig Kohle macht.“ Dieser Spruch hatte Gerrit schon zu lange auf der Zunge gelegen, er konnte ihn nicht zurückhalten. Klar, dass er nach der Äußerung nicht nur die alte Schmitz, sondern auch Janine gegen sich hatte.

      „Das gehört sich nicht, über seine Mutter so zu reden“, keifte die Schmitz. „Nun ja, man kennt dich nicht anders. Da ist jedes Wort darüber verloren.“ Sie machte kehrt und ging davon.

      „Alte Kuh!“, rief ihr Gerrit hinterher.

      Die Schmitz fuhr herum und holte tief Luft zu einer Gardinenpredigt. Aber sie ließ es bleiben, als sie Gerrits grinsendes Gesicht sah. Sie stampfte mit dem Fuß auf und ging weiter. Am Straßengeländer hatte sie ihr Fahrrad festgeschlossen. Nun öffnete sie das Schloss, stieg umständlich auf und wollte losfahren. Aber die Kette sprang ab. Beinahe wäre sie vom Rad gestürzt. Sie schaffte es jedoch, abzusteigen und schob das Rad neben sich her, nachdem sie den Schaden untersucht hatte.

      „Du bist gemein“, kommentierte Janine Gerrits lautes Lachen über diesen Vorfall. „Du kannst Räder reparieren. Hilf ihr doch.“

      „Der? Nie!“

      „Dabei hat sie doch recht. Es ist schön, dass sie sich lieben, deine Mutter und der Polizist.“

      „Davon verstehst du nichts. Meine Mutter hätte meinem Vater helfen sollen. Dann wäre er bestimmt in Deutschland geblieben.“

      „Vielleicht war sie nicht glücklich mit ihm.“

      „Kann sein. Er war einfach zu clever für sie.“

      „Aber ...“

      Genervt zeigte Gerrit auf die Uhr. „Gehen wir rüber, in den Neukölln Arkaden machen jetzt die Geschäfte auf.“

      Yuri bewegte sich auf feindlichem Gebiet. Aber er tat es mit herausfordernder Lässigkeit, wie es seine Art war. Die Sonnenbrille wäre jetzt am Vormittag nicht nötig gewesen, sah aber cool aus. Die Musik, die er aus seinem MP3-Player hörte, verstärkte noch das Gefühl, der Größte zu sein. Dabei war Yuri alleine unterwegs, was er sonst schon aus Gründen des Prestiges vermied. Er hatte gerne zwei seiner Freunde als Begleitung. Das war nicht nur sicherer, sondern machte mehr her.

      Nun ging Yuri die Sonnenallee in Neukölln hoch. Die war der bevorzugte Aufenthaltsort seines Gegners, des Türken Ahmed. Hier hatte der auch seinen Stützpunkt, das Café Berlin 44. Yuri achtete auf die Autos am Straßenrand, denn man hatte ihm Ahmeds protzigen BMW genau beschrieben. Sollte der hier irgendwo stehen, war besondere Vorsicht angebracht.

      Das Café Berlin 44 war in Yuris Augen ein ziemlich heruntergekommener Laden. Man konnte durch große Fensterscheiben, die bis zum Boden reichten, hineinsehen. Die Vorhänge waren teilweise beiseitegeschoben. Eine Serviererin putzte gerade den schwarzen Holztresen. Der Tresen und ein halbes Dutzend einfacher Tische mit altmodischen Stühlen waren die ganze Ausstattung. In eine Ecke gezwängt stand noch ein Billardtisch. Und zwar so dicht an der Wand, dass nach Yuris Einschätzung kein vernünftiges Spielen möglich war. Alles wirkte abgenutzt und schäbig. Nur die riesigen Boxen der Musikanlage waren beeindruckend.

      Hier war nichts los. Yuri ging weiter Richtung Hermannplatz und von da aus die Karl-Marx-Straße hinunter zum Rathaus Neukölln. Diese Gegend gefiel ihm nicht. Es sah hier aus wie in Kreuzberg, und Yuri hasste Kreuzberg. Er war anderes gewohnt. Die ordentlich dastehenden Hochhäuser der Gropiusstadt mit den breiten Straßen dazwischen schienen ihm geradezu weltstädtisch. Zumindest im Vergleich zu dem basarhaften Treiben, das hier herrschte. Hier war alles ein Gemenge aus Lärm, Schmutz und Verfall.

      Rund um das Neuköllner Rathaus sah die Umgebung etwas freundlicher aus. Yuri blieb stehen und beobachtete die Leute, die an diesem Vormittag unterwegs waren. Dabei fiel ihm ein Gesicht auf, das ihm bekannt vorkam. Ein Gesicht mit Schürfwunden - das war der Kerl von letzter Nacht!

      Yuri beobachtete, wie der Junge mit seiner Freundin davon ging. Sollte er ihm folgen? Vielleicht ergab sich ja die Möglichkeit, sich für die Prügelei in der Nacht zu rächen. Yuri hatte

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