Raju und Barbara. Wilhelm Thöring

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Raju und Barbara - Wilhelm Thöring

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      Von Tag zu Tag, so scheint es, nimmt der Regen zu. Über die unbefestigten Straßen kann man nicht gehen, da sinkt man an manchen Stellen bis an die Waden und noch tiefer ein. Ochsenkarren und Autos bleiben stecken, und mancher Skooter- oder Taxifahrer weigert sich, die befestigten Straßen zu verlassen und aufs Land zu fahren. Und von den großen immer vollgestopften Straßen in der Stadt hört Barbara, dass sie wie Flüsse aussehen sollen, so dass die Autos das Wasser über den Gehweg hinweg bis hoch an die Hauswände oder in die offen stehenden Türen spritzen. Was sie innerhalb ihrer Mauern sieht, das erinnert sie an Sturmfluten, die sie im Fernsehen gesehen hat; Sturmfluten, die sich wie ein wütendes Tier über die Erde hermachen. Zu einem Monsun konnte sie sich nur vorstellen, was sie von ihm gehört hat; wie er in Wirklichkeit ist, das konnte sie sich nicht ausmalen. Was sie in dieser Zeit erlebt, das kann ihr Schrecken und Angst einjagen. Und wenn das vorbei ist, dann kommt wieder die Zeit der mörderischen Hitze; und danach wiederholt sich das, was sie gerade erlebt.

      So vollzieht sich hier der Wechsel der Jahreszeiten.

      Raju hat sich am Vormittag in die Stadt fahren lassen, er hat von einem Ingenieurbüro gehört, das auf der Suche nach einem erfahrenen Mitarbeiter wäre. Im Garten beschäftigt sich Ashim damit, verwelkte Blüten von den Büschen zu schneiden. Wenn er Barbara hinter der Scheibe oder auf der Terrasse sieht, dann lacht er breit und freundlich herüber. Bei ihm ist Himbeere, die sich auch vom stärksten Guss nicht von ihrem Platz vertreiben lässt, an dem sie döst. Oben in der Wohnung hört sie den Schwiegervater, der laut und ohne Ende seiner Frau irgendwelche Dinge erzählt, zu denen sie nichts zu sagen hat oder zu sagen wagt. Wenn ihr das Gerede ihres Mannes zu viel wird, dann kommt sie herunter, setzt sich vor den Fernseher oder geht zu Pran in die Küche, um sich mit ihm über Speisezubereitung zu unterhalten. Pran hört sich alles an, wie sie es bei ihrem Mann macht, ohne zu fragen, ohne ihr zu antworten. Und der alten Frau scheint das zu gefallen, denn sie kann stundenlang bei ihm sitzen. Manchmal hilft sie sogar, doch das ist selten, da muss sie in besonders guter Stimmung sein. Dem Schwiegervater macht es nichts aus, allein zu sein, der vertieft sich in eines seiner wenigen medizinischen Bücher, die er schon alle auswendig kennen müsste.

      Heute flüchtet die Mutter nicht vor seinem endlosen Gerede, sie erträgt es. Zu Pran in die Küche mag sie nicht gehen, weil sie sich über ihn geärgert hat, und bei der Schwiegertochter will sie nicht sitzen, mit ihr kann sie sich nicht unterhalten. So bleibt Barbara ungestört und hat den ganzen Nachmittag für sich. Einige Stunden hat sie mit Lesen zugebracht, später hat sie an ihren Bruder in Deutschland geschrieben, wie man sich einen Monsun vorzustellen habe, den sie jetzt erlebe.

      Es ist schon dunkel geworden, und Raju ist noch nicht zurück. Das macht ihr Sorge, und sie fragt sich, ob das Wetter daran schuld ist? Immer öfter geht sie ans Fenster und wartet darauf, dass das große Eisentor sich öffnet und der Wagen in den Hof fährt.

      Sie sitzt mit seinen Eltern beim Abendessen, als draußen Himbeere aufjault und sie den Wagen hört. Noch bevor Raju ins Licht tritt, spürt sie, dass er getrunken hat. In den vielen Jahren, die sie mit ihm zusammen ist, hat sie ihn vielleicht drei- oder viermal betrunken gesehen. Dann sind seine Augen meistens wie blutunterlaufen, und der massige Mann ist einem gereizten Stier nicht unähnlich, einem Stier, der mit gesenktem Kopf seine Umgebung belauert, um irgendwann loszustürmen. Mühsam kommt Raju auf seinen Platz. Beide Eltern beugen sich über ihren Teller, dem Vater fällt sogar der Reis aus der Hand, worüber er so erschrocken ist, dass er gleich aufsteht und den Raum verlässt. Schweigend füllt Barbara Rajus Teller, und dankbar sieht er zu ihr auf.

      „Bärbel, du bist eine gute Frau“, lallt er. „Auch wenn wir nicht durch einen Heiratsvermittler verkuppelt wurden, du bist eine gute, eine unvergleichliche Frau ...“

      Wieder blickt er sie dankbar und voller Wärme an, und weil sie ihm nicht antwortet, macht er sich über sein Essen her.

      Am folgenden Morgen erzählt Raju, dass er Jasbir und Arun getroffen hätte, und die hätten ihn zu einem Drink eingeladen. Solch eine Einladung kann niemand ausschlagen, damit würde man sie kränken. Er hat annehmen müssen ...

      „Es tut mir leid, Barbara.“

      Jasbir und Arun – hat sie rufen wollen, es aber nicht getan. Beim Nennen der beiden Namen ist sie unruhig geworden, in ihrer Brust zieht sich etwas zusammen und erzeugt Druck. Raju sitzt im Sessel und sieht ihr zu, wie sie Bücher ordnet, an denen nichts zu ordnen ist. In Deutschland ist sie in ähnlichen Situationen in den Garten gegangen und hat so lange darin gewerkelt, bis sie wieder zur Ruhe gekommen war. Oder sie ist durch die Felder gelaufen und erst nach Hause gekommen, wenn sie sich den Druck abgelaufen hatte. Hier kann sie nicht laufen. Zum einen hindert sie der Monsun daran, zum anderen geht keine weiße Frau allein auf einsamen Wegen. Und wie soll sie durch den Garten laufen, wo sie von allen im Haus gesehen werden kann? Deshalb macht sie sich in der Wohnung zu schaffen.

      „Bist du mir böse“, fragt Raju.

      „Nicht, weil du getrunken hast.“

      „Wegen Jasbir und Arun?“

      „Ja, vor allem wegen Jasbir.“

      Raju lässt seinen Kopf nach hinten über die Rückenlehne hängen; das Gesicht gegen die Zimmerdecke gerichtet, sagt er: „Ich habe sie einladen müssen, alle beide. Und ihre Frauen auch ...“

      „Raju! Warum musstest du sie einladen?“

      Barbara setzt sich ihm gegenüber; plötzlich wird ihr heiß, und der Druck in ihr verstärkt sich und droht sie auseinander zu reißen. Das Staubtuch, das sie sich in den Rockbund geklemmt hat, drückt sie. Sie reißt es heraus und wischt damit die Stirn.

      „Raju, warum musstest du die beiden Männer und ihre Frauen einladen?“

      „Ich glaube, sie haben kommen wollen, so genau weiß ich das nicht mehr. Ich hatte da wohl schon reichlich getrunken. Ich kann dir nicht sagen, warum ich das getan habe.“

      „Hast du vergessen, worum ich dich gebeten habe?“

      „Ich glaube: Ja!“

      „Aber jetzt weißt du es wieder! – Kannst du sie nicht ausladen? Ein Grund dazu wird sich doch finden lassen.“

      „Das wäre nur aufgeschoben.“

      „Raju!“ Barbara sieht gequält, sieht elend aus.

      „Du kannst weggehen, wenn sie kommen“, meint Raju. „Kali wird dich in die Stadt fahren ...“

      „Wie sollen die das verstehen? Sie besuchen uns mit ihren Frauen, und die Hausfrau ist ausgeflogen, die vergnügt sich in der Stadt!“

      „Vielleicht haben sie die Einladung schon vergessen. Denn nüchtern sind sie auch nicht mehr gewesen. Alle hatten ganz schön Schlagseite.“

      Barbara hat ihre Arbeit wieder aufgenommen. Still und in sich zusammengesunken fährt sie mit dem Staubtuch über die Möbel; sie bringt die Bücher wie eine Kompanie in Reih und Glied, gibt den Blumen in den Vasen frisches Wasser. So ganz nebenbei fragt sie, wie die Vorstellung im Ingenieurbüro gewesen sei.

      Dafür, sagt Raju, wäre er wohl schon zu alt. Sie suchen einen jungen, einen beweglichen und ungebundenen Mann, der seine Aufgabe nicht nur am Reißbrett sehe, sondern der in der Lage sei, innerhalb des Landes, ja: auch des Auslands Aufträge heranzuholen.

      „Wie soll das gehen“, fragt Raju, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. „Eine

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